Die deutsche Charteryacht “Desdemona” läuft im September 2015 von Gedser kommend Richtung Hafeneinfahrt Warnemünde, als beim Segelbergen ein Crewmitglied über Bord fällt. Obwohl der Unfall mitten am Tag bei guter Sicht und mit 4 bis 5 Windstärken nicht ungewöhnlich harten Bedingungen passiert, kann die Crew den Mitsegler nicht retten; er wird erst Tage später von einem Behördenschiff tot geborgen. Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) wird später in ihrem Bericht konstatieren, dass der Segler durch eine seegangsbedingte starke Schiffsbewegung das Gleichgewicht verloren hatte und weder durch einen Lifebelt gesichert war noch eine Rettungsweste trug.
Tragische Unfälle dieser Art gibt es nicht nur auf Fahrtenyachten, sondern auch an Bord von Rennyachten mit Proficrew. Stets ist dabei das größte Problem, die über Bord gegangene Person wiederzufinden und – wenn das gelungen ist – schnell zurück an Bord zu bekommen. Vergangene Tests von Sicherheitsequipment wie Rettungskragen oder Bergesysteme haben gezeigt, dass es in solch einem Notfall wichtig ist, die passende Ausrüstung an Bord zu haben. Noch wichtiger aber sollte sein, gar nicht erst über Bord zu fallen.
Dafür sind drei Dinge nötig: ein Lifebelt, auch Harness genannt, der in die meisten Rettungswesten schon integriert ist; eine Sicherungsleine, vielen als Lifeline geläufig; und Strecktaue an Deck als Verbindung zum Schiff. Was simpel klingt, bedarf dennoch gründlicher Vorbereitung, denn insbesondere Strecktaue sind auf vielen Sportbooten nicht dauerhaft installiert. Vielmehr liegen sie nicht selten aufgeschossen im Schapp.
Das ist zunächst einmal auch gar nicht verkehrt, werden die Gurte bei ständiger Sonnenlichteinwirkung doch mit der Zeit spröde. Allerdings müssen sie dann auch vorausschauend angebracht werden, bevor die Bedingungen ein Anleinen erfordern.
Britta Sloan von Sailpartner, die Lehrgänge zu Sicherheitsthemen rund ums Segeln anbietet und mit ihren Kollegen Michael Köhler und Lutz Böhme das Boot für die Produktion dieses Artikels organisiert hat, empfiehlt, dass sich Segler nachts generell anleinen sollten. Tagsüber fällt es hingegen schwerer, eine klare Grenze zu benennen, ab der es nur noch gesichert aufs Vorschiff geht – das hängt unter anderem von der Bootsgröße ab und ob es eine Seereling gibt oder nicht.
Als Faustregel lässt sich jedoch sagen: Sobald die Wellen und damit die Schiffsbewegungen so stark sind, dass sich Segler beim Verlassen des Cockpits unsicher fühlen, sollte der Lifebelt zum Einsatz kommen. Zudem spielt es eine Rolle, ob unterwegs Stagreitervorsegel gewechselt werden müssen oder dank ins Cockpit umgelenkter Fallen, Strecker, Reffleinen und Rollvorsegel das Cockpit gar nicht verlassen werden muss. Trotzdem kann eine vertörnte Vorschot oder Reffleine auf der Rollanlage den Gang aufs Vorschiff plötzlich nötig machen.
Idealerweise werden die Strecktaue schon vor dem Ablegen im Hafen angebracht. Am besten werden sie vom Bug nach achtern auf jeder Seite auf den Laufdecks zwischen eigens dafür bestimmten Padeyes gespannt. Sind diese Anschlagspunkte nicht vorhanden, taugen alternativ auch die Klampen als Befestigungsmöglichkeiten.
Strecktaue aus Gurtband haben an jedem Ende eine Schlaufe: Auf der Seite, die zuerst befestigt wird, kann einfach der ganze Gurt durch diese Schlaufe gezogen werden. Am anderen Ende wird mit einem Bändsel ein Lasching zwischen Schlaufe und Padeye oder Klampe hergestellt. Auf keinen Fall sollte das Gurtband verknotet werden, da dies seine Festigkeit reduziert.
