Max Gasser
· 20.01.2023
Kurz vor dem Start der ersten Etappe von The Ocean Race wurde bekannt, dass Team Malizia seine Foils austauschen muss. Umso überraschender war es, wie gut das daraufhin gelang – derzeit liegt das Team auf dem dritten Platz und konnte bereits das In-Port Race gewinnen. Wir klären, woher die Profile kommen, wie gut sie funktionieren und wo Probleme zu befürchten sein könnten
Es war der aus deutscher Sicht größte Schock im Vorlauf von The Ocean Race: Völlig unerwartet kam bei der standardmäßigen Untersuchung der Foils von “Malizia – Seaexplorer” heraus, dass diese schwere Struktur-Schäden erlitten hatten. Die Folge: Die Foils mussten für das Ocean Race ausgetauscht werden. Da die Profile mindestens 500.000 Euro kosten und es fast sechs Monate dauert, sie zu bauen, eigentlich ein herber Rückschlag für das Team um Skipper Boris Herrmann.
Doch dadurch scheint das Team an Stärke gewonnen zu haben. Vor Ort in Alicante hegte kein Teammitglied vor dem Start auch nur den geringsten Zweifel. Im Gegenteil: Die Crew erschien positiver denn je, wenn auch etwas überrascht. Auch Skipper Boris Herrmann zeigte sich einen Tag vor dem Start zuversichtlich: “Es macht Spaß zur Zeit, und das Team freut sich über den Erfolg, diese Krisensituation in eine relativ selbstbewusste, starke Position umgedreht zu haben, in der wir denken: ,Vielleicht sind wir sogar besser als zuvor’.” Denn die Crew ist sich einig, dass die neuen Tragflächen in manchen Bedingungen sogar besser performen als die alten. So sei die Fluglage nun deutlich stabiler, und das bei einer mindestens gleich hohen Endgeschwindigkeit, allerdings komme man erst etwas später auf die Foils.
Woher sie stammen, wie nah sie an den Original-Foils von „Malizia – Seaexplorer“ dran sind, darüber schwieg das Team zunächst. Klar war jedoch von Anfang an: Sie unterscheiden sich sowohl in der Länge als auch in der Form gravierend von den VPLP-Anhängen, die bis Dezember montiert waren.
Die ursprünglichen Foils haben lange und vom sogenannten Ellbogen an – dem Winkel nach dem im Rumpf gelagerten Schaft – nur leicht nach oben weisende Spitzen. Sie entsprechen damit dem aktuellen Designkonzept der Klasse. Die jetzt montierten Flügel von „Malizia – Seaexplorer“ sind dagegen sichelförmig gerundet und ragen seitlich deutlich weniger weit ins Wasser. In maximal aufgeholter Position ragen sie eine Handspanne weiter aus dem Rumpf, als es wünschenswert und optimal für leichtwindige Bedingungen wäre.
Das rundere Profil verspricht aufgrund seiner Form eine deutlich höhere Stabilität und eignet sich auf raumen Kursen besser. Zudem wird die Gefahr gemindert, dass die Foils vollständig ins Wasser eintauchen (beispielsweise beim Absurfen/Eintauchen in eine Welle) und das Boot so noch weiter ins Wasser ziehen, anstatt es herauszuheben - so geschehen bei Kevin Escoffiers Havarie bei der Vendée Globe 2020, weshalb sein Imoca zerbrach und daraufhin sank. Diese Reversed-Load-Belastung mag “Malizia - Seaexplorer “ aufgrund ihrer robusten Bauweise zwar besser aushalten als Ecoffiers gesunkene “PRB”, die Foils und ihre Lager sind allerdings nicht darauf ausgelegt.
