Die wichtigsten Informationen stehen auch 24 Stunden nach der schweren Kollision zwischen “Guyot” und 11th Hour Racings “Mālama” am 15. Juni noch aus: Wann findet die Jury-Verhandlung über den von 11th Hour Racing eingereichten Antrag auf Wiedergutmachung statt? Und wie wird das Urteil ausfallen, das über das Gesamtergebnis im 14. The Ocean Race entscheidet?
Sollte dem Team 11th Hour Racing eine klassische Wiedergutmachung zugesprochen werden, könnte sie den im Klassement mit zwei Zählern Vorsprung vor dem Schweizer Team Holcim – PRB liegenden Amerikanern vorzeitig den Gesamtsieg am grünen Tisch bescheren. Damit wäre gleichzeitig Team Holcim – PRB der Siegchance beraubt und ein indirektes “Opfer” der Kollision.
Auch Boris Herrmanns Team Malizia trifft der Crash über Bande. Wenn auch weniger hart. Die Malizianer hatten vor der laufenden Finaletappe noch eine hauchdünne Chance, im Gesamtklassement auf Platz zwei vorzurücken. Dafür hätte die deutsche Yacht die Schlussetappe nach Genua gewinnen und Team Holcim – PRB Fünfter werden müssen. Bei aktuell nur noch drei Booten im weiterlaufenden Rennen ist die Chance zum Vorrücken für Team Malizia nicht mehr gegeben.
Wir haben zwei Kameraden verloren. Wir vermissen unsere Freunde” (Boris Herrmann)
Dennoch hatte Boris Herrmann bei seiner Ocean-Race-Premiere vor allem die Crash-Beteiligten im Blick: “Uns tut es unheimlich leid um beide Teams. Und dann fragen wir uns natürlich, was die Konsequenzen für das Rennen sein werden.”
Weiter sagte Boris Herrmann: “Es trifft mich wirklich stark. Wir haben zwei Kameraden verloren. Wir sind alle ein bisschen sprachlos. Wir vermissen unsere Freunde.” Alle Malizia-Crewmitglieder richteten in einem Video-Clip (siehe Ende des Beitrags) persönliche Worte an die Crews von 11th Hour Racing und Team Guyot. Rosalin Kuiper sagte: “Es ist eine traurige Geschichte, die ein bisschen einen dunklen Schatten auf das Ende des Rennens wirft.”
Alle sind am Boden zerstört. Niemand will ein Rennen so beenden” (Charlie Enright)
Andere Entscheidungen sind inzwischen gefallen. Über Nacht hat die Landmannschaft von 11th Hour Racing mit der Reparatur der bei der Kollision heftig beschädigten hinteren Backbordrumpfseite und der Behebung weiterer Schäden begonnen.
“Mālamā”-Skipper Charlie Enright sagte: “Wir arbeiten rund um die Uhr, um das Boot so schnell wie möglich zu reparieren. Unser Ziel ist es, nach Genua zu segeln, um wieder zur Flotte zu stoßen und diese Runde um unseren blauen Planeten abzuschließen. Alle sind natürlich am Boden zerstört – niemand will ein Rennen so beenden. Aber die Stimmung im Team ist gut. Jeder konzentriert sich jetzt darauf, dieses unglaubliche Rennen mit einer guten Note zu beenden.”
Schon am Vorabend hatte es nach der Kollision, bei der nur mit viel Glück niemand schwer verletzt wurde, emotionale Szenen auf dem Wasser und an Land gegeben, während gleichzeitig der Reparaturprozess und die Vorbereitung auf den Antrag auf Wiedergutmachung eingeläutet wurden.
Parallel hatten die drei verbliebenen Boote die Etappe fortgesetzt. Das segelnde Trio lag bei rund 1.900 Seemeilen bis in den Zielhafen Genua am Freitagabend gerade einmal sechs Seemeilen auseinander: Team Holcim – PRB führte knapp vor Team Biotherm und Team Malizia.
Die meisten Augen der Ocean-Race-Welt aber sind weiter auf Den Haag gerichtet. Dort hat Team Guyot uneingeschränkt die Schuld für die Kollision auf sich genommen. “Ich war am Ruder und sah ihr Boot plötzlich auftauchen. Da war es zu spät. Der Kontakt war unvermeidlich, nachdem ich sie sah. Ich übernehme die volle Verantwortung. Es war unser Fehler”, hatte “Guyot”-Skipper Ben Dutreux noch am Donnerstagabend eingeräumt.
In einem späteren “Guyot”-Statement hieß es: “Unsere Gedanken sind ausschließlich bei 11th Hour Racing, dem Team, das in diesem Ocean Race führt, dem freundlichen Team um Skipper Charlie Enright, das es dem Guyot Environnement – Team Europe ermöglicht hatte, in den Wettbewerb zurückzukehren.” Die Amerikaner hatten Team Guyot nach dem Mastbruch auf Etappe vier ihren Ersatzmast fürs Comeback in Etappe sechs zur Verfügung gestellt.
In beiden Teamlagern flossen nach dem Crash viele Tränen. Die Verzweiflung war groß. Aber es gab auch innige und tröstliche Umarmungen. “Wir sind am Boden zerstört”, sagte Guyots Berliner Teammanager Jens Kuphal in Den Haag. “Das war wie ein Autounfall, wo du dich hinterher fragst, wie das passieren konnte. Es ist ein Geschenk, ein Wunder, dass niemand schwer verletzt wurde.” Co-Skipper Robert Stanjek sprach von einem “Blackout” der Afterguard. “Man muss sagen, dass das nach diesem Kraftakt der letzten Wochen, dieser Teamleistung sehr, sehr wehtut. Es ist wirklich hart zu ertragen.”
Als Stanjek spät am Donnerstagabend nach den schockierenden Ereignissen nicht in den Schlaf fand und in seinem Hotel noch einmal die Treppen zur Lobby runterstieg, traf er in der Bar auf Teile des Teams 11th Hour Racing und gab mehrere Runden Drinks aus. Der Berliner “Guyot”-Co-Skipper, der beim Crash nicht wie so oft zuvor am Ruder war, sondern unter Deck am Grinder kurbelte, und die schwer getroffenen Teammitglieder von 11th Hour Racing saßen noch viele Stunden zusammen …