Schnelle Alarmierung der Crew und Ortung des Überbordgegangenen sind das eine, die Person wieder zum Schiff und anschließend an Deck zu bekommen etwas ganz anderes. Die Erfahrung zeigt, dass selbst große Crews mitunter daran scheitern – nicht selten mit tragischem Ausgang.
Der beste Weg, das Unglück zu vermeiden, ist das Einpicken mit kurzer Sicherung, damit man gar nicht erst über Bord gehen kann. Aber oft kommt es anders, als man denkt, und dann ist eine effiziente Lösung gefragt, die auch von der an Bord verbleibenden Crew bedient werden kann.
Womit wir schon die erste Herausforderung hätten, denn die Crew muss eine Verbindung zum Verunglückten herstellen. Von Taljen, Netzen, Rettungskragen bis hin zu Bergesystemen, die Verunglückte fast selbstständig aus dem Wasser holen, bietet der Markt einiges.
Doch nicht alle Boote sind mit solchen Bergehilfen ausgestattet. Auf Charterbooten beispielsweise findet sich meist nur die vorgeschriebene Sicherheitsausrüstung wie Rettungsweste und Lifeline. Und auch auf privaten Segelyachten sieht es oft nicht anders aus.
Nach einem erfolgreichen MOB-Manöver gilt es auch in diesem Fall eine Verbindung zwischen Boot und dem Verunglückten zu bilden. Dazu wird eine Leine zugeworfen. Im einfachsten Fall ist er noch bei Kräften, sodass er mit der Leine zum Heck geführt werden kann und dort etwa über die Badeleiter allein aufentert. Bei zu hohem Seegang und stampfendem Heck oder wenn die Person im Wasser zu entkräftet ist, hilft nur eine Rettungsleiter mittschiffs oder das Hochwinschen.
Ist das Fall in die Liftschlaufe an der Rettungsweste des Verunglückten eingehakt, muss er hochgewinscht werden. Das ist enorm anstrengend! Fallwinschen sind meist kleiner als die für die Genuaschoten. Zudem kann es sein, dass sich das Fall zwischen der Umlenkrolle auf dem Masttopp und dem Rollenkasten verklemmt, da es sehr weit zur Seite gezogen wird.
Um das zu vermeiden und auch das Winschen selbst leichter zu gestalten, helfen ein Block und eine Festmacherleine oder eine Vorschot. Der Block wird am Fall befestigt und die Genuaschot oder der Festmacher hindurchgefädelt. Das eine Ende kommt auf die Winsch, am anderen wird die Person eingepickt. Wenn ein Festmacher verwendet wird, muss dieser auch durch den Holepunkt geschoren werden, damit der Zugwinkel zur Winde stimmt. Auf diese Weise kann die Genuawinsch zum Aufholen genutzt werden.
Was viele nicht bedenken: Die Person muss so weit nach oben gewinscht werden, dass sie über die Reling kommt. Dabei aber besteht die Gefahr, dass sie bei Schiffsbewegungen stark pendelt und gegen Wanten, Mast oder Großbaum schlägt. Das wird umso mehr zum Problem, wenn die Person waagerecht geborgen wird. In diesem Fall sind Mitsegler auf dem Laufdeck enorm hilfreich, die den Verunglückten führen, während er noch in der Luft schwebt.
Die Rettung einer Person aus dem Wasser ist auch einhand möglich, wir haben es ausprobiert. Dann ist vorher aber viel Übung erforderlich. Eine Elektrowinsch vereinfacht den Ablauf dabei enorm, vor allem, wenn sie auch vom Steuerrad aus bedienbar ist. Dennoch zeigt die Erfahrung: Ein über Bord gefallenes Crewmitglied zu retten, gerät selbst mit Crew rasch zu einer Herausforderung. Besonders, wenn improvisiert werden muss.
Kann man auf Bergehilfen und andere Rettungssysteme zurückgreifen, so bieten sich unter anderem Wurfleinen oder Bergeschlaufen an. Diese werden an einer etwa 30 bis 40 Meter langen Leine nachgeschleppt. Umkreist man die Person im Wasser, so beschreibt der Kragen einen engeren Radius als die Yacht, wodurch der Verunglückte früher oder später die Leine oder den Kragen zu fassen bekommt.
Ist eine Leinenverbindung zwischen dem Boot und der Person im Wasser hergestellt, gilt es, diese wieder zum Schiff zu ziehen. Hierfür ist die Qualität der Schwimmleine entscheidend: Sie wird in der Regel Hand über Hand eingeholt. Dabei können beim Heranholen beachtliche Kräfte entstehen. In unserem Praxistest trieb die Yacht bei 16 bis 18 Knoten Wind mit knappen zwei Knoten nach Lee, deutlich schneller als die Person im Wasser.
Im Seegang steigt der Zug auf dem Seil zumindest zeitweise weiter an. Die klassischen Zwei-Mann-Besatzungen sollten dann auf die Genuawinsch zurückgreifen können. Hartes, glattes und auch zu dünnes Tauwerk ist dabei ein Problem, da es sich möglicherweise im Selftailer der Winsch verhakt.
