Tatjana Pokorny
· 02.03.2023
Es gibt nur wenige Menschen auf dem Planeten, die ihren Job heute mit Will Harris hätten tauschen mögen. Boris Herrmanns Co-Skipper war Malizias Mann des Tages in gefährlicher Mast-Mission. Im 28 Meter hohen Rigg führte er die mehrstündige Reparatur durch, die ein Riss unvermeidlich gemacht hatte. Ob sein bravouröser Einsatz auf der Königsetappe im Ocean Race belohnt wird, soll die Inspektion am Freitag zeigen
“Dafür braucht es viel Mut”, attestiert Boris Herrmann seinem Co-Skipper Will Harris an einem Tag der Hochspannung an Bord von “Malizia – Seaexplorer”. Herrmann selbst geht offen damit um, dass er Höhenangst hat. Als er bei seinem Vendée-Globe-Soloeinsatz in der Nacht zum 27. November 2020 doch in den Mast musste, weil sein Mastschloss blockiert war, hat ihn das an seine Grenzen und darüber hinaus geführt. Der Angst trotzte er damals mit viel Adrenalin im Körper.
Auf Etappe drei im Ocean Race hat an diesem Tag Will Harris die schwere Aufgabe der notwendigen Arbeiten im Mast übernommen. Ursprünglich hatte Team Malizia schon bei Tagesanbruch mit der schwierigen Reparatur beginnen wollen, die ein etwa 30 Zentimeter lange Riss erforderlich gemacht hatte. Der war entstanden, als am Vortag das Fallenschloss gebrochen und der Code Zero von oben gekommen war.
Alle Reparatur-Schritte sind vom Technik-Team an Land zuvor detailliert durchdacht und geplant worden. Zunächst aber musste der Reparaturstart aufgrund des zu starken Seegangs verschoben werden. Zu groß wären die Gefahren bei der Arbeit im Mast für Will Harris gewesen.
Ziel der Aktion ist es, Kohlefasergelege über den beschädigten Mast zu laminieren. Während unter Deck das Reparaturmaterial vorbereitet wird, hält Navigator Nico Lunven das Boot auf Kurs. An-Bord-Reporter Antoine Auriol dokumentiert alle Arbeiten. Boris Herrmann koordiniert die Abläufe und kommuniziert mit dem Technik-Team, während Rosie Kuiper das Laminat vorbereitet. Alle Arbeiten folgen den strengen Vorgaben des Technik-Teams, das auf Abruf bereitsteht, um weitere Fragen zu beantworten.
Drei Lagen Kohlefasern müssen vorbereitet werden. Da die nicht in unendlicher Zahl in den Ersatzteiltaschen stecken, ist kein Raum für Fehler oder Verschwendung. Will Harris geht freiwillig den Mast hoch und beginnt mit der Vorbereitung der Fläche. Es herrscht wenig Wind, doch der Seegang ist immer noch chaotisch. Die etwa drei Meter hohen Wellen machen die Reparatur zu einer echten Herausforderung.
Will muss die beschädigte Stelle mit einer Flex anschleifen, um eine angeraute Fläche zu schaffen, auf der das Laminat optimal haftet. Der Prozess dauert weit über eine Stunde, in der Harris durch das Schwingen des Riggs immer wieder gegen den Mast gedrückt wird. Schnell ist er im Schleifprozess über und über mit Kohlestaub bedeckt.
Das Team kommuniziert mit Will über die Bluetooth-Headsets. So können sie mit ihm in Kontakt bleiben und seine Fragen direkt an das Technik-Team weitergeben. Dann ist Will eine kurze Pause vergönnt, bevor er erneut in den Mast muss, um das Laminat auf die vorbereitete Stelle aufzutragen. Jetzt beginnt der Wettlauf gegen die Uhr.
