Vendée GlobeFührungswechsel vor dem Äquator – Herrmann bangt

Max Gasser

 · 21.11.2024

Marschierte über Nacht an die Spitze: Thomas Ruyant auf seiner "Vulnerable"
Foto: Eloi Stichelbaut / Polaryse
Boris Herrmann konnte bei seiner zweiten Vendée Globe heute weiter an der Führungsgruppe dranbleiben. Jetzt steht viel auf dem Spiel, es gilt das erste Tief im Südatlantik gemeinsam mit der Spitze der Flotte zu erreichen. Nach vielversprechender Führung musste der Brite Sam Goodchild derweil seine Spitzenposition abgeben.

Mit einer außergewöhnlichen Performance über Nacht segelte der Franzose Thomas Ruyant heute früh erstmals bei der 10. Vendée Globe an die Spitze des Tableus. Der “Vulnerable”-Skipper profitierte dabei enorm von seiner Position westlich seiner Konkurrenten, die er konsequent bereits seit mehreren Tagen innegehabt hatte. Ruyant befreite sich bei seiner dritten Vendée-Globe-Teilnahme so als erster Skipper aus den Doldrums. Zwischenzeitlich loggte er dabei doppelte Geschwindigkeiten wie sein rund 80 Seemeilen nach Osten versetzt positionierter Teamkollege Sam Goodchild und übernahm so schlussendlich dessen Führung.

Vor vier Jahren war es Ruyant, der den Briten Alex Thomson mit etwa 80 Meilen Rückstand über den Äquator verfolgte. Beide verschafften sich im Südatlantik einen sofortigen Vorsprung auf die Flotte, als sie ein Tiefdruckgebiet erwischten – ein Szenario, das sehr an das aktuelle und auch an das von 2016/17 erinnert, als Thomson und Rekordhalter Armel Le Cléac'h dem Hauptfeld entkamen. Heute ist es Ruyant, der, mit laut Tracker aktuell 13 Seemeilen Vorsprung auf den ersten Verfolger (d.h. unter Betrachtung der kürzesten Distanz zum Ziel. Die Luftlinie zwischen den beiden Booten beträgt knapp 100 Seemeilen), dabei ist, den 0. Breitengrad zu überfahren.

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Nicht verpassen: “Wettersysteme sind wie Züge”

Wie wichtig es ist, Ruyant jetzt nicht enteilen zu lassen, hatte Top-Favorit Charlie Dalin bereits heute Morgen betont: “Wir dürfen hier nicht zu lange festsitzen. Wettersysteme sind wie Züge: Wenn es Zeit ist, loszufahren, muss man losfahren! Wenn wir das Tiefdruckgebiet erwischen wollen, das uns in Richtung Südosten bringen wird, ist es jetzt an der Zeit, aus dem Doldrums herauszukommen!” Er selbst arbeitete sich ebenfalls mit guten Speedwerten zuletzt bis auf Rang drei nach vorne.

Und auch dahinter will keiner den Zug verpassen. Unter anderem die britische Skipperin Pip Hare war sehr erfolgreich auf ihrer Mission, sich der Spitze anzunähern, liegt derzeit auf Platz 13. Ebenfalls über eine sehr westliche Route konnte sie ihren Rückstand von 250 Seemeilen von gestern Morgen auf etwa 100 Seemeilen hinter Ruyant heute Abend verringern. “Ich hatte eine ziemlich gute Nacht, die ich so nicht erwartet hatte.”, sagte die 50-Jährige. “Im Westen zu sein ist die bessere Option, und gestern war ich den ganzen Tag über sehr, sehr wachsam, was die Wolken angeht. Ich hatte die ganze Zeit ein Satellitenbild vor Augen. Es ist unglaublich, wie genau es auf meinem Computerbildschirm zu sehen ist, und dann tauchte es auf dem Radar auf, und ich konnte den Dingen aus dem Weg gehen. Ich glaube, das hat mir wirklich geholfen”, erklärte sie weiter.

“Ich kann mich nicht beklagen” – schafft Boris Herrmann den Sprung zurück an die Spitze?

Entscheidend für die britische Skipperin ist, dass sie nun zumindest eine gewisse Chance hat, zusammen mit der Führungsgruppe auf das erste Tief im Südatlantik aufzuspringen. Ähnlich sieht es für Boris Herrmann aus, der einen Platz dahinter dahinter rangiert, jedoch den ganzen Tag über solide Geschwindigkeiten über 15 Knoten halten konnte. Nach der bereits in der Nacht zu gestern begonnenen Aufholjagd hat er mit seiner heute früh eingeleiteten Westtendenz ebenfalls einen sehr schnellen Weg durch die Doldrums genommen und dürfte bald in ähnlichen Winden wie die Führenden vor ihm segeln.

“Ich kann mich nicht beklagen. Wir sind sehr gut durch die Doldrums gekommen und jetzt ist es eine interessante Situation für die nächste Woche.”, so Herrmann. Diese wird wohl eine klare Teilung des Feldes zur Folge haben. Insbesondere auch Yoann Richomme hatte das bereits gestern befürchtet, als sich die Doldrums etwas zäh für ihn gestalteten. Zuvor hatte der Franzose, der zu den Top-Favoriten gehört, mit 551,84 Seemeilen einen neuen Solo-24-Stunden-Rekord aufgestellt.

Vendée Globe: Klare Teilung des Feldes im Südatlantik bevor

Als er heute Morgen frische Winde erreichte, sagte er: “Wir waren 24 Stunden lang da drin. 12 bis 15 Stunden lang waren wir in einer etwas schwierigen Lage. Wir saßen wirklich fest, aber wir haben alle schon viel schlimmere Szenarien als dieses gesehen!” Nach der Überquerung des Äquators im Laufe des Abends, geht es im Südost-Passat den Südatlantik hinunter. Mittlerweile liegt der 41-Jährige mit seinem Finot-Koch-Design “Paprec Arkea” auf Rang sechs.

Und damit in guter Position, um in wenigen Tagen ein Tiefdruckgebiet etwas nördlich von Rio de Janeiro zu erreichen. Das wäre das ideale Fenster, um dann mit viel Speed in Richtung Kap der Guten Hoffnung zu preschen. Boris Herrmann prognostizierte Rekordfahrten für diejenigen, die in dieses Wettersystem gelangen. Für ihn selbst wird das ein harter Kampf gegen die Zeit.

“Nur wenn ich meinen Polaren zu einhundert Prozent entspreche, erreiche ich das Tief. Sind es nur 90 Prozent, werde ich es verpassen und so 1.200 Seemeilen auf die verlieren, die es schaffen”, so Herrmann über seine Situation. Wie mutmaßlich auch andere Skipper um ihn herum, pusht der 43-Jährige daher aktuell etwas härter als sonst. Beim 19-Uhr-Tracker-Update lag der Deutsche 134 Seemeilen hinter Thomas Ruyant an der Spitze.


Update von Bord: In diesem Video erklärt Boris Herrmann seine Situation:

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