“Gloria”Retro-One-Off mischt klassischen Holzbau mit Hightech

Hauke Schmidt

 · 24.09.2023

Berauschend. Raumschots spielt der flache Jollenkreuzer-Rumpf seine Stärken aus
Foto: YACHT/M. Amme
Der Retro-One-off „Gloria“ lässt die Grenzen zwischen klassischem und modernem Bootsbau verschwimmen

Es ist acht Uhr morgens. Halb von einer Persenning verdeckt liegt „Gloria“ im Strander Hafen an der Kieler Förde, als würde sie sich vor allzu neugierigen Blicken verbergen. Auf einem alten Hollandrad kommt der Eigner Peter Kohlhoff den Steg entlanggeradelt. „Moin, erst mal einen Kaffee und ein wenig schnacken? Wir müssen sowieso noch auf meine Frau warten.“ Mit dieser Begrüßung geht es an Bord. „Nein, das ist keine Nissen-Konstruktion. Das denken viele, aber der Riss kommt von Horst Stichnoth“, klärt Kohlhoff auf.

An Bord verstärkt sich der Eindruck, auf einem überdimensionalen Jollenkreuzer gelandet zu sein. Nicht nur das aufgeräumte Deckslayout ohne Fall­umlenkungen („Die erzeugen nur Reibung, und meis­tens muss man in Manövern ja doch nach vorn“), sondern auch die riesige, bis ans Heck ragende Plicht mit der geschwungenen Pinne erinnern stark an einen 25er.

Unter Deck bleibt „Gloria“ dem puristischen Jolli-Stil treu. Der Salon wird von einem wuchtigen Tisch beherrscht, allerdings versteckt sich darunter nicht etwa der erwartete Schwertkasten, sondern Motor und Batterien sind dort gewichtsgünstig sowie zentral direkt über dem Kiel platziert. Passend auch der karge Innenausbau: Spanten, Decksbalken und Balkweger liegen offen, „das spart Gewicht und sieht ehrlicher aus“, rechtfertigt Kohlhoff das Fehlen von Schotten und jeglicher Wegerung.

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Das Kohlerigg sorgt für reichlich Segel-PS

Möglich wird die offene Bauweise dadurch, dass der Rumpf seine Festigkeit nicht wie bei einem Kunst­stoffboot in großem Maße durch Schotten erhält, sondern aus dem massiven, 40 Zentimeter breiten Kambala-Kielschwein und den unzähligen geleimten und dicht aneinander liegenden Eichenspanten, Bodenwrangen und den kräftigen Balkwegern bezieht.

Das i-Tüpfelchen in Sachen Festigkeit bildet die doppelte Karweel-Beplankung aus zehn Millimeter starkem Khaya-Mahagoni. Da die Planken mit Epoxidharz verleimt sind, arbeitet der Rumpf praktisch nicht mehr. Kohlhoff: „Bis auf die alljährlich fällige Lackierung ist ‚Gloria‘ so pflegeleicht und trocken wie eine moderne Kunststoff­yacht.“ Dass beim Blick unter die Bodenbretter trotzdem etwas Wasser in der Bilge schwappt, liegt wohl an der erst kürzlich erneuerten Mast­abdichtung – und ist Kohlhoff merklich unangenehm: „Das muss Süßwasser sein, eine nasse Bilge finde ich völlig inakzeptabel.“


Planke für Planke

Bau der “Gloria”Foto: PrivatBau der “Gloria”

Klassischer Holzbootsbau bedeutet vor allem viele Spanten, „Gloria“ hat mehr als 46 der formgeben­den Querversteifungen. Die Wegmann-Werft lamellierte die Eichenspanten zunächst doppelt so breit wie nötig und sägte sie anschließend der Länge nach durch. Das spart Arbeit beim Formenbau und ergibt einen symmetrischen Rumpf. Zusätzlich sorgen massive Bodenwrangen und der breite Kiel aus Kambala-Teak für Festigkeit. Um zu starke Spannungen im Holz zu vermeiden, besteht die 20 Millimeter dicke Außenhaut aus zwei Lagen.