Die Strecktaue müssen möglichst straff gespannt sein. Verliert ein Crewmitglied den Halt, zieht der Lifebelt das Tau in die Länge. Das dämpft zwar den Ruck; ist aber zu viel Lose im Strecktau, steigt das Risiko, dennoch außenbords geschleudert zu werden.
Neben der Spannung spielt auch die Positionierung eine Rolle. Strecktaue sollten so weit mittschiffs verlaufen wie möglich, also am besten direkt am Aufbau entlang oder sogar darauf. Werden eigens Ösen an Deck befestigt, haben Eigner auf den Verlauf mehr Einfluss. Bei der Befestigung an Klampen kann es sinnvoll sein, die Gurtbänder auf dem Vorschiff über Kreuz zu führen, also den Steuerbordgurt an der Backbordklampe zu sichern und umgekehrt. Dabei ist dann aber zu bedenken, dass nur der obere Gurt durchgängig bis zum Bug ohne Umpicken nutzbar ist.
Je nach Deckslayout sollten Segler außerdem ausprobieren, auf welcher Seite des Holepunktes es sich am besten nach vorn läuft, wenn die Vorschot straff gespannt ist.
Der Weg zum Mast ist meist noch gut mit Handläufen ausgerüstet, und auch die Wanten bieten genug Halt. Sobald jedoch das Vorschiff erreicht ist, fehlt es an Festhaltemöglichkeiten, und das Strecktau auf dem Seitendeck kann das Außenbordsfallen nicht verhindern. Dann ist es sinnvoll, ein zusätzliches Strecktau zwischen Mast und vorderen Klampen zu riggen. Sobald die Wanten passiert sind, kann man sich zusätzlich – ohne sich aus dem langen Strecktau auszuhaken – mittig einpicken und bekommt auf diese Weise besseren seitlichen Halt.
Aber wie haken sich Segler richtig ein? Wenn es richtig unruhig wird, am besten direkt beim Tritt ins Cockpit in unmittelbarer Niedergangsnähe einpicken. In größeren Cockpits kann ein kurzes Strecktau in der Plicht gespannt werden. Unmittelbar am Steuerstand sollte es für den Rudergänger zudem ein Padeye zum Einpicken geben.
Allerdings fahren die meisten Fahrtensegler bei Bedingungen, die ein Anleinen sogar im Cockpit erfordern, erst gar nicht aus dem Hafen. Wichtiger ist für sie daher die Sicherung beim Verlassen des geschützten Steuerstandes für den Gang an Deck. Dabei wird noch vor dem Schritt über das Süll die Lifeline in das Strecktau eingepickt. Anschließend unterscheidet sich der Weg nach vorn kaum vom gewohnten, unangeleinten Gang zum Mast oder Vorsegel: Festhalten ist auch mit Sicherung unerlässlich, die Lifeline stellt nur eine Art Lebensversicherung dar, sie ist die im Notfall rettende Verbindung zum Boot.
Bei der Wahl der Seite empfiehlt sich Luv, da man bei Lage tendenziell nach Lee fällt und sich die Sicherungsleine dann strafft, bevor man im Wasser liegt. Ist der Gurt lang genug, um den Mast direkt zu erreichen, muss die Lifeline nicht umgehakt werden. Ansonsten sind auf größeren Yachten die Maststufen zum Teil so geformt, dass auch darin der Karabiner eingehakt werden kann. Die Lifeline lässt sich auch einmal um den Mast herumführen und wieder in den Harness einpicken. Dann ist die Bewegungsfreiheit allerdings stark eingeschränkt.
Ansonsten kann man sich auch an jedem anderen festen Punkt sichern. Auf der Wauquiez, auf der wir das Equipment und die Abläufe ausprobiert haben, gab es vorm Mast Edelstahlbügel als Schutz über den Lüftern. Diese boten sich sowohl zum Festhalten als auch Einpicken an. Der eine Bügel war allerdings etwas locker und machte keinen stabilen Eindruck mehr. Also vorher prüfen, ob die Padeyes, in die man sich einpickt oder an denen das Strecktau angeschlagen werden soll, zuverlässig sind.
Wer sich einpickt, verlässt sich darauf, auch im Notfall die Verbindung zur Yacht nicht zu verlieren. Dabei gibt es aber einige Gefahren, die den sicheren Halt der Lifeline unterbrechen können. So geschehen beim Clipper Round the World Race im November 2017: Der Brite Simon Speirs hilft auf dem Vorschiff der „Great Britain“ beim Segelwechsel, als er das Gleichgewicht verliert und ruckartig seine Lifeline belastet.