Aufgrund der optisch größten Nähe ließen die Spekulationen, dass es sich um die Foils von Sam Davies’ „Initiatives Cœur 4“ handle, nicht lange auf sich warten. Und tatsächlich ist man damit auf dem richtigen Weg. Das Design ist nämlich exakt das Gleiche, allerdings sind es nicht die Foils von Davies. Stattdessen waren sie für ein noch nicht fertiggestelltes Schwesterschiff gedacht (Skipper und Boot werden während der boot Düsseldorf öffentlich gemacht) und sind somit komplett neu.
„Initiatives Cœur 4“ gilt als leichter im Vergleich zu Boris Herrmanns bewusst solide konstruiertem und gebautem Boot – ein durchaus entscheidender Faktor bei der Wahl der Profile. Zudem stammen die beiden Imocas und damit auch die Foils von zwei unterschiedlichen Designern. Das ist zwar erstaunlich, war allerdings alternativlos, denn es gibt schlichtweg keinen aktuellen Imoca aus demselben Designbüro. Während “Malizia – Seaexplorer” bei VPLP nach den speziellen Vorstellungen Herrmanns entstanden ist, handelt es sich bei Sam Davies’ Boot um ein Design von Sam Manuard, genauer um einen modifizierten Nachbau von “Bureau Vallée” (ex. “l’Occitane“).
Laut Teammanagerin Holly Cova sei man bereits auf diesen Ernstfall eingestellt gewesen. Man habe vorgesorgt und nach möglicherweise passenden Foils Ausschau gehalten. Übrig geblieben seien drei Varianten, aus denen man nun eine ausgewählt habe. Preislich wird es definitiv kein Schnäppchen gewesen sein, ein im Race Village darauf angesprochenes Mitglied des Landteams konnte keine genaue Angabe machen, allerdings seien es “sehr viele Nullen” gewesen.
Die alten Foils von “Malizia – Seaexplorer” werden derzeit in Frankreich untersucht. Sie waren technisches Neuland, da sie in einem innovativen Herstellungsverfahren von Robotern laminiert worden waren. Bislang waren die Profile, die aus Hunderten von Lagen Kohlefaser laminiert und immer wieder im Autoklaven gebacken werden müssen, von Hand gefertigt. Die neue Technik sollte eigentlich homogenere, höherwertige Laminate hervorbringen.
Ob der Schaden nun daher rührt oder eine Folge des Defektes der oberen Foil-Führung ist, der Herrmann während der Route du Rhum zurückwarf, ist noch nicht bekannt. Dabei waren die Metallbolzen am Kopf gebrochen und die Seitenplatten, die das Foil halten, hatten sich verbogen. Das Team hatte vor der Rücküberführung von Guadeloupe nach Alicante die Metallteile ersetzt und war davon ausgegangen, dass das Problem so gelöst ist. Während der Überführung war das Boot aber erstmals mit hohem Speed jenseits der 30 Knoten in teils sehr grober See gesegelt.
Besonders kritisch wird dabei, und auch in Bezug auf die neuen Foils, das bereits erwähnte hohe Gewicht von “Malizia – Seaexplorer” gesehen. Auch hier könnte die Ursache liegen, denn nie wurde ein foilender Imoca so wie dieser gebaut. Während die anderen als Sandwich gebaut wurden, entschied Herrmann sich für einen Rumpf aus Massiv-Laminat, welcher widerstandsfähiger gegen die Teils harten Schläge sein soll. “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat kommentierte dies in Bezug auf das Gewicht eher belächelnd: “Wenn man sich ,Malizia’ anschaut, dann müsste man zwei ‘Biotherms’ bauen, um eine Malizia zu bekommen.”
Bisher kann Malizia allerdings gut mit dem Feld mithalten und liegt derzeit auch vor der leichteren “Biotherm”. Das Team um Boris Herrmann geht fest davon aus, dass sich die neuen Profile auch langfristig bewähren werden, und sieht daher auch keinen Bedarf, diese an einem der kommenden Stopps von The Ocean Race ein weiteres Mal mit Ultraschall zu überprüfen.