Tatjana Pokorny
· 30.01.2023
Am fünften Tag der zweiten Etappe quält sich die Ocean-Race-Flotte weiter durch die Doldrums. Am Äquator liegen Segellust und -frust eng beieinander. Der verletzte Boris Herrmann beobachtet sein Team Malizia aus der Ferne – und hat wieder mehr Freude daran
Beim “Wettkriechen” durch die windarmen Doldrums schiebt sich das Ocean-Race-Feld immer dichter zusammen. Lagen Spitzenreiterin “Biotherm” und Schlusslicht “Malizia – Seaexplorer” vor gut zwei Tagen noch 200 Seemeilen auseinander, so ist der Rückstand der deutschen Yacht inzwischen auf 70 Seemeilen geschmolzen. Weil die führenden Boote zuerst auf die Kalmen gestoßen sind, konnten Will Harris und Team Malizia wieder heranfahren. Inzwischen aber muss sich auch die Crew auf dem Boot unter deutscher Flagge mit Geschwindigkeiten von zwei, drei Knoten begnügen.
Boris Herrmann, der sich in Kapstadt von seiner Fußverletzung erholt und sein Team dort erwartet, sagte YACHT online: “Es freut mich natürlich sehr, wie das Team wieder aufgeholt hat. Es war schon schmerzhaft, das Team 200 Meilen hinten zu sehen. Auch wenn das Rennen noch lang ist. 200 Meilen sind eine Menge gewesen. Jetzt sieht es wieder deutlich besser aus. Ich würde meinen, wir sind wieder in Schlagdistanz.”
Zur Investition seines Teams in den Westen sagte Herrmann: “Weiter westlich die Doldrums anzugreifen kann durchaus eine Taktik sein. Als Faustregel sagt man: Je weiter westlich, desto besser. Es ist noch etwas zu früh zu sagen, aber sollte es heute gut für uns aussehen, dann würde sich diese Faustregel bestätigen.”
Zur Erklärung, warum sich auf dem Kurs nach Süden in den Etappenhafen Kapstadt der weitere Weg in den Westen lohnen kann, sagte Boris Herrmann: “Das Ganze liegt einfach daran, dass Nordost- und Südostpassat östlich mehr diametral aufeinandertreffen und dann immer weiter westlich mehr paralleler verlaufen. So, dass kurz vor der brasilianischen Küste eigentlich die ITCZ-Zone (Red.: Doldrums) kaum noch zu spüren ist und man dann einfach da durchfahren kann. Das heißt: Man muss immer einen Kompromiss finden: Weiter westlich ist ein weiterer Weg, oft aber eine bessere Passage. Ich hoffe darauf, dass wir da ein bisschen Glück haben.”
Herrmann vermutet, dass sein Team beim Blick auf die Satellitenbilder und weitere Informationen noch “etwas gesehen hat”, das sie “noch mal zu diesem relativ aggressiven Halsen nach Westen veranlasst hat”. Der 41-jährige Hamburger sagte: “Auf jeden Fall haben sie da ja ein bisschen investiert. Vielleicht haben sie aber auch gesagt: ,Okay, genau hinterherfahren bringt jetzt nichts. Dann versuchen wir es weiter im Westen.’ Das werden wir erst erfahren, wenn sie uns davon erzählen.” Für den Moment gilt aus Herrmanns Sicht: “So weit, so gut. Hoffen wir mal, dass es heute gut vorangeht.”
Diese Hoffnung teilt Boris Herrmann mit allen fünf Teams da draußen im breiten Band der Kalmen, wo der Ocean-Race-Flautenpoker gerade erst begonnen hat. Simon “Sifi” Fisher vom US-Team 11th Hour Racing berichtete: “Es bleibt nun abzuwarten, ob die Arbeit in den Trades durch die Zufälligkeit der Flaute zunichtegemacht wird. Es gibt immer noch keinen einfachen und offensichtlichen Weg hindurch, wenn man nicht bis zur brasilianischen Küste segeln will. Es wird also interessant sein zu sehen, wie sich die nächsten Tage entwickeln, wenn wir alle unseren Bug nach Süden richten und unser Bestes tun, um vor den anderen durchzukommen.”
Bei seinem sechsten Einsatz im Ocean Race kann der Brite dem Zeitlupenspiel aber auch positive Seiten abgewinnen, sagt: “Bis jetzt hat es viel Spaß gemacht. Es ist eine Gelegenheit, die Wolken zu studieren und seinem Bauchgefühl zu folgen, anstatt darüber nachzudenken, wie wir uns zu unseren Gegnern positionieren.”
Fisher beschrieb die gegensätzlichen Welten auf einem Imoca und sagte: “Ich könnte einfach froh sein, dass ich nicht versuchen muss nachzudenken, während mein Hirn durch schnelles Segeln durchgeschüttelt wird. An vorherigen Tagen habe ich mich gefragt, ob ich nicht besser trainiert hätte, indem ich meinen Computer mit in eine Industriewaschmaschine genommen und auf Schleudergang gestellt hätte! Jetzt aber genieße ich einen Moment, in dem ich in relativer Ruhe auf dem Vordeck sitze und den Wind über das Deck streichen lassen kann, nachdem ich zum ersten Mal seit dem Ablegen in Alicante das Cockpit verlassen konnte.”
Dabei scheint in der innertropischen Konvergenzzone keinesfalls nur die Sonne, wie Fisher erzählt: “Es fängt an zu regnen, aber das macht mir wirklich nichts aus. Es ist einfach schön, draußen zu sein, und die Wolke über uns bedeutet, dass der Wind uns stetig nach Süden treibt. An Bord ist alles in Ordnung, und die Leute haben endlich die Gelegenheit, ein wenig Schlaf nachzuholen und die kleinen Aufgaben zu erledigen, die seit Tagen anstehen. Das hektische Tempo hat sich definitiv verlangsamt, jetzt, wo wir in der Flaute stecken. Aber wie man so schön sagt: Eine Abwechslung ist so gut wie eine Pause. Ich denke, wir werden das Beste daraus machen.”