Lagoon Furling BoomRollbaum für große Katamarane von Lagoon

Jochen Rieker

 · 21.11.2023

Die Schiene für Kopfbeschlag und Lattenrutscher ist bis zum ersten Salingspaar beweglich montiert. Sie kompensiert die  Mastbiegung und gleicht das Schlagen des Baums im Seegang sowie den Stauchdruck der Segellatten aus
Foto: YACHT/J. Rieker
Der Weltmarktführer für Fahrtenkatamarane will das Segelhandling enorm vereinfachen. Wir haben den mit Sparcraft und Incidence Sails entwickelten Lagoon Furling Boom bereits ausprobiert

Es hat lange gedauert, bis das System serienreif war. „Die ersten Prototypen haben wir schon vor zwölf Jahren konstruiert“, sagt Bruno Belmont, Entwicklungschef von Lagoon und einer der findigsten Köpfe in der Welt des Katamaranbaus. „Doch sie waren technisch nicht gut genug.“

Vor gut fünf Jahren unternahmen Belmont und sein Team den nächsten Versuch, diesmal mit der Hilfe kompetenter Partner. Mastenbauer Sparcraft und Segelmacher Incidence wirkten konstruktiv mit. Die ersten Rollbäume heutiger Machart wurden bereits 2020 geriggt und seither ausgiebig erprobt. Zwei Fahrtenkatamarane sind inzwischen auf Langfahrt damit. Ab Januar soll die Serienfertigung beginnen von dem, was Beobachter einen potenziellen Gamechanger im Markt großer Mehrrumpfer nennen: den Lagoon Furling Boom.

Ein potenzieller Gamechanger im Markt großer Mehrrumpfer”

Nach Überzeugung von Quentin Berault, dem Produktmanager der zur Beneteau-Gruppe gehörenden Marke, wird das System das Setzen, Reffen und Bergen des Großsegels „enorm vereinfachen“. „Vor allem auf Kats mit Flybridge“, sagt Bruno Belmont, „bietet der Rollbaum entscheidende Handling-Vorteile gegenüber konventionellen Großsegeln.“

Die Boote werden größer, der Baum wandert immer höher

Tatsächlich löst die neue und vergleichsweise einfache Technik ein Problem, das in den vergangenen zehn, 15 Jahren immer drängender geworden ist. Mit dem Wachstum der Mehrrumpfer in Länge, Breite, vor allem aber auch Höhe ist das Auftuchen oder Reffen zu einer Mutprobe mehrere Meter über dem Meer geworden.

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Das oft noch von festen Biminis überragte Sonnendeck ließ den Baum in immer neue Höhen wandern. Wer dort bei hackiger See etwas klarieren muss, fühlt sich zu Recht arg exponiert. Und so adressiert der Furling Boom ein Problem, das jenseits von 40 Fuß Länge durchaus erheblich ist. Wie leicht verfängt sich die Endkappe einer Großsegellatte im Lazy-Bag und blockiert das Setzen? Wie oft kommt beim Reffen eine Leine unklar und quetscht das Tuch so sehr, dass es schamfilt und auf Dauer zerrieben zu werden droht?

Weil mehr als die Hälfte der Eigner großer Kats heute nur wenig oder gar keine Vorerfahrung auf See haben, verspricht der Rollbaum, eine Sicherheitslücke zu schließen. Denn zu dessen Bedienung muss niemand aus dem Steuercockpit der Flybridge. Alles, was zu seiner Bedienung nötig ist, lässt sich vom an Backbord montierten Winschenpaar erledigen.

Einfaches Segelsetzen per Elektrowinsch

Quentin Berault macht es beim Testschlag vor La Rochelle vor: Um das im Topp deutlich ausgestellte Groß zu setzen, dreht Bruno Belmont den Lagoon 46 zunächst in den Wind, während Berault die Großschot löst. An der Stopper-Batterie zwischen Ruder und Winschen zeigt eine weiße Markierung auf der Dirk, dass der Baum im richtigen Winkel steht. Dann reichen ein Druck auf den Schalter der Elektrowinsch, auf der das Fall belegt ist, und das kontrollierte Fieren der Wickelleine für die Großbaumspindel, um das 70 Quadratmeter messende Tuch ins Rigg zu ziehen.

