Tatjana Pokorny
· 26.04.2023
Das Spiel bleibt komplex in dieser Auftaktphase der vierten Etappe im Ocean Race: Leichte, variable Winde, Wolkenwände, Ölbohrinseln und starker Schiffsverkehr machen den Teams die Arbeit im Südatlantik schwer. Manöver am laufenden Band kosten viel Kraft. An Tag vier auf See rückt das Feld wieder enger zusammen
Team Malizias Etappen-Skipper Will Harris kommt in der Auftaktphase von Ocean-Race-Etappe vier kaum zur Ruhe. “Es war wirklich hart, vor allem die ersten Nächte”, erzählt der Brite von der brasilianischen “Schachpartie”, die gerade alle Crews fordert. Harris sagt: “Der Wind war sehr wechselhaft, sehr böig, überhaupt nicht stabil. Er drehte überallhin. Wir haben vor allem in den ersten Nächten kaum Schlaf bekommen.”
Wir kämpfen, und der Speed ist gut.” (Will Harris)
Während sich alle Crews nach der langen Pause in Brasilien wieder ins Leben auf See eingewöhnen, hatte Team Malizia schon in der ersten Nacht einen Unfall wegzustecken. “Wir hatten mit Nicos Verletzung zu kämpfen, was nicht so schön war. Er hat in den letzten Tagen versucht, sich ein bisschen zu erholen, aber er ist noch nicht wieder bei 100 Prozent”, erzählt Will Harris.
Weiter sagte der mit 29 Jahren jüngste Skipper der Ocean-Race-Flotte: “ Wir hatten zuletzt sehr viele Manöver. Dabei haben wir einen kleinen Fehler gemacht, der uns fast 50 Meilen gekostet hat. Das war schmerzhaft. Jetzt haben wir es wieder wettgemacht. Das ist gut. Es zeigt, dass wir wirklich kämpfen und der Speed gut ist. Darüber sind wir sehr froh!”
“Stacken”, so Harris, sei angesichts der vielen Manöver fast nonstop gefordert. Er erklärt: “Bei jeder Wende hoffst du, richtig zu liegen. Wenn nicht, muss du wieder zurück. Das ist sehr anstrengend. Man muss viel stacken. Alles Gewicht von einer Seite auf die andere zu bringen dauert jedes Mal 15 bis 20 Minuten und kostet eine Menge Energie.” Viele Öhrbohrinseln und Schiffsverkehr machen das Revier dabei zu einem Hindernisparcours. “Ganz anders als im Südmeer, wo es absolut nichts gab, müssen wir hier ständig Ausschau halten. Hier kann eine unglückliche Begegnung mit einem Fischerboot böse enden”, sagt Harris.
Die Etappe dürfte noch einige Tage in dieser Weise fortgesetzt werden. Dabei ist die Flotte an Tag vier wieder enger zusammengerückt. “Wir versuchen, die Spitzenreiter jetzt einzuholen, damit wir später keine Probleme bekommen”, erklärt Will Harris die jüngste Aufholjagd von Team Malizia.
Am späten Mittwochnachmittag führte zwar weiter Team Holcim – PRB mit nur einer Seemeile vor dem US-Team 11th Hour Racing, doch Team Malizia war wieder auf Platz drei vorgerückt. Die Crew auf dem deutschen Imoca hatte den Rückstand zur Spitze zuletzt auf acht Seemeilen reduzieren können. “Jedes Team kann diese Etappe noch gewinnen”, sagte Harris, “sie hat gerade erst begonnen, und wir haben noch einen langen Weg vor uns.”
Während ich dies schreibe, liegt das Team Malizia unter den Top drei des Rennens entlang der Küste Brasiliens. Mit Will, Rosalin und Nicolas kreuzten wir die Startlinie am Sonntag um 13:15 Uhr (18:15 Uhr deutscher Zeit). Antoine Auriol ist unser Bord-Reporter. Nach zwei Runden im Hafen nahmen wir Kurs auf Newport in den Vereinigten Staaten. Vor uns liegen 5.500 Seemeilen.
Ich lege mich in meine Koje und kann – wie so oft zu Beginn eines Rennens – nicht schlafen. Die Aufregung vor dem Start ist noch sehr präsent. Mein Körper und mein Geist brodeln. Ich denke an den Tag vor dem Start in Itajaí zurück. Was für ein Cocktail aus XXL-Emotionen! Ich bestreite seit mehr als zwanzig Jahren Hochseeregatten, und dennoch lässt die Intensität meiner Gefühle nicht nach: dieses Tauziehen zwischen dem Drang abzulegen und dem Druck, mein Team, meine Familie und meine Freunde zu verlassen; ich stecke zwischen dem Wunsch zu kämpfen und der Angst vor dem Unbekannten; zwischen dem ultravernetzten Leben an Land und dem Eintauchen in die Naturelemente.
Der Start war ein denkwürdiger Moment.” (Christopher Pratt)
Ich habe das große Glück, zu den wenigen zu gehören, die an diesem mythischen Rennen teilnehmen dürfen: dem Ocean Race, der Weltumsegelung mit Mannschaften über mehrere Etappen. Ein Kindheitstraum wird wahr! Der Start war ein denkwürdiger Moment: ein Sportereignis im angelsächsischen Stil, perfekt organisiert und inszeniert; vielleicht sehr “vermarktet”, aber ich muss zugeben, dass es sehr gut funktioniert.
Auch aus diesem Grund wollte ich am Start sein: die Show, die Bilder, die Emotionen. Eine unglaubliche Atmosphäre! Als es an der Zeit ist abzulegen, bin ich überglücklich! Es ist Zeit für die letzten Verabschiedungen, den letzten Tanz zu unserer Hymne “Don't stop me now” von Queen. Die Wahl dieses Liedes ist vielleicht kein Zufall. Laut einer der seriösesten wissenschaftlichen Studien ist es der Song, der einen am glücklichsten macht! Los geht es, die Menge jubelt den Booten zu! Ich bleibe demütig angesichts dessen, was vor mir liegt.
Neben dem Rennen an sich habe ich vor allem zugesagt, einem Team beizutreten. Als Boris mich einlud, ihn auf dieser Etappe zu vertreten, wollte ich sofort zusagen. Ich war von dem Engagement, den Inhalten und der guten Stimmung des Teams begeistert. Und ich wurde nicht enttäuscht! Nach weniger als zehn Tagen im Team kann ich Ihnen sagen, dass die Realität dem entspricht, was man von außen sieht. Zum Zeitpunkt der Abreise war ich traurig, diese mehrsprachige und lebendige Familie an Land zu verlassen.
Es ist meine erste Nachtwache auf dieser Etappe. Nach einem verhaltenen Start nehmen Wind und See im Laufe der Stunden zu. Unseren ersten Segelwechsel auf die “VO65-Version” (Anm. d. Red.: Der an frühere Ocean-Race-Modelle vom Typ VO65 angelehnte Begriff bezeichnet ein engagiertes Manöver) machen wir mit Rosie an der Spitze. Sportlich! Der Rest der Nacht verläuft bei unbeständigem, mittlerem Wind eher chaotisch. Nachdem wir uns mitten in der Nacht mit unseren Kameraden getroffen haben, geht es nun Richtung Osten, also fast ...
Ich bin wieder in meinem Element.” (Christopher Pratt)
Ich liege nun schon seit ein paar Stunden zitternd in der Koje und kann immer noch nicht schlafen ... “Chris ... Chris”: Rosie weckt mich auf ... Jetzt schon! Ich bin allein im Cockpit, einen Podcast in den Ohren, eine Schot in der einen Hand, die andere am Autopiloten. Es ist okay, ich bin wieder in meinem Element.