Im nächsten Schritt trennt sich die Spreu vom Weizen. Denn es gilt, die nasse, eventuell entkräftete und unterkühlte Person an Deck zu holen. In voller Montur und mit reichlich Wasser im Ölzeug wiegt der Proband deutlich über 100 Kilogramm. Glücklich, wer eine elektrische Fallwinsch an Bord hat. Für deren Einsatz muss allerdings improvisiert werden, denn ein von Deck aus erreichbares Hievauge fehlt bei allen Bergeschlingen. Stattdessen muss das Fall per Knoten angeschlagen werden. Ein unnötiges Getüddel, das den Bergevorgang verzögert.
Diese Probleme und eine bevorstehende Langfahrt hatte Martin Schührer von MS-Safety bei der Entwicklung des Catch and Lift genannten Bergesystems vor Augen.
Dabei kamen Schührer und seiner Schwester ihre Erfahrungen als Fallschirmspringer sowie Hersteller medizinischer und militärischer Ausrüstung zugute. Denn statt auf eine starke Crew oder auf Winschen setzt die Konstruktion auf einen speziellen Bremsfallschirm und auf Maschinenkraft.
Die Idee ist so einfach wie bestechend: Im Notfall wird wie bei herkömmlichen Bergeschlaufen per Wurfleine und Rettungsschlaufe eine Leinenverbindung zum Verunglückten hergestellt. Sie läuft über einen Umlenkblock, der am Oberwant befestigt ist. Ihr Ende ist nicht fest an Bord angeschlagen, sondern mit dem Bremsfallschirm verbunden.
Ist die Leinenverbindung geglückt, kommt der Fallschirm zum Einsatz, und die Yacht fährt weiter. Der Schirm wirkt als Treibanker und erzeugt dabei so viel Widerstand, dass die Person zur Yacht gezogen und aus dem Wasser gehievt wird – ohne dass der Retter vom Ruder muss. In unserem Praxistest überzeugte Catch and Lift durch einfache Anwendung und 100 Prozent Erfolgsquote bei der Rettung, siehe YACHT 20/2016.
Die über Bord gegangene Person muss nur umkreist und nicht direkt angesteuert werden, das verhindert ein Überfahren bei viel Welle. Ist sie jedoch nicht mehr in der Lage, sich einzuhaken, wird es schwierig. Bei ausreichender Crewstärke kann jemand ins Wasser gehen und sich und den Verunfallten einpicken; der Schirm zieht dann beide an Bord. Sonst wird ein klassisches MOB-Manöver mit Einhaken von der Badeplattform aus nötig. Den Einwand, dass die Bergung nicht in der horizontalen Lage erfolgt, entkräftet Martin Schührer mit dem Verweis auf die Geschwindigkeit des Manövers. Dadurch ist das Crewmitglied schnell wieder an Bord, und es unterkühlt auch nicht.
Die derzeit besten Chancen für eine horizontale Bergung bietet das POB-Net, siehe YACHT 24/2020. Es handelt sich um ein Bergenetz, das schnell einsatzbereit sein und zudem eine vollständig bewegungsunfähige Person waagerecht aus dem Wasser holen soll. Und das sogar von nur einem Crewmitglied. Das Netz ist in einer runden, 70 Zentimeter messenden Tasche gestaut und wird per Karabiner an der Reling eingehakt, danach die Hülle geöffnet. Das Bergenetz entfaltet sich selbstständig, ähnlich einem Wurfzelt. So sieht die Konstruktion dann auch aus, nur mit Netz statt Zeltplane.
Sobald der Verunglückte im POB-Net liegt, wird der zweite Karabiner in das Großfall eingeschäkelt und der erste an das Want geklinkt, damit der Mensch über Bord im Netz nicht unkontrolliert an der Bordwand schwingt. Befindet sich das Netz mit der Person über Relingshöhe, wird diese nach innen über das Laufdeck gezogen. Im Test funktioniert es gut, das Netz einfach um das Oberwant zu drehen. Es blieb allerdings nicht in dieser Position. Mit einem Zeiser ließ es sich zum Kicker hin sichern, damit der Retter wieder nach achtern an die Winsch gehen konnte, um den geborgenen Mitsegler vorsichtig an Deck abzufieren.
Das POB-Net funktionierte in unserem Test erstaunlich gut. Vor der beschriebenen Prozedur muss natürlich das Schiff genau neben die Person im Wasser gesteuert werden. Im Vergleich zu klassischen Bergenetzen oder einer umfunktionierten Sturmfock ist das POB-Net aber sofort einsatzbereit und lässt sich leichter unter den Verunglückten bugsieren.
Solange die Person noch mithelfen kann, ist die Badeleiter der übliche Wiedereinstieg, weitere Bergehilfen werden nicht benötigt. Doch die ist bei aktuellen Yachtmodellen mit breitem Heck und großer Badeplattform vom Wasser aus oft nicht zu erreichen.
Eine Lösung versprechen spezielle Strickleitern, siehe YACHT 20/2016. Die Leitern sind in einer Tasche verpackt an der Reling gestaut und sollen sich im Notfall vom Wasser aus per Zug an einem Griff auslösen lassen. Sie sind besser als nichts, mit einer klassischen, fest montierten Badeleiter samt Holzsprossen am Heck können sie aber nicht mithalten.