The Ocean RaceVon Rekordjägern, Rückkehrern und Comeback-Plänen

Tatjana Pokorny

 · 05.03.2023

Das Guyot Environnement – Team Europe nähert sich Kapstadt
Foto: Felix Diemer/Guyot Environnement – Team Europe/The Ocean Race

Die erste Woche der Königsetappe im Ocean Race ist geschafft. Sie hat die Teams auf sehr unterschiedliche Weise gefordert, geprüft, gequält und beglückt. Team Guyot ist zurück in Kapstadt und hofft auf ein baldiges Comeback. Boris Herrmanns Team Malizia jagt nach dem epischen Reparatur-Marathon das vorausliegende Trio

Das Schweizer Team Holcim – PRB bleibt auch auf der Königsetappe der Maßstab für Güte im Ocean Race. Die Crew um Skipper Kevin Escoffier dominiert das Rennen im südlichen Indischen Ozean nach der ersten Etappenwoche am 5. März mit gut 500 Seemeilen Vorsprung vor den Teams Biotherm (Frankreich) und 11th Hour Racing (USA), die nur fünf Seemeilen voneinander entfernt miteinander kämpfen.

11th Hour Racing auf Rekordkurs

Boris Herrmanns Team Malizia ist nach brutalem, aber erfolgreichem Reparatur-Marathon wieder im Spiel. Das Malizia-Segelquartett jagt den vorausliegenden drei Konkurrenten entlang der Eisgrenze beim 45. Breitengrad Süd hinterher. Gut 50 Seemeilen trennten die deutsche “Malizia – Seaexplorer” am Sonntagnachmittag von der amerikanischen “Mālama”.

Die Teams haben längst die “Autobahn” des Südpolarmeers erreicht, donnern mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich 20,5 Knoten (Team Malizia) und Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 30 Knoten nach Osten. Es geht rekordverdächtig zur Sache. Die offizielle Imoca-Bestmarke hatte bislang der Brite Alex Thomson 2018 mit 539,71 Seemeilen inne. Das beste Etmal der französischen “Charal” beträgt 588 Seemeilen, wurde aber vom World Speed Sailing Record Council (WSSRC) noch nicht ratifiziert. In der Nacht auf Sonntag nun erreichte 11th Hour Racing 544,63 Seemeilen. Sollte das WSSRC das Etmal ratifizieren, wäre es der neue Imoca-24-Stunden-Rekord.

Rasend schnell auf dem roten Teppich von Mutter Natur

“Normalerweise werden diese Rekorde im Südatlantik aufgestellt”, erklärte der erfahrene amerikanische An-Bord-Reporter Amory Ross. “Aber wir freuen uns, dass wir ein wenig Glück und den roten Teppich von Mutter Natur nutzen konnten, so schnelles Segeln zu erleben.” Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug dabei 22,7 Knoten.

Interessant wird zu sehen sein, ob die bislang so souverän segelnde “Holcim – PRB”-Crew beim notwendigen “Abstieg” in den Süden zu den anderen möglicherweise einen Teil ihres Vorsprungs einbüßt. Die Prognosen weisen darauf hin, dass “Holcim – PRB” ein leichtwindiges Feld durchqueren muss. Dadurch könnten sich Aufholchancen für die drei Verfolger inklusive Team Malizia ergeben.

Team Guyot ist zurück in Kapstadt, Prüfprozesse angelaufen

Während das rasende Quartett um die Antarktis nach Osten strebt, ist das Guyot Environnement – Team Europe zurück in Kapstadt. Mitten in der Nacht zum Sonntag war die “Guyot”-Crew in den südafrikanischen Hafen eingelaufen. Die Landmannschaft nahm Team und Boot hervorragend vorbereitet am Ponton in Empfang. Nach dem Anlegen wurde keine Zeit verloren und alles fürs Kranen am Sonntagmorgen um 8 Uhr vorbereitet.

Inzwischen ist der Mast längst gezogen, das Boot an Land gestellt und die beschädigte Stelle im Rumpf wie bei einer anstehenden Operation im Krankenhaus geöffnet. Der Rest des Rumpfes wird einer gründlichen Prüfung (NDT) unterzogen. Ist der Check- und Testprozess abgeschlossen, kann laut Team die Detailplanung fürs Comeback im Ocean Race beginnen. Dafür arbeitet das Segelteam bereits einen Plan aus.

“Guyot”-Wiedereinstieg in Etappe drei “unrealistisch”, Comeback für Etappe vier im Visier

Eine erneute Teilnahme an der dritten Etappe des Ocean Race ist sehr unwahrscheinlich, selbst bei einer sehr schnellen Reparatur. Auch Co-Skipper Robert Stanjek, für den mit dem Etappen-Aus ein sieben Jahre lang gehegter Traum geplatzt war, nannte den Wiedereinstieg in die dritte Etappe “unrealistisch”. Bei der späten Ankunft in Itajaí/Brasilien bliebe keine Zeit, das Boot nach der zermürbenden Südpolarmeer-Hatz aus dem Wasser zu heben.

“Wir wollen so schnell wie möglich zur Flotte in Itajaí stoßen”, gab Skipper Benjamin Dutreux den Takt vor. “Wir sind froh, dass das Team uns hier erwartet hat. Alle wollen das Boot schnellstmöglich wieder im Wasser haben. Wir müssen jetzt die Untersuchungen abwarten und sehen, wie lange die Reparaturen dauern werden.” Die Rückkehr nach Kapstadt war langwierig, da es aufgrund der Situation nicht möglich war, schneller als zehn Knoten zu fahren.

Glück im Unglück für “Guyot”

Rückblickend auf den Moment der Entdeckung des Rumpfschadens erinnerte sich Co-Skipper Robert Stanjek noch einmal an die Dramatik der Situation: “Wir müssen auch von Glück sprechen, dass es uns zu diesem Zeitpunkt passiert ist. Ein paar Tage später, mitten im Südpolarmeer, hätten wir kaum noch eine Chance gehabt, umzukehren. Jetzt wären wir für einen Notfall sogar in Hubschrauberreichweite gewesen. Es war gespenstisch, die Bewegungen des Bodens auf einer Fläche von zwei Quadratmetern zu sehen. Wenn sich das auftut, ist es schwer, das Schiff trocken zu bekommen.”

Inzwischen ist der Rückschlag halbwegs verdaut. Stattdessen planen die “Guyot”-Segler lieber ihre Zukunft. Robert Stanjek sagt: “Wir haben kurz darüber nachgedacht, wieder in die Etappe einzusteigen. Aber das ist unrealistisch. Wir planen jetzt die nächsten Etappen ab Itajaí. Der gesamte Mannschaftspool will sich in den Dienst der bestmöglichen Leistung stellen. Zunächst einmal müssen wir eine Überführungscrew für Brasilien zusammenstellen. Die Überführung wird zwölf bis 16 Tage dauern. Danach geht es darum, das Beste aus dem Rennen herauszuholen, was noch möglich ist. Wir wollen noch zeigen, dass wir leistungsfähig sind.”

Comeback-Hoffnungen im Team Guyot, Bestlaune an Bord von “Holcim – PRB” – so schwer und so schön kann das Ocean Race sein:

Wie Speed optisch aussieht und warum Team Malizia gerade die Sonne fehlt: