Damit war zu rechnen: Die Ocean-Race-Veranstalter haben sechs Tage nach der Kollision zwischen Team Guyot und Charlie Enrights US-Team 11th Hour Racing kurz nach dem Start in Etappe sieben endlich einen Termin für die Jury-Anhörung bekannt gegeben. Der Antrag der Amerikaner auf Wiedergutmachung soll am 29. Juni in Genua verhandelt werden. Eingeladen sind dazu nicht nur die Antragsteller selbst und die Crash-Verursacher, sondern auch alle anderen Ocean-Race-Teams.
Das Procedere hat Ocean-Race-Renndirektor Phil Lawrence am späten Abend des 21. Juni bekannt gegeben. Im offiziellen Statement heißt es, dass “die Internationale Jury von World Sailing die Anhörung für den Antrag des 11th Hour Racing Teams auf Wiedergutmachung vorläufig auf den 29. Juni für 10.00 Uhr angesetzt hat”. Die Anhörung wird persönlich in Genua stattfinden. Das ergibt Sinn, denn die Antragsteller und alle anderen Teams, die zur Anhörung eingeladen sind, werden den italienischen Ocean-Race-Zielhafen mit dem Showdown von Etappe sieben erst am 27. oder 28. Juni erreichen.
Weiter heißt es im Ocean-Race-Statement: “Da das Ergebnis der Anhörung des 11th Hour Racing Teams die gesamte Flotte betreffen kann, ist die Internationale Jury verpflichtet, eine möglichst faire Regelung für alle betroffenen Boote zu treffen, und möchte daher der gesamten Imoca-Flotte das Recht geben, bei der Anhörung anwesend zu sein, um ihre Ansichten darzulegen und Fragen zu stellen.”
Weiter erklären die Ocean-Race-Veranstalter: “Dementsprechend wird die Internationale Jury, die nach den internationalen Wettfahrtregeln des Segelsports 60.3(b) handelt, gleichzeitig eine Wiedergutmachung für Team Holcim – PRB, Team Malizia, Biotherm und das Guyot Environnement – Team Europe nach der Kollision zu Beginn der siebten Etappe prüfen. Der Vorfall führte dazu, dass sowohl das 11th Hour Racing Team als auch das Guyot Envrionnement - Team Europe die Etappe mit Schäden beendeten und das 11th Hour Racing Team anschließend einen Antrag auf Wiedergutmachung stellte.”
Was in der Zwischenzeit geschieht: Team Guyot segelt seinem Heimathafen in Frankreich entgegen. Die Crew wird aber zum Finale im Zielhafen Genua sein. Gleichzeitig befindet sich das 11th Hour Racing Team nach Blitzreparatur seiner Imoca “Mālama” auf Kurs Genua. Die Amerikaner, die Etappe sieben offiziell aufgegeben haben, unternehmen mit der Überführung ihres wieder einsatzfähigen Bootes nach Genua den Versuch, bis zum 30. Juni im italienischen Zielhafen einzutreffen, um dort wieder zur Flotte zu stoßen und am 1. Juli das letzte Hafenrennen dieser 14. Auflage des Ocean Race bestreiten zu können.
Die von World Sailing bestätigte Internationale Jury besteht aus sechs Mitgliedern. Den Vorsitz hat der Spanier Andres Perez. Weitere Mitglieder sind der Brite Chris Atkins, die Holländerin Pauline Den Burger, die Dänin Line Buhl, der Franzose George Priol und die Polin Sofia Truchanowicz. Ein Antrag auf Wiedergutmachung ist im Segelsport eine bekannte Verfahrensweise, wenn durch Vorfälle bei Regatten Teams ohne eigenes Verschulden benachteiligt werden.
Der relevante Abschnitt in den Wettfahrtregeln für Segler ist Regel 62.1. Hier heißt es unter anderem wie folgt: “Ein Antrag auf Wiedergutmachung oder die Entscheidung eines Protestkomitees, eine Wiedergutmachung in Betracht zu ziehen, muss auf der Behauptung oder der Möglichkeit beruhen, dass ein Ergebnis oder die Platzierung eines Bootes in einer Wettfahrt oder Serie ohne eigenes Verschulden erheblich verschlechtert wurde oder werden kann durch (…) Verletzungen oder körperliche Schäden aufgrund der Aktion eines Bootes, das eine Regel verletzt hat (…) und eine angemessene Strafe erhalten hat oder bestraft wurde (…).”
In Verbindung steht der Prozess mit Regel 64.3. zu Entscheidungen über Wiedergutmachungen: “Wenn das Protestkomitee entscheidet, dass ein Boot Anspruch auf Wiedergutmachung nach Regel 62 hat, muss es eine möglichst faire Regelung für alle betroffenen Boote finden, unabhängig davon, ob sie um Wiedergutmachung gebeten haben oder nicht. Dies kann bedeuten, dass die Wertung (siehe Regel A9 für einige Beispiele) oder die Zielzeiten der Boote angepasst werden, dass das Rennen abgebrochen wird, dass die Ergebnisse bestehen bleiben oder dass eine andere Regelung getroffen wird (…).”
Die Entscheidung der Internationalen Jury über den Antrag auf Wiedergutmachung soll schnellstmöglich nach dem Erreichen eines Urteils mitgeteilt werden. Es wird für das 14. The Ocean Race von ausschlaggebender Bedeutung sein. Erstmals wird ausgerechnet im 50. Jubiläumsjahr des wichtigsten Rennens um die Welt sein Ausgang am grünen Tisch entschieden. Gewünscht hat sich diesen Ausnahmefall niemand. Zurechtkommen müssen damit alle.
Wie die segelnden Teams damit umgehen werden, können sie in den letzten Tagen der laufenden Etappe diskutieren. Auf Etappe sieben steuern die Teams Holcim – PRB, Biotherm und Malizia aktuell die Straße von Gibraltar an. Die Schweizer verteidigen weiter ihre Führung mit knapp zwölf Seemeilen Vorsprung vor den Franzosen. Boris Herrmanns Team Malizia hat nach Verlusten in tagelanger Flautendümpelei Boden gutmachen können, hatte am Mittag des 22. Juni nur noch 27 Seemeilen auf die Spitzenreiter aufzuholen.
Bis ins Ziel hatte Team Holcim – PRB an Etappentag sechs noch 940 Seemeilen zu absolvieren. Die Schweizer waren am Donnerstag mit 17 Knoten flott unterwegs. Team Malizia aber hatte zuletzt über 24 Stunden höhere Geschwindigkeiten als die Rivalen erreicht und segelte auf Kurs Gibraltar-Nadelöhr dichter an der Rhumbline. Boris Herrmann und sein Team könnten bei ihrer Aufholjagd von einem Linksdreher und zunehmenden Winden profitieren.