WissenSquarehead vs. Pinhead, welches Großsegel ist besser?

Lars Bolle

 · 28.07.2023

Links ein Pinhead, rechts ein Squarehead auf einer Saphire 27
Foto: YACHT/T. Störckle
Großsegel mit weit ausgestelltem Achterliek setzen sich immer mehr durch. Diese Squareheads haben große Vorteile gegenüber herkömmlichen Dreiecken, den Pinheads. Doch sind sie auch für Fahrtensegler geeignet?

Die Großsegel von Yachten müssen nicht dreieckig sein. Immer mehr sieht man Segel, die im Toppbereich weit ausgestellt sind. Sie heißen Squareheads oder Fatheads und sind bei nahezu allen modernen Hightech-Yachten zu sehen, etwa bei den Imocas des Ocean Race oder der Vendée Globe. Fast alle reinen Regattayachten fahren es, wie der 100-Fußer „Comanche“ als größte oder die Klasse Mini 6.50 als kleinste; viele Sportboote kommen mit Squarehead, wie auch moderne Sportkatamarane, Jollen und Foiling-Flitzer. Selbst Flügel-Systeme, wie auf den aktuellen America’s-Cup-Boliden, sind oben breit und eckig.

Das hat einen Grund: Ein Squarehead-Großsegel bietet entscheidende Vorteile gegenüber dem Pinhead, also dem Großsegel mit dreieckig geschnittenem Toppbereich.

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Dennoch sind die Segel mit den mächtigen Köpfen mit vielen Vorurteilen behaftet. Wegen der größeren Segelfläche oben, heißt es, würde auch der Segeldruckpunkt nach oben wandern, was auf Amwind-Kursen die Krängung erhöhe und zu mehr Luvgierigkeit führe. Solche Segel wären nur etwas für Leichtwind und müssten früh gerefft werden.

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Das Gegenteil ist der Fall. Tatsächlich können mit der weiten Ausstellung des Achterlieks bis zu 30 Prozent mehr Segelfläche im Groß erreicht werden. Dass dies enorme Vorteile auf Raumschots- und Vorwindkursen bringt, ist logisch. Je mehr das Prinzip Vortrieb durch Auftrieb, wie beim Segeln am Wind, durch das Prinzip Vortrieb durch Widerstand abgelöst wird, wie auf tiefen Kursen, desto besser ist es, dem Wind möglichst viel Angriffsfläche für einen hohen Widerstand zu bieten. Oder einfach gesagt: viel Fläche, gegen die er drücken kann und so die Yacht mitnimmt.

Effektivere Anströmung beim Squarehead

Doch auch auf Amwind-Kursen haben ausgestellte Segel klare Vorteile. Entscheidend ist das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand. Je größer der Auftrieb eines Segels und je geringer dessen Widerstand, desto größer der Vortrieb. Dieses Verhältnis ist bei herkömmlichen Dreieck-Segeln denkbar schlecht.

Das dem Segel voranstehende Mastprofil erzeugt Verwirbelungen. Diese könnten je nach Profildicke und -form 30 bis 40 Zentimeter, manchmal sogar bis 70 Zentimeter hinter den Mast reichen. In diesem Bereich bildet sich eine Wirbelzone, die kaum für Auftrieb sorgt. Erst danach legt sich die Strömung wieder an das Tuch an – wenn denn welches da ist. Denn dreieckig geschnittene Großsegel kommen im Toppbereich selten auf eine entsprechend große Profillänge, womit der Abstand zwischen Vorliek und Achterliek gemeint ist. Bevor die Strömung anliegen kann, ist das Segel zu Ende; es erzeugt also lediglich Widerstand.

Die durch das Mastprofil verwirbelte Strömung kann beim konventionellen Großsegel (links) erst deutlich unterhalb des Segelkopfes anliegen. Der obere Bereich erzeugt nur Widerstand, keinen Auftrieb. Noch weniger Auftrieb erzeugt das achtern hohl geschnittene Rollgroßsegel (Mitte), dafür mehr Widerstand. Beim Reffen wird dieses Verhältnis noch deutlich schlechter als beim Standard-Segel. Beim Squarehead-Segel (rechts) erzeugt auch der Toppbereich Auftrieb und beim Reffen bleibt das Segel effektivFoto: YACHTDie durch das Mastprofil verwirbelte Strömung kann beim konventionellen Großsegel (links) erst deutlich unterhalb des Segelkopfes anliegen. Der obere Bereich erzeugt nur Widerstand, keinen Auftrieb. Noch weniger Auftrieb erzeugt das achtern hohl geschnittene Rollgroßsegel (Mitte), dafür mehr Widerstand. Beim Reffen wird dieses Verhältnis noch deutlich schlechter als beim Standard-Segel. Beim Squarehead-Segel (rechts) erzeugt auch der Toppbereich Auftrieb und beim Reffen bleibt das Segel effektiv

Messungen haben ergeben, dass bis zu 18 Prozent der Segelhöhe vom Topp aus gemessen unwirksam sein können und nur für Widerstand sorgen. In Versuchen wurde sogar dieser obere Teil abgeschnitten, es blieben nur Vor- und Achterlieksleinen zur Stabilisierung stehen – das Segel war nicht langsamer.

Verschärft wird dieses Phänomen beim Reffen. Denn nicht nur die absolute Segelfläche verkleinert sich, sondern vor allem die wirksame. Denn im Toppbereich bleibt das unwirksame Tuch stehen, unten wird das wirksame weggebunden.

