Liebe Leserinnen und Leser,
diesen Text zu schreiben, fällt mir unendlich schwer. Seit fast 30 Jahren segle ich als Fahrten- und Charterskipper auf der Ostsee, dem Mittelmeer und in einigen recht exotischen Revieren. Der schönste Moment ist dabei für mich ohne Frage das Ankern: Abbiegen in eine noch unbekannte, aber zuvor sorgfältig gesuchte Bucht, die Freude, wenn sie sich als landschaftlich so hübsch entpuppt, wie gehofft. Türkises Wasser womöglich, etwas grün an Land oder eine spektakuläre Küste mit Felsen. Ankermanöver gefahren, Motor aus – Ruhe. Baden, Schnorcheln, in der Sonne liegen. Danach eine Dinghi-Tour zum unbekannten Ufer, vielleicht ein Restaurant für den Abend suchen. Sonst eine gemütliche Kochrunde mit der Crew am Abend. An solchen Tagen stellt sich in meiner Seele eine tiefe Ruhe ein, ein zufriedenes, glückliches Gefühl. Die oft im Job und Alltagstrott rasenden Gedanken kommen zur Ruhe. Je leerer die Bucht dabei ist, umso stärker der Effekt.
Doch ich fürchte: Das ist in nicht allzu weiter Ferne vorbei. Und es könnte richtig so sein. Die Rede ist von Ankerverboten und als Alternative dazu Bojenfeldern. Aber bitte, lassen Sie mich erklären.
Mein erster Törn für die YACHT führte mich in den Neunzigern in die Türkei. Am Ankerplatz sprang ein Mitsegler von Bord ins Wasser, ich stand für Fotos auf einem Felsen und machte damals ein Bild: Er schwamm mit ausgestreckter Hand auf einen riesigen Fischschwarm zu, der sich elegant um ihn teilte und nach seiner Passage wieder schloss. Noch heute schaue ich immer mal wieder auf dieses Dia.
Oder vor etwa 20 Jahren in den Sporaden: Als wir im Meltemi aus dem Golf von Volos kommend in Richtung der Insel Skiathos segeln, begleiten uns von den Wellenkämmen abhebend fliegende Fische. Ganze Schwärme, hunderte Tiere, glitzern im Gegenlicht, rasen kurz über das Wasser und tauchen dann wieder ein. Tief bewegende Momente, die ich nie vergessen habe, man fühlt sich eins mit der Natur in solchen Situationen.
Oder Kroatien: Abends an der Pier im späten Licht sitzend, huscht ein Schatten über die Felsen ganz nah am Ufer. Die Besucher stehen von den Plätzen auf und sehen: Ein Krake, groß wie ein aufgespannter Regenschirm, läuft mit seinen Fangarmen wie auf Füßen über die Felsen auf der Suche nach Beute.
Sie ahnen, was kommt. Schon lange nicht mehr bin ich im Mittelmeer durch dichte Fischschwärme getaucht. Fliegende Fische sehe ich immer seltener und nur vereinzelt. Kraken zwar ab und zu, aber nie so große Exemplare. Zeitgleich dazu eine kleine Zählung: 2022 ankerte ich im September in der Bucht von Lakka im Ionischen Meer. 54 Yachten lagen in der Bucht, es kam mir unglaublich voll vor. Als ich mit einem Tavernenwirt darüber redete, lachte er und erzählte, in der Hochsaison seien es bis zu 100 Yachten. Ich flöhte mein Archiv und fand ein altes Dia von einem Törn vor knapp über 20 Jahren – auch im September. Es lagen etwa ein Dutzend Schiffe in der Bucht. Wer dort heute taucht, sieht: Sand. Sand. Sand. Durchharkt von tausenden Ankern jedes Jahr. Der Sandgrund leuchtet zwar schön türkis in der Sonne, ist ökologisch aber eine Wüste.
Ein Freund von mir ist seit über drei Jahrzehnten Kojencharter-Skipper auf der Adria. Und er ist professioneller Taucher. Er berichtete schon vor 10 bis 15 Jahren, es sei ein Trauerspiel, wie der Grund in den Buchten verödet und, schlimmer noch, teils vermüllt wird. Beispiel gefällig? In den Kornaten traf ich eine Biologin und Apnoetaucherin, die auf ihrer alten Holz-Gajeta jeden Herbst lange in Kroatien segelt. Nahe der Bucht von Kravljacica liegt das Haus ihrer Familie. Sie taucht jedes Mal wenn sie dort ist, den Müll vom Grund hoch. Als ich dort war, holte sie sechs riesige Müllsäcke vom Grund herauf.
In dieses dumpf schwelende Gefühl schlug wie ein Donnerschlag vor einigen Wochen die Meldung ein, dass das ökologisch wertvolle, riesige Naturschutzgebiet der Maddalenas an der Nordostseite Sardiniens künftig nicht mehr für das Ankern über Nacht freigegeben ist. Alle Boote müssen abends gehen, nur Bojen und Piers dürfen noch für die Übernachtung genutzt werden.
In Kroatien schießen die Bojenfelder schon seit Jahren wie Pilze aus dem Boden. Und die Preisrally dort ist erschreckend: Es gibt schon Bojenfelder, deren Betreiber fünf Euro pro Bootsmeter nehmen. Und dafür nicht einmal für einen vernünftigen technischen Standard der Grundgewichte garantieren. Man liegt dicht an dicht, die Buchten sind pickepacke voll und es fühlt sich an, anders kann man es nicht mehr sagen: wie ein Bootsparkplatz.
