Liebe Leserinnen und Leser,
während Boris Herrmanns Teilnahme bei der zurückliegenden Vendée Globe oder Deutschlands SailGP-Team um Erik Heil neue Aufmerksamkeit auf den Segelsport lenken, lohnt sich zum Saisonstart der Blick hinter die Kulissen: Was genau passiert eigentlich in der Nachwuchsarbeit des deutschen Segelns? Was führt zum Erfolg und vor allem: wie schaffen wir es, uns gegen Konsole, PC und Smartphone durchzusetzen, um Kinder überhaupt langfristig für das Segeln zu begeistern? Den Anfang macht bei den allermeisten der Opti – auch bekannt als „das kleinste Dreimann-Boot der Welt“.
Diese und ähnlich zynische Sprüche kennt man aus dem Umfeld der Regattaszene nur allzu gut. Während der Segelsport gern stolz auf sein Potenzial verweist, Eigenständigkeit und Verantwortung schon in jungen Jahren zu fördern, touren nicht wenige der aktuell 403 auf der Rangliste zur Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft geführten Opti-A-Segler mit einer handfesten Shore-Crew, bestehend aus den Eltern (optional auch zuzüglich der Großeltern, Tanten und Onkels), durch die halbe Republik. Klar, ob der Altersbeschränkung von 15 Jahren sind die Steuerleute der Einstiegsbootsklasse logistisch auf Eltern, Verein- und Verbandsstrukturen angewiesen. Die Aktivitäten der berühmt-berüchtigten Opti-Eltern gehen allerdings weit über den reinen Fahrdienst hinaus: Die Erzeuger fungieren im hektischen Trubel zwischen Bootspark und Regattabüro mitunter als Rigger, Bootsbauer, Koch, Meteorologe und vieles mehr.
Die liebgemeinte Unterstützung dieser häufig plakativ als „Helikopter-Eltern“ titulierten Opti-Väter und -Mütter, wirkt sich erwiesenermaßen oftmals tatsächlich eher negativ auf die Entwicklung der Kinder aus. Verschiedene Studien zeigen, dass übermäßiger Einfluss langfristig die Selbstständigkeit der jungen Sportler hemmen und sogar das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit senken kann – in Einzelfällen besteht gar die Gefahr, psychische Belastungen oder Ängste daraus entstehen zu lassen.
Klar ist allerdings auch, dass die Eltern in den jungen Segelkarrieren eine elementare Rolle spielen und die Kinder wie bereits erwähnt auch auf die Unterstützung angewiesen sind. Neben den „Helikopter-Eltern“ fällt in der Beobachtung vor allem eine weitere, eng verwandte Spezies auf. Diese Art der Opti-Eltern zeichnet sich durch den äußerlichen Anschein einer Olympia-Zucht aus. Am prägnantesten erinnere ich mich hierbei noch immer an einen Vorfall aus meiner eigenen Opti-Zeit. Kurz vor meinem Umstieg in den Opti-A wurde ich bei einer Wochenend-Regatta am Schluchsee von einem hiesigen fremden Elternteil harsch angegangen, bereits deutlich zu alt für Opti-B zu sein. Er selbst habe seinen Kindern im Alter von zwei Jahren das Schwimmen gelehrt und sie möglichst noch am Tag der Seepferdchen-Prüfung in einen Opti verfrachtet. Mit vier sollten seiner Vorstellung zufolge die ersten Regatten gesegelt und gewonnen werden, mit spätestens acht der Umstieg nach Opti A. Nach zahlreichen Erfolgen mit 13 dann der erneute Umstieg in eine der vorolympischen Jugendbootsklassen. Und danach sei der Weg ja klar geebnet: Titel, Titel, Titel und mit 18 zu Olympia!
Tina Lutz ist die bisher einzige deutsche Opti-Weltmeisterin (2005), die es später zu den Olympischen Spielen schaffte. Die damals 14-Jährige wurde in Deutschland über Nacht zum Segelstar. Den Triumph hat Lutz in den folgenden Jahren abwechselnd als „Mühlstein“ und als Auszeichnung mit Mehrwert empfunden. Die junge Seglerin vom Chiemsee wurde als „Jahrhundert-Talent“ bezeichnet und oft an ihrer Ausnahmeleistung gemessen. „Ich habe viel daran arbeiten müssen, mir nicht selbst ständig so krassen Druck zu machen“, sagte die Olympia-Silbermedaillen-Gewinnerin rückblickend. Mit derlei Erfahrungen ist sie unter hochgehypten Talenten aller Sportarten nicht allein.