Mit einer breiten Ausstellung im Toppbereich kann dieser Effekt minimiert werden. Die Strömung findet ausreichend Tuch, um erneut anliegen zu können. Auch beim Reffen wird lediglich die Segelfläche verkleinert, aber die Wirksamkeit des Segels bleibt erhalten.

Der Squarehead ist tatsächlich waagerecht

Squarehead-Segel sind am wirksamsten, wenn der Toppbereich tatsächlich waagerecht ausgeführt wird und nicht in Form einer Ellipse. Diese galt lange Zeit als das Ideal, wie etwa der Flügel eines Spitfire-Jägers aus dem Zweiten Weltkrieg. Die harte Kante oben an einem Squarehead-Segel müsste demnach eigentlich Induktionswirbel, also den Druckausgleich zwischen Luv und Lee, begünstigen, ähnlich wie unten um den Großbaum herum. Dies würde bremsen.

Doch dieser Effekt tritt so nicht ein. Das liegt am dynamischen Verhalten solcher Segel. Bei einer Bö öffnet sich das Segel im Topp schneller als bei anderen Segelformen. Außerdem strömen die freien Wirbel bei einem Squaretopp-Segel günstiger nach achtern weg als bei einem elliptischen Umriss. Bei diesem hangeln sich freie Wirbel am Achterliek vom Topp ein wenig nach unten. Dadurch verliert das Segel mit ausgestelltem, elliptisch gerundetem Achterliek etwas an sogenannter effektiver Spannweite. Die harte Kante wirkt also wie eine Art Wirbelbremse.

Mehr Segel, weniger Druck dank Squarehead

Ein Squarehead-Segel erzeugt aber nicht nur mehr Vortrieb, es kann sogar die Krängung und den Ruderdruck verringern sowie den Reffpunkt in einen höheren Windgeschwindigkeitsbereich verlagern. Weil das gesamte Tuch effektiv arbeitet, hat der Segelmacher die Möglichkeit, das Profil insgesamt flacher zu schneiden als bei einem herkömmlichen Segel. So wandert auch der Segeldruckpunkt nicht weiter nach oben. Zudem sind mit einem flacheren Segel spitzere Anstellwinkel möglich, also mehr Höhe am Wind. Das flachere Profil erzeugt zudem weniger Widerstand.

Bei zunehmendem Wind lässt sich solch ein Segel im Toppbereich deutlich besser twisten als ein dreieckiges. Das nicht benötigte Tuch wird quasi in den Wind gestellt, killt jedoch nicht, weil es durch Latten und das verwendete steife Laminat gestützt wird.

Im günstigsten Fall tritt sogar der sogenannte Inverted Twist ein. Dabei klappen die oberen zwei bis drei Latten nach Luv, das Segel erzeugt dann im oberen Bereich Auftrieb nach Luv und damit aufrichtendes Moment. Inverted Twist ist zwar auch mit herkömmlichen Segeln möglich und wird auch schon länger praktiziert, setzt aber ein bis zwei durchgehende Latten oben voraus und ist dann auch nicht so effektiv wie bei einem Squarehead-Groß.

Aufmerksamer Trimm beim Squarehead

Ein weit ausgestelltes Großsegel muss jedoch deutlich feinfühliger getrimmt werden als ein herkömmliches. Entscheidend ist der Twist. Wird das Achterliek zu sehr geschlossen, wandert der Druckpunkt nach oben, der Squarehead erzeugt dann viel Krängung und weniger Vortrieb. Dasselbe gilt zwar auch für Pinhead-Segel, nur wirkt sich dort ein Vertrimmen nicht so stark aus. Deshalb wird ein Squarehead-Groß auch etwas anders gefahren, der Großbaum auch bei mehr Wind eher mittschiffs und fast ohne Niederholerzug. Dafür ist ein nach Luv holbarer Schotwagen nötig. In einer Bö sollte zuerst die Schot gefiert werden. Dadurch steigt der Großbaum, und das Segel kann oben wegtwisten.

Bei einem Pinhead-Segel wird dagegen eher der Schotwagen nach Lee gefiert, um vor allem den Anstellwinkel des effektiveren unteren Bereiches zu verändern. Das sind jedoch sehr grobe Trimm-Faustformeln, die Feinjustierung hängt stark von der jeweiligen Konfiguration ab.

Spaßbremse Achterstag

Der Grund dafür, dass das Squarehead-Groß im Bereich Fahrtensegeln nicht häufiger zum Einsatz kommt, liegt schlicht am Achterstag – es begrenzt die Ausstellung des Achterlieks des Großsegels. Moderne Pinhead-Segel sind zwar bereits ebenfalls deutlich überrundet und das Achterliek ragt oben etwas über das Achterstag hinaus, nur sind auch sie weit entfernt von einem echten Squarehead. Dies ist nur bei achterstaglosen Riggs wie auf vielen kleineren Sportbooten möglich oder bei größeren Booten, wenn Backstagen gefahren werden.

Fahrtensegler mit herkömmlichen Riggs können aber zumindest eine Annäherung erreichen. Schon ein kleiner Galgen am Masttopp von 15 oder 20 Zentimeter Länge, dazu ein etwas tiefer ansetzender Segelkopf erlauben eine spürbare Ausstellung des Topp­bereichs. Dafür nötig sind jedoch Umbauten am Rigg. Wer diese scheut, nimmt ein ineffektiveres Segel in Kauf.


Der Vergleich beider Großsegel im Video


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