Doch ich fürchte, der Yacht-Tourismus ist so explodiert über die letzten Jahrzehnte, die Schäden, die wir anrichten, sind immens. Aber bedeutet das ein langsam aufziehendes Ende des freien Ankerns? Werden wir – zu Recht – bald nur noch an Bojenplätzen liegen?
Lassen sie mich ihnen etwas Mut machen. Vor einigen Jahren segelte ich in der Karibik in den BVI’s. Dort sind in enorm vielen Buchten mittlerweile kostenpflichtige Bojen ausgelegt, und zwar teils schon seit über einem Jahrzehnt. Ich traf in der Trellis Bay den Musiker und Taucher Michael „Beans“ Gardner, der seit drei Jahrzehnten in der Karibik segelt und taucht und sein Leben als Musiker in Hotel-Anlagen finanziert. Und er erzählte begeistert eine ganz andere Geschichte. Seit Jahren würde der Grund unter den Bojenfeldern wieder dichter mit Seegras zuwachsen. Die Schildkröten seien in viel größerer Zahl dort, da sie Seegraswiesen wie Kühe abweiden. Krebse und kleine Fische seien zurückgekehrt, Schnecken. Es herrsche vielerorts allmählich wieder Leben am Grund, nachdem er über Jahre eine Sand-Einöde gesprenkelt mit Müll der ankernden Yachten war. Beans freute das sehr. Die Hoteliers dagegen nicht immer. Die sagten, manche Gäste seien enttäuscht, wenn vor den goldgelben Palmenstränden kein türkis leuchtendes Wasser mehr schimmere. Denn Seegras-Grund ist dunkelgrün. Ist man mit dem toten Grund aufgewachsen, kennt man ihn halt nicht anders. Eins der gefährlichsten Phänomene des Naturschutzes: Es wächst eine Generation heran, die intakte Natur in vielen Bereichen nie erlebt hat und ergo auch nicht vermissen kann.
Unter Biologen ist der enorme Effekt von Schutzgebieten seit langem schon nicht mehr strittig. Strenger Schutz funktioniert einfach. Punkt. Beispiel Caprera vor Mallorca. Die seit Jahrzehnten mit Bojen belegte Bucht gehört zu den ökologisch wertvollsten Gebieten der Balearen. Wer dort taucht, erschrickt fast, da er sich in Schwärmen von erstaunlich großen Fischen bewegt. Und von erstaunlich vielen Arten. MPA’s in loser Folge, ist das Zauberwort zur Umkehr des langsamen Verfalls, so das Credo der Naturschützer. Marine Protected Areas, so die Übersetzung. Schutzgebiete, aufgereiht wie an einer Perlenkette, streng geregelt, mit Ankerverboten und Bojenfeldern in Abständen von auch nur 20, 30 Seemeilen. So könnte ein Korridor des Lebens durch das gesamte Mittelmeer gezogen werden, der eine Umkehr des langsamen Verfalls bringen würde. Und übrigens: Das Ankern in Seegraswiesen ist seit vielen Jahren laut EU-Recht sowieso verboten. Es schert sich nur kaum jemand drum. Es gibt zaghafte Ansätze, so einen Plan für das Mittelmeer umzusetzen, allerdings eher langfristig.
Wie kann die Zukunft eines ökologisch vernünftigen Fahrtensegelns also aussehen? Muss das freie Ankern wirklich verschwinden? Ich denke nicht. Konsequent wäre Folgendes: Die Meeresanrainer-Staaten schließen sich zusammen und stellen die ökologisch wertvollen Zonen in sinnvollen Distanzen zueinander unter strengen Schutz. Zeitgleich gibt es eine Initiative, dass viel mehr Bojen ausgelegt werden, denn es gibt einfach zu wenige davon. Die Felder kommen unter staatliche Kontrolle, werden gut gewartet und nicht an windige Pächter vergeben, die ihren Gewinn maximieren wollen, wie es so oft im Mittelmeer der Fall ist. Die Preise richten sich nach den Kosten zur Pflege der Felder, nicht danach, welches Loch die Einnahmen vielleicht in irgendeinem anderen Haushalt stopfen können. Von Freiwilligen betreute Schnorchel-Lehrpfade (z.B. in Frankreich, Dänemark), geführte Tauchgänge, Informations-Center werden verpflichtend eingerichtet, damit die Menschen verstehen, warum sie in ihren Rechten eingeschränkt werden, und die Regeln akzeptieren.
Und zugleich werden ökologisch weniger bedeutende Gebiete direkt daneben weiterhin zum Ankern freigegeben. So kann man den Unterschied auch direkt mit eigenen Augen auf engstem, Raum erleben. Denn der Fehler des Naturschutzes an so vielen Orten ist der, den Menschen direkt komplett ausschließen zu wollen, die „Natur sich selbst zu überlassen“. So entsteht nur Frust bei den Ausgesperrten und es wächst kein Begreifen um den Wert der Maßnahmen.
Machen wir das doch einfach als die Aufgabe unserer Generation, die viele Buchten zerstört hat. Ist der Korridor des Lebens geschaffen, können unsere Kinder dann entscheiden, ob sie weiter unter Wasser „aufforsten“ wollen oder nicht.
Wie gesagt, es fiel mir schwer, diesen Text zu schreiben, würde die Umsetzung solcher Maßnahmen doch auch für mich viele Einschränkungen bedeuten. Aber wenn ich die langsame Erholung alter, liebgewordener Ankerplätze noch erleben könnte, das wäre mal eine Zukunftsaussicht fürs Alter, die mir wirklich gefallen würde.
YACHT-Redakteur
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