Liebe Leserinnen und Leser,
kopfschüttelnd – ja voller Entsetzen – habe ich diese Woche die Artikel von meinem Kollegen Morten Strauch über Mikrosegler gelesen. Egal ob auf vier Metern um die Welt oder im kleinsten Boot jemals über den Nordatlantik: Die porträtierten Herren Quenet, Yrvind und Bedwell müssen verrückt sein. Ich wünsche ihnen nichts Schlimmes, im Gegenteil. Aber mal im Ernst: Warum tut man sich das an?
Insbesondere Bedwell fasziniert und schockiert mich bereits, seit ich zum ersten Mal von ihm hörte. Der 51-jährige Brite möchte einen Weltrekord aufstellen. Dafür plant er, den Atlantik mit dem kleinsten „Segelboot“ aller Zeiten zu überqueren. Bei mir sorgt der Gedanke, ein Meer, das auch gut ausgerüstete Fahrtenyachten an ihr Limit bringen kann, in einem Kahn von der Größe einer durchschnittlichen Badewanne zu überqueren, gleichermaßen für Bewunderung und Besorgnis.
Denn damit nicht genug. Bedwell plant dies bereits zum zweiten Mal, nachdem der erste Versuch krachend gescheitert war. Ich darf es kaum aussprechen: So leid mir der schluchzend weinende Bedwell tat, war ich damals fast ein wenig froh für ihn, als seine „Big C“ nach früher Umkehr beim Auskranen auf dem Beton des Hafenvorfelds zerschellte. Ich an seiner Stelle hätte es womöglich als Warnung verstanden und fortan die Finger von Mikroseglern gelassen. Immerhin ist der britische Adrenalinjunkie auch Familienvater.
Doch das scheint den 51-Jährigen kaum zu kümmern. Er kündigte wenig später sein Comeback an. Während ich es noch immer nicht glauben konnte, konstruierte er “Big CV2“. Mit ihr soll es im Mai erneut losgehen.
Auch der legendäre Sven Yrvind ließ sich selbst von dramatischen Zwischenfällen nicht beirren. Der 85-jährige Tüftler kenterte 1974 vor Kap Hoorn über den Bug und stellte sechs Jahre später einen Rekord auf 5,90 Meter von Ost nach West auf.
Diese Beharrlichkeit scheint die waghalsigen Abenteurer zu vereinen. Es bedarf jeder Menge Know-how, Improvisation und schier unerschöpflicher Entschlossenheit, um sich diesen Herausforderungen zu stellen.
Einerseits verlockt die Mikrosegler-Szene mit der Romantik des Purismus – der Reduktion aufs Wesentliche. Die Antithese zu hoch technisierten Regattaboliden, wie denen der Vendée Globe, bei denen modernste Foils und Autopiloten unverzichtbar sind. Einhandsegeln wird bei den Mikros wieder zum Kampf gegen die rohen Naturgewalten, den eigenen Verstand und das Verlangen nach Komfort.
Mit dem Globe 5.80-Transat, in das heute auch der deutsche Christian Sauer startet, tut sich ein weiteres Abenteuer auf, das extrem fordernd, aber finanziell erschwinglich ist. Eine durchaus positive Entwicklung, zumindest in dieser Hinsicht. Dennoch sollten auch hier die Risiken nicht unterschätzt werden.
Abgesehen davon, dass ich mich auf 19 Fuß Sperrholz auf dem Atlantik extrem unwohl fühlen würde, ist die Wahrscheinlichkeit einer Havarie gegenüber dem einer Überfahrt auf einer Fahrtenyacht zweifelsohne deutlich erhöht. Ist es das wert? Und ist es okay, die erwartbaren Konsequenzen in Kauf zu nehmen?
Einhandsegeln an sich steht immer wieder in der Kritik, da ein Grundsatz der Seemannschaft, ständig Ausguck zu halten, bei tage-, wochen- oder monatelangen Törns schlicht nicht eingehalten werden kann. Zudem verfügt keiner dieser Abenteurer über heute mögliche technische Ausrüstung der Frühwarnung, wie sie etwa bei den Imoca der Vendée Globe installiert ist. Das erhöhte Kollisionsrisiko ist aber nur ein Aspekt. Was passiert, wenn der aus Platzmangel begrenzte Vorrat nicht reicht, wenn sich jemand verletzt oder erkrankt. Bedwell etwa kann sich auf seinem Mikroboot nicht mal ausstrecken. Und was macht die Natur wohl mit diesen Mini-Spielbällen?
Wenn etwas passiert, wird Hilfe von außen angefordert. Je nach den Bedingungen riskieren die Solisten damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das der Retter. Diese wiederum verbrauchen bei der Suche und Rettung massiv Ressourcen, auch an diesem Punkt darf man heute nach dem Sinn fragen.
Gleichzeitig beeindruckt mich die seglerische Leistung beim Gelingen derartiger Vorhaben immens. Vielleicht ist sie sogar höher zu bewerten, als die der Vendée-Globe-Skipper, welche gerade ein Millionen-Publikum erreichen. Die Frage nach dem ‘Warum?’ aber bleibt für mich bei beiden Spezies, wobei sie möglicherweise ziemlich einfach zu beantworten ist.
Warum steigen Menschen ohne Sauerstoff auf den Mount Everest, warum tauchen sie ohne Gerät auf über 200 Meter Tiefe, warum fliegen seit neuestem Privatpersonen ins Weltall? Antwort: Weil sie es können. Weil sie nach dem Kick des Machbaren suchen. Weil der Mensch wohl einfach so ist, dass er sich immer weiter beweisen muss und dabei alle Bedenken und Gefahren beiseite schiebt.
Nur so entwickelt er sich weiter: Ohne den ersten kontrollierten, anhaltenden Flug mit einem motorisierten Flugzeug der Gebrüder Wright 1903 würden wir wohl heute nicht um die Welt düsen. Ohne Ferdinand Magellan, der 1519 die erste Weltumseglung begann, die 1522 von Juan Sebastián Elcano vollendet wurde, würden wir wohl heute noch glauben, die Erde sei eine Scheibe. Und ohne die Erfindung des Internets, bei dem zunächst auch niemand wusste, was es auslösen würde, könnten Sie diese Zeilen gar nicht lesen.
Auch ich bin eigentlich so ein Wahnsinniger. Ich segle eine Motte, fliege über das Wasser. Extrem schnell, technisch anspruchsvoll. Warum? Weil es geht, weil ich es kann, weil ich dabei immer wieder an meine körperlichen und technischen Grenzen stoße und diese erweitere. Mancher Dickschiff- oder auch Jollensegler mag das gern als wahnsinnig bezeichnen.
Zu Erst- oder Bestleistungen gehört immer eine Portion Wahnsinn, den man auch als Mut bezeichnen könnte. In diesem Sinne gilt den Mikroseglern für ihre unterschiedlichen Vorhaben mein größter Respekt.
YACHT-Redakteur
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