Vendée GlobeTransat-Protest abgewiesen – Oliver Heer bleibt im Rennen um die Wildcard vorn

Jochen Rieker

 · 24.06.2024

Vendée Globe: Transat-Protest abgewiesen – Oliver Heer bleibt im Rennen um die Wildcard vornFoto: Fred Olivier / Nefsea / Alea
Erleichterung für den Deutschschweizer: Ollie Heer behält seine Qualifikationsmeilen vom Transat CIC
Gestern wurde der Schiedsspruch verschickt, den der Schweizer Vendée-Globe-Aspirant so sehr herbeigesehnt hatte. Er fiel überwältigend positiv aus. Die internationale Jury des Transat CIC hat den Protest wegen unerlaubter Hilfe von außen abgewiesen. Damit wahrt Ollie Heer seine Chance auf den 40. Startplatz beim Solo-Nonstop-Rennen um die Welt. Auch alle anderen Imoca-Skipper können aufatmen – ein bisschen, zumindest

Bezeichnend bei diesem Protest wegen Regel 41 war, dass er vom Veranstalter eingelegt wurde, nicht von den Transat-CIC-Teilnehmern – auch nicht von jenen, die mit Ollie Heer am unmittelbarsten um die Wildcard für den letzten noch offenen Startplatz für die Vendée Globe konkurrieren.

Die Solidarität unter den Skippern, sie scheint also noch intakt zu sein. Oder war es Selbstschutz, dass niemand sonst eine Regelverletzung monierte. Fakt ist: Es war ein Grenzfall, um den es da ging.

Bekam Oliver Heer unerlaubt Hilfe, oder war es eine legale Krisenintervention?

Wie hier und hier ausführlich beschrieben, bildete ein Telefonat zwischen Ollie und seinem Mental-Coach Wolfgang Jenewein den Anlass für den Protest. Darin gab der in der Schweiz arbeitende Unternehmensberater dem Segler Tipps, wie er mit der überbordenden Fülle an Problemen umgehen könne, die eine Patenthalse mit anschließender Kenterung an Bord seines Imoca verursacht hatte.

Heer war so sehr an seinem Limit wie noch nie zuvor in seiner Karriere, in deren Verlauf er mehrere Jahre als Boat Captain für den britischen Hochsee-Star Alex Thompson arbeitete. Er hatte das Boot voller Wasser, anfangs keinen Strom, folglich keine Navigation, nur extrem begrenzte Möglichkeiten, mit seinem Team zu telefonieren und obendrein mehrere Schäden an Deck sowie an seinen Segeln. Noch nie zuvor sei er “so sehr am Boden gewesen”, sagte er später.

Weil sich sein Team Sorgen um ihn machte, bat es Jenewein, Ollie Mut zuzusprechen, sobald er wieder über Satellit telefonieren konnte. Es war mehr eine Trauma-Intervention als ein leistungsfördernder Ratschlag, mehr Seelsorge als Performance-Plus.

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Wolfgang Jeneweins Empfehlung lautete, sich nicht mit Sorgen oder Wehklagen aufzuhalten, sondern alle Kraft, die ihm zur Verfügung stand, darauf zu konzentrieren, die Probleme nach ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit Schritt für Schritt abzuarbeiten. Die Quintessenz des Gesprächs schrieb der Skipper an seine Kajütwand: “Embrace this SHIT”.

Guter Rat in einem Moment größter Niedergeschlagenheit: Nach diesem Motto ackerte sich Ollie wieder zurück auf KursFoto: Oliver HeerGuter Rat in einem Moment größter Niedergeschlagenheit: Nach diesem Motto ackerte sich Ollie wieder zurück auf Kurs

Die Veranstalter sahen darin einen möglichen Bruch von Regel 41, die Hilfe von außen verbietet, solange sie nicht technischer oder medizinischer Natur ist. Es ist ein häufig wiederkehrendes Dilemma, denn wo beginnt “Hilfe”?

