Tatjana Pokorny
· 21.05.2023
Die fünfte Ocean-Race-Etappe hat begonnen wie die vierte endete: Team Malizia lieferte sich im nachgeholten Hafenrennen ein spannendes Duel mit 11th Hour Racing, bevor die Vier-Boote-Flotte dem Atlantik entgegenstrebte. Dabei agierte die Crew um Boris Herrmann sehr entschlossen – und revanchierte sich erfolgreich für den entgangenen Sieg auf Etappe vier
“Aggressiv” ist sonst nicht das Adjektiv, mit dem Boris Herrmanns Team Malizia im Ocean Race zuerst beschrieben wird. An diesem Sonntag war es im nachgeholten Hafenrennen vom Vortag zum Start von Etappe fünf anders. Vor Newport ging das Segel-Quartett auf “Malizia – Seaexplorer” im Matchrace mit den Amerikanern äußerst entschlossen zur Sache. Als drittes Boot über die Startlinie gegangen, erkämpften sich Boris Herrmann, Will Harris, Rosie Kuiper und Yann Eliès schon bald die Führung – und gaben sie nicht mehr ab.
An diesem Ocean-Race-Sonntag bot der historische US-Segelhafen Newport zunächst die Bühne für das aufgrund zu stürmischer Winde auf den Etappenstarttag verschobene Hafenrennen. Die Sonne war mit leichtem Südwestwind zurückgekehrt. Die Zuschauer drängten sich sowohl an Land im Fort Adams State Park als auch auf See entlang der Ufer an der Regattastrecke. Die Fans fieberten mit der Flotte mit, bevor die Teams im Anschluss an das Hafenrennen das offene Meer ansteuerten.
Skipper Charlie Enright gab dem heimischen Publikum zum Auftakt zunächst Grund zum Jubeln. Sein Team 11th Hour Racing gewann den Start zum vorgeschalteten Hafenrennen nach fast perfektem Timing mit rund drei Bootslängen Vorsprung. Die Amerikaner führten die Flotte zur Begeisterung ihrer Anhänger durch das erste Gate an. Doch es dauerte nicht lange, bis Team Malizia den Rückstand aufholte und bei nachlassendem Wind vorbeizog.
Francesca Clapcich, mit 11th Hour Racing auf Etappe vier siegreich und zum Start von Etappe fünf als Co-Kommentatorin bei der Eurosport-Übertragung vom Ocean Race im Einsatz, sagte: “Auf der letzten Etappe haben wir Team Malizia 17 Tage dicht bei uns gehabt. Jetzt geht das schon wieder los.” Im Matchrace zwischen den beiden Teams war zu sehen und zu hören, wie intensiv Boris Herrmann und seine Mannschaft zur Sache gingen.
Die Arme der Malizianer schienen an den Grindern noch schneller zu fliegen als sonst. Rosie Kuiper feuerte das Team beim Kurbeln lautstark an: “Go, go, go, go, go!” Davon war auch Co-Kommentatorin Sam Davies beeindruckt. “Das war aber eine ziemlich intensive Wende von Rosie”, sagte die Britin anerkennend. Die Einsatzfreude der Crew um Boris Herrmann führte zum Sieg für Team Malizia im Hafenrennen. In der Zwischenwertung der sogenannten In-Port-Rennen führt zwar weiter 11th Hour Racing mit 17 Punkten vor Team Malizia (16 Punkte) und “Holcim – PRB” (10 Punkte), doch die Herrmann-Crew konnte den Rückstand auf die Amerikaner auf nur noch einen Zähler verkürzen.
Nahtlos ging es im Anschluss an das Hafenrennen weiter mit der doppelt gewerteten fünften Etappe. Der 3.500-Seemeilen-Abschnitt führt das nach dem vorläufigen Guyot-Aus auf vier Boote geschrumpfte Feld in die dänische Seglerstadt Aarhus. Fast Kopf an Kopf ringen das gesamtführende Team Holcim – PRB (19 Punkte) und die punktgleichen Teams 11th Hour Racing und Malizia (beide 18 Punkte) auf dieser Etappe um die Vorherrschaft im Ocean Race. Dem Etappensieger winken satte zehn Punkte.
Boris Herrmann sagte vor dem Etappenstart: “Für mich geht es zurück in mein Heimatrevier. Ich freue mich auf die Ostsee, wo ich in Dänemark schon mit der Familie Urlaub gemacht habe. Da kenne ich mich ganz gut aus.” Malizias Teamgründer machte keinen Hehl daraus, dass er diese Etappe mit seinem Team gewinnen will: “Sie bringt die statistisch höchste Wahrscheinlichkeit von Wind und Wellen und liegt uns.”
Alle Boote machen Fortschritte. Das 11th Hour Racing Team hat gerade sein Paar V2-Foils wieder eingesetzt und neue Segel ausgepackt. Team Malizia hat sich in der Geschwindigkeit verbessert.” (Kevin Escoffier)
Kevin Escoffier und sein Schweizer Team Holcim – PRB sind nach ihrem Mastbruch auf Ocean-Race-Etappe vier mit neuem Mast in die fünfte Etappe gestartet. Zwar hatte das Team bis auf ein paar Stunden am Samstag kaum Zeit, das neue Rigg zu testen, doch Escoffier äußerte sich zuversichtlich: “Natürlich müssen wir in den ersten Tagen das Vertrauen in unser Rigg zurückgewinnen, auch wenn die Arbeit des technischen Teams beeindruckend war.”
Weiter erklärte der Franzose: “In nur wenigen Tagen ist es uns gelungen, ein Boot wieder in einen beeindruckenden Leistungs- und Rennzustand zu versetzen, aber alle Boote machen Fortschritte. Das 11th Hour Racing Team hat gerade sein Paar V2-Foils wieder eingesetzt und neue Segel ausgepackt. Team Malizia hat sich in der Geschwindigkeit verbessert. Wir müssen hundert Prozent unseres Könnens und hundert Prozent des Bootsvermögens abrufen, wenn wir in Aarhus gewinnen wollen. Das ist ganz normal. Es ist ein Rennen auf sehr hohem Niveau, und deshalb sind wir hier.”
Für Paul Meilhats Team Biotherm könnte diese Etappe mit doppelter Punktevergabe indessen eine letzte Chance sein, wieder in den Kampf um die Podiumsplätze einzugreifen. Mit fünf Punkten Rückstand auf die drei Erstplatzierten wäre ein Sieg auf dieser Etappe ein wichtiger Schritt, um das Blatt für das jüngste Boot der Flotte und seine Mannschaft noch zu wenden.
“Es ist ein bisschen schwierig, weil wir einfach nicht ganz auf der Höhe sind”, sagte Meilhat bei seiner Ocean-Race-Premiere. “Wir machen Fortschritte, aber das tun unsere Konkurrenten auch. Es ist schwierig, weil es sich so anfühlt, als würden wir mit anderen Waffen spielen als die anderen. Wir müssen uns auf unsere Ziele konzentrieren. Hier zu sein, ein Teil dieses verrückten Abenteuers zu sein, ist schon etwas Besonderes, und wir machen uns wirklich gut. Hinzu kommt, dass wir noch leben, nicht weit hinter den anderen liegen und in dieser Etappe noch zehn Punkte zu holen sind!”