Für maximale Festigkeit sorgt noch ein anderes Detail. Sogar das Teakdeck trägt mit, denn die Fugen bestehen nicht wie üblich aus dauerelastischer Vergussmasse, sondern aus Epoxidharz, das mit Graphit schwarz eingefärbt wurde. Erst durch den steifen Rumpf war das moderne Rigg möglich, denn die Kon­figuration mit den gepfeilten Salingen erfordert hohe Wantenspannung. Dementsprechend massiv fallen die Edelstahlunterzüge aus. „Die Leewanten kommen selbst bei viel Wind nie lose, und es knarzt hier beim Segeln nichts“, schwärmt Kohlhoff von der durablen Bauweise.

Unter Deck geht man auf Zeitreise, von Hightech ist hier nichts zu sehen

Im ersten Moment wirkt „Gloria“ unten sehr geräumig. Das relativiert sich aber schnell wieder, denn außer dem abgetrennten Vorschiff und einem kleinen Waschraum mit Toilette bietet sie für heutige Verhältnisse nur wenig Wohnraum. Wichtiger als ein riesiges Platzangebot war Kohlhoff die optimale Nutz­barkeit. Statt auf Krampf eine enge Achterkammer in den flachen Rumpf zu quetschen, bevorzugt er eine großzügige, seegerechte Hundekoje. Der Rest des Ach­­terschiffs bleibt leer und dient als Stauraum. Dafür lassen sich die langen Salonkojen bei Bedarf auf stattliche Breite vergrößern.

Auf der technischen Seite ist die Philosophie ähn­lich. Eingebaut wurde nur das Nötigste wie Heizung und Autopilot. Warmes Druckwasser oder andere Komfortausstattungen fehlen, oder sie sind so integriert, dass die klassische Anmutung nicht leidet. Die Bordelektronik wird beispielsweise erst kurz vor dem Auslaufen sichtbar, Schaltpaneel und der Plotter verstecken sich hinter dem Mahagoni-Schiebetürchen des Navischapps.

Auslöser für die Entstehung von „Gloria“ war der Stapellauf der „Seewolf“ seines Vaters Utz Kohlhoff. Ein noch radikalerer und für die ostfriesischen Wattengewässer optimierter Stichnoth-Riss mit Wasserballast, einem bis zu 3,20 Meter tief gehenden Schwenkkiel und schwenk­barem Gennakerrüssel.

Der Neubau gefiel Peter Kohlhoff so gut, dass er mehr im Scherz die Bemerkung fallen ließ: „Genau so ein Boot möchte ich auch mal haben.“ Bootsbaumeister Ludger Wegmann nahm ihn ernst und erklärte, er habe noch keinen Folgeauftrag und könne sofort anfangen. Die Mallen wären ja auch schon vorhanden. „Wir hatten gerade erst ein Haus gekauft, deshalb war an ein neues Schiff eigentlich nicht zu denken“, erinnert sich Kohlhoff. Wegmann, ein alter Freund des Konstrukteurs und Bootsbauer aus Leidenschaft, fand angesichts der angespannten Finanz­lage seines Neukunden die Lösung: Bezahlt wurde immer nur, was fertig war. Zudem sollte der zukünftige Eigner selbst mit ran: Die arbeitsintensiven Lackierungen und die Beschlagsausrüstung waren Kohlhoffs Privatvergnügen. Drei Jahre brauchten der kleine Werftbetrieb im niedersächsischen Weyhe-Dreye und der Eigner bis zur Fertigstellung von „Gloria“.

Position des Eigners als Großhändler von Yachtzubehör beim Bau von Vorteil

„Sie ist zwar im Finish nicht so super perfekt wie ein Bodenseeboot à la Martin-Werft, dafür stimmen aber Preis und handwerkliche Qualität“, meint der Eigner. Dass der Wegmann’sche Holzbau locker mit Edelwerften mithalten kann, ist nicht weiter verwunderlich, schließlich hat Meister Wegmann sein Handwerk noch bei der Bremer Werft de Dood gelernt. Viele Details wie den Neigungswinkel der Aufbau­front hat er direkt von den Yachten seines alten Arbeitgebers übernommen.

