Tatjana Pokorny
· 04.03.2024
Der Fall hatte in den vergangenen Wochen vor allem in Frankreich viel Staub aufgewirbelt. Clarisse Crémer und ihr Mann Tanguy Le Turquais sollten angeblich während der letzten Vendée Globe unerlaubtes Routing betrieben haben. Denunziert wurden sie mit Hilfe von Screenshots von privaten WhatsApp-Chats von einer bis heute unbekannten Person. Beide wehrten sich laut und deutlich gegen die Unterstellungen. Nun hat die Jury, die sich mit dem Fall auseinandergesetzt hat, ein unmissverständliches Urteil gefällt. Clarisse Crémer und Tanguy Le Turquais haben sich keines Fehlverhaltens schuldig gemacht.
“Am 12. Februar dieses Jahres informierte mich der Präsident des Französischen Segelverbands (FFVoile) über eine anonyme E-Mail, die er gerade erhalten hatte und in der Clarisse Crémer beschuldigt wurde, während der Vendée Globe 2020-2021 von ihrem Ehemann Tanguy Le Turquais Routing-Informationen erhalten zu haben.
Seitdem hat der französische Segelverband mich und das Wettfahrtkomitee gebeten, eine Jury zu benennen, die den Wahrheitsgehalt der Informationen und deren Inhalt analysieren soll. Die internationale Jury ist der festen Überzeugung, dass weder Clarisse Crémer noch Tanguy Le Turquais ein Fehlverhalten begangen haben, und Sie werden verstehen, dass es mir nicht zusteht, mich zu einer Entscheidung der föderalen Sportbehörde zu äußern. Ich nehme daher diese Schlussfolgerungen, die in völliger Unabhängigkeit getroffen wurden, zur Kenntnis.”
Dazu veröffentlichten die Vendée-Globe-Veranstalter die Jury-Entscheidung im “Fall 10 der Vendée Globe 2020” zur Anhörung unter Regel 69.2 der “Racing Rules of Sailing” am 2. März ab 11 Uhr. Als Protest-Betroffene waren Clarisse Crémer und Tanguy Le Turquais anwesend, als von den Parteien gewählte Repräsentanten und Berater Alan Roberts und Paulin Daraux. Als Zeugen der Parteien waren mit Christian Dumard und Jacques Caraes der Routing-Experte und Wetterberater des Vendée-Globe-Rennmanagements 2020 und der Chef des Rennmanagements dabei.
“Die Vorwürfe des Fehlverhaltens sind schwerwiegend und beziehen sich auf das Prinzip des Rennens, nämlich ein Solorennen ohne fremde Hilfe.
Die Organisationsbehörde, die diese internationale Jury gemäß Regel 69.2 (k) ernannt hat, um zu entscheiden, ob eine Anhörung einzuberufen ist, hat sich aktiv darum bemüht, dass diese Anhörung stattfindet. Regel 69 enthält keine Frist für die Einberufung einer Anhörung. Regel 69.2 (e) verlangt, dass eine Anhörung nach Regel 69 mit mehreren Regeln in Teil 5 der Wettfahrtregeln über Proteste und Anträge auf Wiedergutmachung übereinstimmt. Es wird keine Regel in Bezug auf Fristen angegeben, die Anwendung findet.
In diesem Fall ist das Beweismaterial der Bilder (Red.: Bildschirmfotos) von WhatsApp-Nachrichten heute genauso gültig wie während des Rennens 2020-2021, wäre es damals aufgetaucht. Der Lauf der Zeit hat ihre Bedeutung nicht geschmälert.
Die Identität der Person, die die Bilder veröffentlicht hat, ist nicht bekannt. Die Metadaten der Bilder wurden entfernt. Es gibt keine weiteren Beweise. Das hindert nicht daran, eine Anhörung nach Regel 69 einzuberufen, die sich auf den Inhalt der Bilder stützt, wobei Informationen ‘aus jeder Quelle’ berücksichtigt werden können. Das Gleiche könnte durch nicht zugeordnete Presse- oder Fernsehinhalte geschehen. Die internationale Jury hat sich in diesem Zusammenhang davon überzeugt, dass diese Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt wird.
Die internationale Jury musste dann entscheiden, ob sie ‘überzeugt’ ist, dass (a) die Beweise echt sind und, falls ja, (b) ein Fehlverhalten vorliegt. Ist das nicht der Fall, werden die Vorwürfe zurückgewiesen. In diesem Fall waren keine weiteren Nachforschungen über den Status der Bilder erforderlich, da die Parteien selbst in einer Pressemitteilung bestätigt hatten, dass es sich bei den Bildern um WhatsApp-Konversationen zwischen ihnen handelt. Bei der Anhörung ging es also um die Frage, ob eine der Parteien ein Fehlverhalten begangen hat.”