Eine so hohe Spezialisierung mit einem derart hohen Pensum in solch jungem Alter führt erwiesenermaßen auch zu hohen Drop-Out-Raten. Im Segelsport sollen diese beim Umstieg aus dem Optimisten bei 50 bis 75 Prozent liegen. Das kann ich aus meinen eigenen Erfahrungen durchaus bestätigen. Besonders schade ist hierbei, dass es in einer Vielzahl von Fällen nicht gelingt, die betreffenden Sportler zumindest beim Freizeitsport Segeln zu halten. Stattdessen kehren viele dem Segeln vollständig den Rücken.
Das bringt mich zu einer etwas neueren, aber nicht weniger besorgniserregenden Entwicklung der Gesellschaft, welche sich auch im Segelsport niederzuschlagen scheint: fehlendes Commitment!
Denn auch im vollkommenen Anfänger-Bereich sind Drop-Outs schon nach wenigen Monaten keine Seltenheit. Für mich wenig überraschend, wenn ich die Freizeitkalender einiger Kinder höre: Klavierspielen am Montag, Hockey-Training am Dienstag, Segeln am Mittwochnachmittag direkt nach dem Handballtraining, Hobby-Horsing dann am Donnerstag nach der Schule, usw. Wann bleibt dabei Platz, sich überhaupt aufs Segeln einzulassen?
Möglicherweise mag manch geneigter Leser mir an dieser Stelle einen Widerspruch vorwerfen, da ich mich zuvor gegen zu starke Spezialisierung und jetzt wiederum gegen zu starke Diversifizierung ausgesprochen habe. Hier sei darauf hingewiesen, dass es zwischen sieben Hobbys an sieben Wochentagen und einem einzigen Hobby mit enormem Leistungsdruck auch einen gewissen Mittelweg gibt.
Denn die enorme Zersplitterung der Freizeit von Kindern und Jugendlichen schadet schlussendlich allen Sportarten. Überraschung: auch zu dieser Problematik gibt es bereits Wissenschaft. Die Untersuchungen zeigen unter anderem, dass neben intrinsischer Motivation vor allem angemessene Unterstützung durch Eltern und Trainer sowie ein starkes Teamgefühl zu langfristiger Identifikation mit der Sportart führen. Dazu muss grundlegend über einen längeren Zeitraum regelmäßig das Training besucht werden. Das Überangebot an Alternativ-Programmen und die immer mehr zur Normalität gewordenen Last-Minute-Absagen per WhatsApp sind hierbei nicht förderlich und könnten dazu führen, in allen Vereinen wenig engagierte und unzuverlässige Mitglieder heranzuziehen.
Gerade im Segelsport sollten wir daher unsere Vereine und das Ehrenamt stärken, um für eine qualitative Ausbildung zu sorgen, die nicht nur Sicherheit und Spaß auf dem Wasser vermittelt, sondern auch für das restliche Leben unheimlich viel bietet. Kaum ein Hobby kann einem Kind so viel Eigenständigkeit (selbstständige Materialpflege), Selbstbewusstsein (den Elementen ausgesetzt sein und schwierige Situationen allein meistern), Verantwortung (allein ein Boot oder Schiff steuern) und Risiko-Management (Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und des Materials im Verhältnis zu den herrschenden Bedingungen) bieten. Gerade in einer Zeit von wachsender Popularität des Segelsports (u. a. durch Boris Herrmann, SailGP und Co.), sollten diese Werte, anstelle von reiner Leistungsorientierung oder Selbstverwirklichungstrips mancher Eltern, Aushängeschild und Fokus des Sports sein.
Zu Olympia habe ich es nicht geschafft, aber der Segelsport hat mir neben einem Gefühl von gleichzeitiger Freiheit und Heimat auf dem Wasser, viel Freude und Freunden, auch persönlich extrem viel gegeben. Für mich ist das Segeln zudem weiterhin fester Bestandteil meines Lebens und daraus nicht wegzudenken. Ich gebe mein Bestes, diese Leidenschaft weiterzugeben und bin überzeugt, dass ein solcher Ansatz langfristig gesellschaftlich und sportlich den größten Erfolg mit sich bringt!
YACHT-Redakteur
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