Zwar verhakt sich zunächst die oberste Latte am Übergang vom Einfädler in die Mastschiene, weil der zu viel Spiel aufweist und das Segel bereits einen leichten Vorschaden am Liek hat. Doch sobald der kritische Punkt überwunden ist, der noch beseitigt wird, geht das Groß tatsächlich spielend einfach himmelwärts.

Sauber rollt das Tuch vom Baum und gleitet an dem im unteren Bereich beweglich montierten Profil nach oben. Kaum mehr als drei Minuten dauert das Manöver, das mit etwas Übung von einer Person durchgeführt werden kann, sofern ein Autopilot den Kat im Wind hält.

Lagoon setzt beim Rollbaum auf einfache Technik

Reffen geht noch einfacher und schneller, weil der Weg kürzer ist und das Prinzip gleich bleibt. Nur dass jetzt das Fall gefiert und die Wickelleine über die E-Winsch geholt wird. Das erste Reff ist in weniger als einer Minute eingebunden. Ins Segel eingenähte Schaumstreifen kompensieren dabei die Profiltiefe, sodass das Groß im neuen Unterliek flach und sauber steht. Die mit dem Reff korrespondierende Latte kommt dabei parallel zum Baum zu liegen.

Anders als bei anderen Rollbaum-Systemen bleibt das Groß unverdeckt. Das erleichtert die visuelle Kontrolle. „Wir wollten die Technik so einfach wie möglich halten“, betont Bruno Belmont. Ein nachvollziehbares Prinzip, zumal es auf großen Fahrtenkats bisher nur wenig Alternativen und daher auch nur eingeschränkt Praxiserfahrungen über längere Zeit gibt.

Die Belastung der Segel ist deutlich erhöht

Das Segel wird beim Bergen mit straff geführtem Fall gewickelt. Das sorgt für eine korrekte Führung, setzt das Tuch aber auch hoher Zugbelastung aus. Falten sind dabei unvermeidlichFoto: YACHT/J. RiekerDas Segel wird beim Bergen mit straff geführtem Fall gewickelt. Das sorgt für eine korrekte Führung, setzt das Tuch aber auch hoher Zugbelastung aus. Falten sind dabei unvermeidlich

Beim Test spürt man, dass selbst die Lagoon-Experten noch eine gewisse Vorsicht walten lassen. Um den Einlaufwinkel des Vorlieks präzise einzuhalten, fieren Belmont und Berault Fall oder Wickelleine jeweils nur mit viel Gegendruck. Wegen des Widerstands wird das Groß insbesondere beim Reffen oder Bergen folglich mit hohem Zug um die Spindel geschlungen. Die entstehenden Falten werden so regelrecht ins Tuch gepresst; die Zugbelastung beansprucht aber vor allem das Polyester-Laminat, das Teil des Rollbaum-Pakets ist.

Vor allem auf Kats mit Flybridge bietet der Rollbaum Handling-Vorteile gegenüber konventionellen Großsegeln” (Bruno Belmont, Lagoon)

Ob das der Beanspruchung langfristig gewachsen sein wird, bleibt abzuwarten. Incidence Sails, einer der führenden Segelmacher Frankreichs insbesondere im Hochseebereich, verfügt fraglos über die dafür nötige Expertise. Und auch Sparcraft als Rigg-Spezialist bürgt für Qualität.

Der Lagoon Furling Boom hat seinen Preis

Das für die Aufnahme der Mastschiene modifizierte Rigg, der Rollbaum sowie das radial geschnittene Großsegel kosten für den Lagoon 46 fast 43.000 Euro Aufpreis; beim Lagoon 51 werden 55.930 Euro mehr fällig. Das ist viel Geld für den Komfort-und Sicherheitsgewinn. Anfangs rechnet Bruno Belmont deshalb nur mit etwa 20 Prozent Marktanteil. „Aber das wird mit der Zeit deutlich mehr, wenn sich die Vorteile herumsprechen.“

Schon in zwei, drei Jahren, glaubt er, dass mehr als die Hälfte der großen Kats mit dem Furling Boom unterwegs sein werden. Zwei Jahre gibt es das System exklusiv nur bei Lagoon. Ab 2026 können Sparcraft und Incidence auch andere Werften mit der Technik beliefern.


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