Fällt Mut zusprechen schon darunter, oder gilt das noch als legitim? Wäre der Rat weniger kritisch zu sehen gewesen, wenn er statt von einem erfahrenen Mental-Coach von jemand aus Ollies Freundes- oder Familienkreis gekommen wäre?

Fakt ist nämlich auch: Auf ihren langen, einsamen Kursen leben die Imoca-Skipper eben nicht wie im Schweigekloster. Dank Always-on-Satellitenverbindung und Whatsapp stehen sie ständig in Kontakt mit ihren Teammitgliedern, Sponsoren, Angehörigen. Wäre das Gespräch als Regelbruch gewertet und geahndet worden, es hätte Schockwellen durch die Klasse geschickt. Denn bei so strenger Auslegung wäre praktisch jede Skipperin und jeder Skipper Regelbrecher.

Die Jury aber entschied im Sinne des Sports. Sie erkannte auf eine technische wie mentale Notlage, die Unterstützung nicht nur rechtfertigt, sondern ausdrücklich erlaubt. Deshalb wies sie den Protest als unbegründet ab.

Hocherfreut: Erste Reaktion des Skippers auf die EntscheidungFoto: Oliver Heer RacingHocherfreut: Erste Reaktion des Skippers auf die Entscheidung

Oliver Heers Reaktion auf die Jury-Entscheidung

Ollie Heer zeigte sich im Gespräch mit der YACHT heute am späten Nachmittag glücklich und erleichtert. Zwar habe er von Anfang an “ein ziemlich gutes Gefühl gehabt”, dass er wegen des Anrufs nicht disqualifiziert werden würde. “Aber natürlich hätte es dennoch sein können, dass man an meinem Fall ein Exempel statuiert.”

Dazu kam es nicht. Stattdessen wurde die Kommunikation mit seinem Mental-Coach als regelkonformes “Medical Assessment” bewertet. Wie sehr ihn die Folgen der Kenterung überforderten, illustriert Heers ungeschönte Selbsteinschätzung: “Ich hatte in dem Moment die mentalen Fähigkeiten eines Fünfjährigen.” Mitten auf dem Nordatlantik, noch 1.300 Seemeilen entfernt von der Ziellinie, fand er sich auf einem dysfunktionalen 60-Fuß-Boot, mit einem Handkompass an der Pinne sitzend, bis er sich nicht mehr wachhalten konnte. “Ich war total überfordert.”

Über den Jury-Spruch freut er sich ebenso wie über die Aufmunterungen anderer Skipper. “Boris (Herrmann, die Red.) war der Erste, der mir eine Whatsapp geschickt hat, als er von dem Protest erfuhr.” Der Hamburger schrieb ihm, dass er diesen für völlig unbegründet hielt.

Trotz des positiven Ausgangs bleibt da eine latente Sorge, die wohl alle Vendée-Teilnehmer teilen. “Für mich war es eine Lehre”, sagt Ollie Heer. “Es gibt einfach einen großen Graubereich bei der Hilfe von außen. Deshalb werde ich künftig noch mehr aufpassen als bisher schon, mit wem ich zu welchen Themen telefoniere.”

Der Schweizer bleibt nach der Abweisung des Protests auf der Pole-Position für die Wildcard als 40. Teilnehmer an der Vendée Globe. Er hat mehr Qualifikationsmeilen gesammelt als James Harayda und Francis Guiffant, die auf den Plätzen nach ihm folgen. Jetzt muss er noch ein letztes Mal bangen. Aber eigentlich ist seine Teilnahme, über die am 2. Juli entschieden wird, nur eine Formsache, nachdem der Protest wegen des Transat CIC vom Tisch ist.

“Wir gehen jetzt an den Refit und in die Vorbereitung mit der Einstellung, dass ich den Startplatz bekomme”, sagt Ollie Heer. Dabei klingt er wieder so voller Zuversicht, als habe es den Knock-down nie gegeben. Auch den Mottospruch auf seiner Schottwand hat er längst entfernt. Fehlt nur noch ein Hauptsponsor. Aber der sollte sich nach diesem doppelten Comeback wohl finden lassen.

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