Normalerweise sollte die dieser Belastung standhalten. Der Haken der Sicherungsleine hatte sich aber unter der Klampe, an der das Strecktau befestigt war, verklemmt und wurde jetzt nicht in Längsrichtung, sonder quer belastet. Daraufhin bog sich der Haken auf, und Speirs ging mitten auf dem Indischen Ozean über Bord. Die Besatzung konnte ihn später nur noch tot bergen.
Die britische Behörde Marine Accident Investigation Branch stellte in ihrem Untersuchungsbericht fest, dass der Haken der Norm entsprach und eigentlich einer Zugkraft von einer Tonne standhalten sollte. Für starke seitliche Krafteinwirkung sind diese Produkte aber nicht ausgelegt. Darum die Empfehlung, besonders darauf zu achten, dass sich die Haken der Sicherungsleine nicht unter Decksbeschlägen verfangen.
Abhilfe könnten gesonderte Padeyes zur Anbringung der Strecktaue bringen. Oder, wenn das nicht möglich ist, ein Zeiser, der vor den Klampen zwischen den Gurtbändern gespannt wird; er verhindert, dass die Karabiner unter die Klampe rutschen.
Ein weiteres Problem können Karabiner ohne Sicherung bedeuten. Werden diese in große Padeyes oder runde Stufen am Mast eingehakt, öffnen sie sich unter Umständen von selbst. Dabei dreht sich der Haken so, dass das Padeye den Riegel aufdrückt – woraufhin sich der Haken vollständig lösen kann. Die zweite Variante besteht darin, dass sich der Haken verkantet, sich das Gurtband der Lifeline darum wickelt und so den Riegel aufdrückt. Gegen solch ungewolltes Aushaken helfen nur Karabiner mit Sicherung. Diese lassen sich mit etwas Übung weiterhin mit einer Hand bedienen.
Lange Lifelines bieten zwar viel Bewegungsfreiheit, sie können aber auch zur Stolperfalle werden. Auf dem Weg nach vorn wird die Sicherungsleine hinterhergezogen; sobald man sich umdreht und ein paar Schritte zurück macht, verfängt man sich leicht mit dem Fuß darin. Da hilft entweder nur Aufpassen oder aber eine Lifeline, die sich in unbelastetem Zustand dank eines eingearbeiteten Gummizugs verkürzt. Dadurch wird ein Vertörnen effektiv verhindert.
Was eine Lifeline können muss, ist in der Norm ISO 12401 geregelt. Dabei wird keine maximale Bruchlast angegeben. In der letzten Fassung der Norm von 2009 betrifft die wichtigste Neuerung den Karabiner, der Sicherungsleine und Lifebelt verbindet. Dieser muss sich bei Personen über 50 Kilogramm Gewicht einfach vom Lifebelt lösen lassen. Bei leichteren Personen – gemeint sind Kinder – soll sich die Verbindung wiederum nicht lösen lassen. Darum haben einige Hersteller Sicherungsleinen mit einer Gurtschlaufe im Angebot, die durch den D- Ring des Lifebelts gefädelt wird.
Keine Pflicht, aber von großem Vorteil sind Überlastanzeigen im Gurt. Dabei handelt es sich um eine Bucht im Gurt, die von zwei Nähten bis zu einer definierten Kraft gehalten wird. Reißt die Naht, hält der Gurt weiterhin, aber die Farbänderung durch ein in der Bucht angebrachtes Etikett zeigt an, dass der Gurt getauscht werden muss.
Neben diesen Problemen gibt es einige Stellen an Bord, die zum Einpicken der Sicherungsleine nicht taugen. So sollten sich Segler nicht an der Reling sichern – sie ist in der Regel nicht dafür ausgelegt, dem Gewicht einer über Bord gefallenen Person längere Zeit standzuhalten. Und per se wäre es auf dem Weg nach vorn unpraktisch, da der Haken an jeder Relingstütze gelöst und davor wieder eingehakt werden müsste. Dann ist man entweder für einen Augenblick ungesichert, oder es wird noch umständlicher, da an jeder Stütze der zweite Haken ein- und der erste ausgehakt werden müsste.