Ist das Harz erst auf das Kohlefasergelege aufgetragen, bleiben 25 Minuten Zeit, bevor es anfängt zu reagieren. Will geht in den Mast, um Spabond aufzutragen. Dann signalisiert er dem Team unten, dass er bereit ist, die ersten Lagen Kohlefaser zu empfangen. Rosie beginnt bei null Minuten mit der Vorbereitung des Harzes. Die Kohlefaserlagen liegen auf einer Plastikfolie und werden der Reihe nach mit Harz getränkt. Das dauert etwa zehn Minuten.
Auf diese Weise vorbereitet, wird das Gelege in einen Eimer gelegt und zu Will hochgezogen. Inzwischen sind 15 Minuten vergangen. Will bringt die erste Lage auf den Mast auf und teilt dem Team unten mit, dass er fertig ist. Erst dann kann Rosie damit beginnen, die nächste Charge Harz für das zweite Gelege und dann für für das dritte zu mischen. Insgesamt dauert der Prozess mehrere Stunden. Will ist dabei durchgehend im Mast.
Mit dem Auftragen der letzten Lage entfernt Will Harris die Plastikfolie und rollt mit einer Laminierwalze alle Luftblasen aus dem Gelege. Den langwierigen Prozess bringt Will in pechschwarzer Nacht mit dem Licht aus seiner Stirnlampe zu Ende. Nach sechs bis zwölf Stunden sollte die Stelle ausgehärtet sein. Am Freitagmorgen wird wieder ein Malizia-Crewmitglied in den Mast gehen, um die Stelle zu prüfen.
Das Idealziel wäre erreicht, wenn der Mast nach der Reparatur wieder maximal belastet werden kann. Sollte dieser Wunschzustand nicht erreicht werden können, kann das Team immer noch mit einem kleinen Vorsegel und einem reduzierten Großsegel (ein Reff) weitersegeln. Als Will Harris an diesem langen Donnerstag endlich wieder an Deck steht, sagt Boris Herrmann: “Episches Teamwork, danke für all eure Unterstützung! Jetzt können wir nur noch die Daumen drücken und abwarten, ob es gut geht.”
Angesichts von viel Bruch und Aufregung an Bord der Boote mit deutscher Beteiligung ist das sportliche Geschehen im Ocean Race zuletzt etwas in den Hintergrund geraten. Die dezimierte Flotte wird weiter souverän von Kevin Escoffiers Schweizer Team Holcim – PRB angeführt. Die Mannschaft war als einzige der Flautenfalle entronnen und rauscht davon. Abby Ehler sagte: “Wir genießen unglaublich schöne Segelbedingungen unter blauem Himmel.”
Über die Gefahr, das Boot mit einer Ocean-Race-Crew im Gegensatz zu den Soloseglern zu stark zu fordern, sagte Abby Ehler: “Es ist schwer, die richtige Balance zwischen schnellem Segeln und dem Schutz des Bootes zu finden. Dieses Boot will abheben. Wir sind schon mit reduzierter Segelfläche und etwas eingezogenen Foils unterwegs, doch dieses Boot ist wie ein Rennpferd. Und wir sind im Herzen Wettkämpfer, wollen pushen. Nur eben nicht so hart, dass wir das Boot gefährden.”
“Holcim – PRB” hatte sich zum Auftakt von Renntag fünf auf der Königsetappe entlang der drei Kaps bei einer 24-Stunden-Durchschnittsgeschwindigkeit von 18,4 Knoten einen Vorsprung von 380 Seemeilen auf Charlie Enrights US-Team 11th Hour Racing erarbeitet. Deren 24-Stunden-Durchschnittsgeschwindigkeit in flauen Winden: 4,3 Knoten. Team Malizia war am Abend des 2. März 489 Seemeilen hinter “Holcim – PRB” zurückgefallen. Team Biotherm hatte im “Flauten-Gefängnis” 537 Seemeilen Rückstand auf die Spitzenreiter angesammelt. Das Guyot Environnement – Team Europe hatte indessen noch 380 Seemeilen bis in den Etappenhafen Kapstadt zu absolvieren, wo das Boot repariert werden soll.