Liebe Leserinnen und Leser,
Haben wir das nicht alle unseren Kindern beigebracht? Wer laut wird, hat Unrecht. Doch bevor ich mich dazu weiter einlasse, zunächst einmal: Einspruch!
Was mein Kollege Nils Leiterholt an dieser Stelle über den America’s Cup schrieb, teile ich nicht. Die Wettfahrten der Foiler vor Barcelona sind für mich überhaupt nicht langweilig, im Gegenteil. Es mag daran liegen, dass meine seglerische Prägung als Um-die-Tonnen-Fahrer erfolgte, also als Regattasegler. Jedenfalls habe ich Puls, wenn es bei der Übertragung auf Youtube an die Linie geht und erst recht, wenn es auf dem Kurs eng wird.
Dabei ist mir etwas aufgefallen. Es war in der letzten Wettfahrt der Ausscheidung der Herausforderer zwischen Italien und den USA. Ich hatte einen Aha-Effekt. Womit ich beim Lautwerden wäre. Oder vielmehr der Beherrschung desselben.
Die Italiener segelten Amwind mit Wind von Steuerbord, also Wegerecht. Die Amerikaner kamen auf dem anderen Bug mit 50 Metern Vorsprung. 50 Meter, das ist bei diesen Booten nichts. Die legen sie bei 30 Knoten Amwindgeschwindigkeit in drei Sekunden zurück. Es wurde äußerst knapp. Vorne rum passieren, hinten durchfahren, oder wenden? Das waren die Optionen der Amerikaner. Sie entschieden sich für die Wende. Für die Abwägung und das Manöver hatten sie nur wenige Sekunden Zeit.
Die Art, wie sie dabei kommunizierten, fand ich beeindruckend. Kein Geschrei, keine hektischen Kommandos. Der Bordfunk, der in den Übertragungen gut zu hören ist, klang von der Tonalität her eher so, also würde man sich darüber unterhalten, was es am Wochenende zu essen geben soll. Und dass sogar noch Zeit blieb, die Wende anzuzählen, also „three, two, one, board down“ (Flügel runter), zeugte von enormer Beherrschung, Professionalität eben.
Es wird ja immer viel über die sogenannten „Spin-offs“ dieser Hightech-Sportart geschrieben, dass sich also Entwicklungen vom America’s Cup in den Breitensport durchsetzen. Das ist auch in der Tat so, Membransegel, Grinder, Kohlefaserverarbeitung sind nur einige Beispiele. Nun mag es schwerfallen, sich die Foiltechnik als Spin-off für das Fahrtensegeln vorzustellen. Ich würde mir aber wünschen, dass etwas anderes solch ein Spin-off würde: die Art der Kommunikation.
Was haben wir uns früher auf der Regattabahn angeschrien, bei mir als Einhandsegler zwar eher nicht an Bord, sondern vor allem am Start und an den Bahnmarken ging es laut zwischen den Booten zu. Auch ich war da sicher kein Mäuschen. Auch ich habe sicher mal im Stile eines Disco-Türstehers gebrüllt „du kommst hier nicht rein“. Nach dem Motto: Wer am lautesten ist, setzt sich durch.
Auch beim Fahrtensegeln ist Ähnliches bei Hafenmanövern immer wieder zu beobachten. Wer schreit, meist der Skipper, hat Recht und kann so auch von eigenen Fehlern ablenken. Wobei mancher auch gar nicht anders kann, als laut zu werden. Wer bei viel Wind etwa auf einem 50-Füßer jemanden auf dem Vorschiff anweisen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als zu brüllen. Oder aber mit Handzeichen zu arbeiten. Ein griechischer Vercharterer rüstet seine Yachten schon standardmäßig mit Headsets aus.
Was eine schlaue Idee ist. Wer nicht gegen Umgebungsgeräusche anbrüllen will, kann sich heute ganz leicht entsprechender Technik bedienen. Mein Kollege Michael Rinck hat das nötige Knowhow in diesem Artikel zusammengefasst. Auch beim America’s Cup entfällt eine höhere Dezibelzahl schon wegen der Hightech-Headsets.
Doch auch ohne Technik kann man sich, wie ich meine, einiges bei den Segelprofis abschauen. Damit meine ich den Inhalt der Kommunikation: Weg mit den Emotionen, rein mit den Fakten. Das gilt im Alltag wie an Bord. Sei es bei der Reaktion auf Emails, bei Kommentaren in Sozialen Netzwerken oder bei Manövern. Ruhig Blut, sachlich bleiben. Für Emotionen ist dann nach Sonnenuntergang immer noch Zeit.
Chefredakteur Wassersport Digital
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