“Die wichtigsten Beweismittel, die untersucht, diskutiert und in Frage gestellt wurden, waren 14 Bildschirmfotos von WhatsApp-Nachrichten zwischen Clarisse und Tanguy, die aus einer unbekannten Quelle stammten und vermutlich einige von vielen solcher Nachrichten im Rahmen der erlaubten Kommunikation zwischen Clarisse und Tanguy während des Rennens waren, wobei das Telefon des Bootes und Tanguys eigenes Telefon benutzt wurden.
Fünf Bilder enthielten Beispiele für von Tanguy erstellte Kursbilder. Dabei handelte es sich um sehr unterschiedliche Abschnitte des Rennens (Durchfahrt des Theta-Tiefs, Annäherung an Kap Hoorn, Rückpassage des Äquators und Ziel). Die internationale Jury geht davon aus, dass Tanguy versuchte, die Absichten von Clarisse zu verstehen, um sich ihrer Sicherheit (als Ehemann) zu versichern und um Fragen der Medien und der Familie zu beantworten. Die Routen enthielten keine detaillierten Informationen über Wind, Wellengang, Zeit und Kursoptionen, die Clarisse für ihren eigenen Gebrauch für die Routenplanung hätte anpassen können.
Zwei Bilder beziehen sich auf Clarisse, die ein Problem mit ihrem AIS hatte und überprüfen wollte, ob sie auf der MarineTraffic-Website zu sehen war.
Die letzten Bilder beziehen sich auf Clarisses voraussichtlichen Zieleinlauf in Zusammenhang mit den schlechten Wetterbedingungen. Dieses Problem wurde von der Wettfahrtleitung angesprochen, die die Teilnehmer mit Ratschlägen und Wetterinformationen versorgte und sie aufforderte, ihre Pläne mit ihren Teams zu koordinieren. Aus diesem Grund wurde eine WhatsApp-Gruppe mit der Rennleitung, dem Boot, dem Team an Land und dem Wetterberater eingerichtet. Der Zeitpunkt ihres Zieleinlaufs war auch für die Medien und für persönliche Absprachen von Bedeutung. Ihr Boot lag mehrere Stunden hinter dem vorherigen Finisher und mehrere Stunden vor dem nächsten Boot.
Das Wettermodell von Clarisse, das mit dem Routing-Programm verwendet wurde, war ausgefeilter als das von Tanguy, und sie benutzte es täglich viele Stunden lang.”
“Die Screenshots zeigen nicht, dass das ‘Routing’ im Sinne des Artikels stattgefunden hat.
Clarisse hat Tanguy nicht um Ratschläge zum Routing gebeten. Sie hat keinen der Screenshots von Tanguy befolgt. Sie waren keine nützlichen Informationen für sie. Sie war immer im Besitz besserer Informationen und hatte die Zeit, ihre Pläne auszuarbeiten.”
“Die Screenshots zeigen nicht, dass Clarisse die im Artikel beschriebene Leistungsunterstützung erhielt.”
“Das Wettfahrtleitungsteam wendete den NoR-Artikel ‘Außergewöhnliche Umstände’ am Ende der Regatta für ‘Banque Populaire’ an, um die Sicherheit der Wettkämpferin und ihres Bootes zu gewährleisten, da es aufgrund der starken Winde und des außergewöhnlichen Wetters Sicherheitsbedenken gab. Dazu gehörte auch, Gespräche und Optionen für den Zieleinlauf der ‘Banque Populaire’ zuzulassen.
Clarisse fragte Tanguy nach seiner Meinung zu ihrer geplanten Zielroute, aber das geschah aus Sicherheitsgründen und schloss die Möglichkeit ein, absichtlich langsamer zu fahren, um Niedrigwasser oder eine nächtliche Ankunft angesichts des schlechten Wetters zu vermeiden. Die Wettfahrtleitung hatte alle Konkurrenten und die Landmannschaften der Boote, die davon betroffen sein könnten, vor diesen Problemen gewarnt. Sie erhielt daher keine Hilfe von außen.
Tanguy hatte Clarisse aus eigenem Antrieb mehrere Kursoptionen geschickt. Die internationale Jury ist der Meinung, dass dies weder klug noch notwendig war, akzeptiert aber, dass er Clarisse eher Klarheit über ihre Pläne verschaffen wollte, als ihr Ratschläge zu erteilen, was sie tun soll.”
“Regel 69, Fehlverhalten – Die internationale Jury ist vollkommen davon überzeugt, dass weder Clarisse Crémer noch Tanguy Le Turquais ein Fehlverhalten begangen haben.
Die Anschuldigung des Fehlverhaltens von Clarisse Crémer wird zurückgewiesen.
Die Anschuldigung des Fehlverhaltens von Tanguy Le Turquais wird zurückgewiesen.”
So weit die Jury-Entscheidung. Die Segelwelt geht davon aus, dass der Fall mit diesem Urteil vom Tisch ist. Der Denunziant oder die Denunziantin bleibt weiter unbekannt.