Tatjana Pokorny
· 29.01.2023
Am vierten Tag der zweiten Etappe im Ocean Race schiebt sich das Feld wie erwartet zusammen. Die vorderen Boote haben die windarme Zone um den Äquator erreicht, sind langsam geworden. “Malizia – Seaexplorer” rauschte am Sonntagmorgen mit fünffacher Geschwindigkeit heran, lässt den Rückstand wie Eis in der Tropensonne schmelzen
Zwischen Bangen und Hoffen, im Zeitlupentempo oder flott voran: Vier Tage nach dem Start zur zweiten Etappe im Ocean Race herrschten unterschiedliche Stimmungen an Bord der fünf Imocas auf Kurs Süd. Die Spitzenreiter haben die Doldrums am Äquator erreicht. Das windarme Band am Äquator – aktuell mehrere Hundert Seemeilen breit in Nord-Süd-Ausrichtung – ließ die vier Boote in der führenden Gruppe am Sonntagvormittag vorerst mit nur wenigen Knoten Speed in Zeitlupe vorankommen.
Team Malizia dagegen profitierte bei knapp 150 Seemeilen Rückstand auf die weiter führende “Biotherm” von noch frischen Winden um 15 Knoten. Dadurch haben Skipper Will Harris, Nico Lunven, Yann Eliès und Rosalin Kuiper über Nacht viel Boden gutmachen können. Für alle Boote gilt: Sie haben ihre Bahn für die Passage des Kalmengürtels gewählt. Offiziell auch innertropische Konvergenzzone genannt, wird sie die Ocean-Race-Crews in den kommenden Tagen in den Leistungsfächern Geduld, Leidensfähigkeit und Navigation prüfen. Die entscheidende Frage: Wer kommt am schnellsten durch und kann auf den Passatwindzug nach Süden springen?
Am 29. Januar erschien eine Doldrums-Passage weiter westlich von Vorteil zu sein, da das Leichtwindband dort schmaler war. Das wäre ein Plus für Team Malizia. Andererseits muss das Team ohne Boris Herrmann an Bord, der seinen verbrühten Fuß in Kapstadt auskuriert, mehr Meilen auf Kurs Etappenhafen Kapstadt absolvieren.
“Dieses Rennen wird nicht hier gewonnen, es wird in den Doldrums gewonnen – oder verloren”, hatte Charlie Enright kurz vor Erreichen der Kalmen gesagt. Der Skipper des 11th Hour Racing Teams sagte weiter: “Unser Plan ist es, nah an die anderen heranzufahren und zu sehen, was passiert. Sobald man in den Doldrums ist, ist das Spiel für jeden wieder offen.”
Für Unterschiede sorgen in der Flotte die Geschwindigkeiten und Winkel, die die Crews je nach ihrer Segelgarderobe segeln können. Die Teams dürfen acht Segel an Bord haben. Amory Ross, An-Bord-Reporter im 11th Hour Racing Team erklärt: “Es gibt zwei Lager in der Flotte hier draußen: die mit A2 und die ohne. A2s sind die großen weißen Spinnaker.”
Amory Ross klärt auf: “Es ist klar, dass Holcim-PRB und Malizia sich entschieden haben, ihre A2s nicht mitzunehmen, um ein anderes Segel zu verwenden. Ihre schwarzen A3s benötigen höhere, spitzere Winkel, um auf Geschwindigkeit zu kommen. Während wir und Biotherm es geschafft haben, relativ tief zu segeln und im gleichen Windfeld zu bleiben, haben wir (zeitweise) den Kontakt zu Holcim verloren und sind nach Nordwesten und außerhalb der AIS-Reichweite abgedriftet.”
Amory Ross sieht das Phänomen auch bei der Konkurrenz: “Man kann den gleichen Unterschied in den Winkeln zwischen Malizia und Guyot sehen, die mit ihrem A2 die ganze Zeit über viel tiefer segelten und es gut geschafft haben, die Meilen zu sparen und vom Ende der Flotte wieder weiter nach vorn zu segeln.”
“Holcim – PRB”-Skipper Kevin Escoffier räumte ein, dass diese Bedingungen seinem Team wehtun. “Die Boote vor uns scheinen besser zu sein. Es geht dabei auch um die Segelwahl. Wir haben uns entschieden, ein Segel nicht zu nehmen, das jetzt nützlich gewesen wäre. Für diese Entscheidung haben wir von Anfang an ein bisschen bezahlt. Aber wir tun unser Bestes, um nicht zu viel zu verlieren. Im Südatlantik werden wir hoffentlich mit dem Segel gewinnen, das wir haben – und die anderen nicht. Das ist Teil des Spiels.”
Es bleibt also hochspannend bei der Annäherung der Flotte an den nullten Breitengrad, bevor die Teams die Gaspedale in der kommenden Woche wieder durchdrücken können.