Vor allem aber ist eine Sicherung weit außenbords gefährlich, weil die Lifeline so nicht das Überbordfallen verhindert. Der Segler würde also außenbords durchs Wasser geschleift und könnte dabei ertrinken.
Ferner ist das gesamte laufende Gut tabu. Auch wenn die Vorschot die Belastung ohne Probleme aushält, kann sie im nächsten Augenblick aus der Klemme oder dem Selftailer rutschen und dann keinerlei Halt mehr bieten. Gleiches gilt für Fallen am Mast.
Und es sei auch davor gewarnt, sich am Steuerrad oder gar durch die Speichen des Rads an der Steuersäule zu sichern; die Ausbilder von Sailpartner wissen aus Erfahrung, dass das immer wieder vorkommt. Die Sicherungsleine im Rad könnte aber im Notfall die Manövrierfähigkeit des Bootes gravierend beeinträchtigen.
Bleibt noch die Frage: Brauchen Segler überhaupt eine Rettungsweste, solange sie sich angeleint an Bord bewegen? Wenn die Lifeline konsequent eingepickt wird, scheint eine Weste ja nutzlos – die Verbindung zum Boot bleibt auch bestehen, wenn man außenbords hängt und die Mitsegler einen schnell wieder an Deck holen. Also wäre ja ein Harness ohne Rettungsweste ausreichend. Dafür spräche auch das Plus an Bewegungsfreiheit.
Allerdings hat das Beispiel des britischen Seglers im Clipper Race gezeigt, dass selbst eine Lifeline versagen kann. Außerdem gibt es Situationen, in denen Segler sich auspicken müssen, etwa beim Hafenmanöver beim Übersteigen auf den Steg. Dann wäre es unter Umständen fatal, keine Rettungsweste zu tragen. Für Regattaprofis mag die bessere Bewegungsfreiheit ausschlaggebend sein, Fahrtensegler sollten aber nicht auf die Automatikweste verzichten.
Sind die Strecktaue installiert, und die Lifeline ist eingepickt, heißt das nicht, dass Segler jetzt freihändig über die Seitendecks nach vorn gehen können – auch angeleint müssen sich Segler jederzeit festhalten. Mindestens so wichtig ist es, bei schwerem Wetter wirklich alle Arbeiten an Deck nicht in großer Hektik zu erledigen, sondern sich eine Einpick-Disziplin aufzuerlegen. Wenn sich also beispielsweise die Vorschot vertörnt hat, nicht mal eben nach vorn sprinten, sondern zuerst sich sichern und dann ruhig und festen Schrittes aufs Vorschiff gehen.
Dass es sich in ruppiger See stets empfiehlt, feste Schuhe mit einer griffigen Sohle zu tragen, sollte jedem Segler klar sein. Mit bloßen Füßen rutscht man leichter weg und zieht sich schneller Verletzungen zu.
Und auch das Deck selbst sollte bestmöglichen Halt bieten. Für Teakdecks heißt das, sie müssen frei von Bewuchs sein, der die Oberfläche glitschig macht. Hier hilft eine Behandlung mit Borakol. Alle anderen Oberflächen können mit speziellen Beschichtungen vorbereitet werden.
Wenn trotz aller Vorkehrungen ein Crewmitglied angeleint über die Reling fällt, muss abhängig davon, auf welcher Seite das geschehen ist, schnell reagiert werden: Denn wenn der Mitsegler in Lee am Rumpf baumelt, besteht die Gefahr, dass er bei starker Lage am Gurt unter Wasser gezogen wird. Dann muss sofort eine Wende gefahren werden. Hängt der Überbordgefallene hingegen in Luv, genügt eventuell schon der Höhenunterschied, um die Lifeline zu straffen und den Verunglückten mit dem Oberkörper aus dem Wasser zu ziehen. Außerdem kann ein anderes Crewmitglied in Luv besser zur Hilfe kommen.
Den Außenbordshängenden einfach wieder an Deck zu ziehen wird allerdings in den wenigsten Fällen gelingen. Stattdessen Spifall oder eine Talje nutzen: Sie wird direkt in den Lifebelt oder in das freie Ende der Lifeline gehakt. Danach kann der Mitsegler zurück an Deck gewinscht werden.