Bei der Anschaffung von Beschlägen und Rigg kam Kohlhoff seine Position als Importeur und Großhändler von Yachtzubehör zugute, trotzdem war „Gloria“ kein wirklich günstiges Boot. „Wenn man über die Jahre alles zusammenrechnet, waren es wohl an die 400.000 Euro“, fasst er die Baukosten zusammen. Allerdings machen der lediglich 80 Kilogramm schwere Hall-Spars-Mast und die 3DL-Besegelung von North schon über 75.000 Euro aus.

Auch wenn die Hightech-Ausrüstung etwas anderes suggeriert, „Gloria“ wird bis auf wenige Ausnahmen wie die eine oder andere Mitt­wochsregatta oder die Doublehand-Challenge fast ausschließlich zum Fahrtensegeln genutzt. Wie um den Familienboot-Charakter zu unterstreichen, bringt Eignerfrau Melanie auch den jüngsten Fami­lienzuwachs mit an Bord. Während Vater Kohlhoff die acht Monate alte Emma in ihrer Babyliege unter der Salondecke festbändselt, machen wir das Boot seeklar (Anm. der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 16/2008). Dabei fällt immer wieder auf, dass hier zwei Welten aufeinanderstoßen, zum einen der klassische Holzbootsbau mit soliden Messingbeschlägen und auf der anderen Seite gewichtssparende High­tech­-Materialien im Rigg.

So gleitet die Fock nicht etwa mit konventionellen Messinghaken auf dem PBO-Vorstag, sondern wird mit Stagreitern aus winzigen Tauwerkschäkeln angeschlagen: „Die lassen sich zwar nicht so schnell wech­seln wie konventionelle Metallhaken, sparen aber gegenüber einer Rollanlage 20 bis 25 Kilo im Rigg, und man kann das Segel zum Bergen einfach mit ei­nem Aufschießer aufs Deck fallen lassen.“

Aber auch an anderen Stellen wird, wo immer es geht, auf ultraleichte Dyneema-Schäkel und Stropps zurückgegriffen, alles Produkte aus dem eigenen Sortiment. Die „Glo­ria“ ist sozusagen Kohl­hoffs schwim­mender Ausstellungsraum und Testlabor in einem. „Nur wenn man die Sachen selbst ausprobiert, merkt man, was funktioniert und wo es noch etwas zu verbessern gibt.“

Bei einem YACHT-Test gäbe es Bestnoten fürs Segeln

Wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist, wird beim Segeln deutlich. Beschlagsanordnung, Trimm und Rudergefühl, bei einem YACHT-Test gäbe es dafür nur Bestnoten. Wobei: Fünf Knoten Fahrt bei 13 Knoten Wind – da hätten wir eigentlich mehr erwartet. „Du musst mal kurz angasen“, lautet der Kommentar vom Eigner. Also abfallen, bis die Leefäden der Fock abwehen. Erst etwas störrisch mit deutlichem Ruderdruck, dann immer leichtfüßiger nimmt „Gloria“ Fahrt auf. Bei knapp über sieben Knoten kommt der Tipp: „Du kannst wieder hochziehen, bis die Fäden sauber stehen.“ Das wirkt: gleiche Höhe wie zuvor, aber satte zwei Knoten mehr Fahrt.

Dass die Erwartungshaltung so hoch ist, liegt an der äußeren Erscheinung der knapp zwölf Meter langen Yacht. Das Kohlefaserrigg, feinste Beschlagsausstattung und ein textiles Vorstag auf einem Holzboot sind schon ungewöhnlich genug, vor allem, wenn von einem dezidierten Tourenschiff die Rede ist.

Dass die Linien auch noch wirken wie ein zu groß geratener Jollenkreuzer, hebt „Gloria“ deutlich von den immer mehr in Mode gekommenen Retro-Einzelbauten ab. Einzig das am Wind nötige „Angasen“ ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wird einfach nur hochgeluvt, mag „Gloria“ nicht so recht in Fahrt kom­men. Umso erstaunlicher ist es, wie schnell und hoch gesegelt werden kann, wenn sie erst einmal beschleunigt wurde. Mit dem Pinnenausleger und der Travellerschot in der Hand auf dem Seitendeck sitzend, schleicht sich schnell wieder das Gefühl ein, einen Jollenkreuzer zu segeln. Entsprechend mitteilsam läuft „Gloria“ an der Windkante, leider oft nur bis zur nächsten größeren Welle. Denn Seegang und Schwell liegen dem Jolli-Rumpf nicht sonderlich, jedenfalls kaum, wenn er bei Leichtwind von vorn kommt. „Im Seegang knallt es da vorn schon ganz kräftig“, stimmt Kohlhoff zu. Bei den derzeitigen Bedingungen hilft kurzes „Angasen“, und der Segelspaß ist wieder hergestellt.

So edel und empfindlich das lackierte Mahagoni auch wirkt, „Gloria“ ist kein Ausstellungsstück, sondern wird intensiv gesegelt. Um die 3500 Meilen loggt sie pro Saison, was durch die hohe Geschwindigkeit natürlich begünstigt wird. „Wir sind etwa so schnell wie eine IMX 45.“

Kurz vorm Surfen

Den Beweis bleibt uns das Boot mangels Kon­kurrenz heute schuldig. „Noch einen Schlag und wir können mit der Blase zurück in die Förde laufen“, kündigt Kohlhoff mit sichtbarer Vorfreude auf den Raumgang den Einsatz des großen Gennakers an. Obwohl nur 7/8-getakelt, ist „Glorias“ Rigg so ausgelegt, dass es die 185 Quadratmeter des riesigen Vorm-wind-Segels auch ohne zusätzliche Verstagung oben am Topp trägt. Bläst es stärker, kann allerdings nur noch der 130 Quadratmeter große 7/8-Gennaker gefahren werden. „Ich hätte die Wanten bis oben laufen lassen sollen, dann könnten wir bei Leichtwind auch ein Code Zero am Masttopp setzen, um am Wind auf maximale Geschwindigkeit zu kommen.“ Angesichts der Tatsache, dass wir die Segelfläche gleich mehr als verdoppeln, rät der Eigner zur Vorsicht: „Das Ruder ist etwas kurz, da kann es vor dem Wind schon mal brenzlig werden.“

Kaum ist das bunte Tuch oben, zeigt sich „Gloria“ wieder von ihrer besten Seite. Jetzt zahlen sich das flache Unterwasserschiff und das breite Heck aus. Mit bis zu 9,5 Knoten rauscht sie brav in Richtung Innenförde, von Strömungsabriss keine Spur. Dafür macht sich jeder kleine Drücker und jede Welle bemerkbar: „Noch einen kleinen Tick, und ich surfe los“, scheint sie zu sagen.

Der Blick auf die Logge ist dabei nebensächlich, so eindeutig sind die Geschwindigkeitsimpulse. Schade, dass wir nicht ein paar Knoten mehr Wind haben. Spaß macht aber nicht nur der Speed, sondern auch das leichte Handling, von zwölf Meter Bootslänge und der enormen Segelfläche ist wenig zu spüren. „,Gloria‘ segelt sich wie ein großes kleines Boot“, nennt Kohlhoff den Effekt.

Technische Daten der “Gloria”

  • Design: Horst Stichnoth
  • Werft: L. Wegmann
  • Lüa: 11,99 m
  • Breite: 3,85 m
  • Tiefgang: 2,45 m
  • Verdrängung: 6,7 t
  • Ballast (Wasser): 2,0 t
  • Groß: 60 m²
  • Fock: 31 m²
  • Gennaker: 185 m²
 | Zeichnung: Axel Hoppenhaus | Zeichnung: Axel Hoppenhaus

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 16/2008 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.


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