AusrüstungTorqeedo registriert “extreme Nachfrage” nach Elektromotoren für Boote

Jochen Rieker

 · 17.11.2022

Mit Außenbordern fing es 2005 an, inzwischen bietet Torqeedo auch Elektroantriebe für Fahrtenyachten und Hochsee-Katamarane
Foto: Torqeedo/Chr. Brecheis

In Oberpfaffenhofen südwestlich von München hat Torqeedo vorige Woche den neuen Firmensitz erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit ihm will der Weltmarktführer für Elektroantriebe die stark steigende Nachfrage bedienen und zugleich effizienter werden. Innenansichten eines Herstellers, der voll auf Innovation setzt und doppelt so viele Entwicklungsingenieure beschäftigt wie Monteure in der Produktion

Das Gelände vor dem schwarz verkleideten Hauptquartier wirkt noch kahl und karg. Wo einmal Rollrasen und Pflanzen gedeihen sollen, liegt derzeit nur braune Muttererde. Gerade mal ein Monat ist seit der Fertigstellung von Torqeedos neuer Zentrale vergangen, die mithelfen soll, den deutschen Pionier emissionsfreier Bootsantriebe auch künftig an der Spitze des Marktes zu halten – eines Marktes, der vor einem enormen Wachstumsschub steht.

In dem modernen Gebäudekomplex mit dem orangeroten Logo am Eingang arbeiten jetzt erstmals alle Abteilungen unter einem Dach. Zuvor waren sie auf mehrere Standorte verteilt.

Die Konzentration soll nicht nur für mehr Nähe, Austausch und Effizienz sorgen. Sie ist auch ein Sinnbild für die rasante Entwicklung, die Torqeedo bereits durchlaufen hat: vom 2005 gegründeten Start-up zu einem der bekanntesten Unternehmen im Wassersport, das nahezu im Alleingang den Markt für Außenbordmotoren umgekrempelt hat und inzwischen mit Größen wie Volvo-Penta, Yanmar und Mercury konkurriert.

Vom 1-PS-Außenborder bis zur 135-PS-Wellenanlage

Längst umfasst das Portfolio der Elektro-Pioniere nicht mehr nur die silbergrauen Dingi-Antriebe der Travel-Serie. Die Pod-Motoren der Cruise-Reihe bieten inzwischen so viel Vortrieb wie ein konventioneller 25-PS-Diesel, die Wellenanlagen der Deep-Blue-Serie haben bis zu 135 PS. Dazu hat Torqeedo von Akkus über elektronische Fahrhebel bis zum Bus-System die gesamte Infrastruktur entwickelt.

Der Showroom am Empfang in Oberpfaffenhofen zeigt die Fertigungstiefe eindrucksvoll. Die Produkte füllen fast die gesamte Breite des Verwaltungsgebäudes. Und in wenigen Monaten sollen weitere dazukommen.

Auch Fabian Bez ist neu an Bord: Als CEO trat er seinen Dienst fast zeitgleich mit dem Umzug in die neuen Räume an und soll die nächste Wachstumsphase begleiten. “In den vergangenen 17 Jahren haben wir hart daran gearbeitet, ein bis zwei Prozent des Marktes für Bootsantriebe zu erobern”, sagt er. Das größte Stück komme jetzt erst, mit der fortschreitenden Transformation von Verbrennern zu Elektromotoren. “Wir sehen gerade eine extreme Nachfrage.” Zwar gebe es auch mehr und mehr Wettbewerber, aber das sieht er positiv. Die Konkurrenz “wird uns besser machen”.

100 Prozent Produktivitätssteigerung bei Cruise-Antrieben

Ein Faktor dabei ist der neue Standort. Durch den Umzug und die damit einhergehende Neustrukturierung der Abläufe an insgesamt neun Produktionslinien hat Torqeedo enorme Rationalisierungsschritte gemacht, wie Produktionsleiter Bernhard Becker sagt. Allein die Kapazität im Bereich der Cruise-6-Außenborder konnte von 300 bis 350 Antriebe pro Woche auf jetzt 700 Einheiten verdoppelt werden – und das bei Aufrechterhaltung der umfassenden Qualitätskontrollen.

So wird nach wie vor jeder Motor vor Auslieferung an verschiedenen Prüfständen unter anderem auf Wasserdichtigkeit und Ausgangsleistung getestet. Mit Hilfe von Industrierobotern führt Torqeedo außerdem aufwändige Dauerlasttests durch, etwa hinsichtlich der Festigkeit des Pinnenauslegers an den Travel- oder Cruise-Außenbordern oder an den Steckverbindungen, die auch nach mehreren 10.000 Zyklen noch wasserdicht sein müssen.

Rund 80 Prozent der Komponenten, die hier montiert werden, stammen aus der näheren Umgebung. Alle wichtigen Zulieferer sitzen nicht weiter entfernt als 300 Kilometer. Nur einige Kabel, Stecker und andere kleinere Bauteile kommen aus Fernost.

Wie Fabian Bez stolz mitteilt, wird in Kürze der 200.000ste Motor in Oberpfaffenhofen produziert. Bisher waren der weit überwiegende Teil Außenborder. In der nun folgenden Phase werden aber Einbau- und Unterbau-Antriebe wichtiger.

Daysailer als Vorreiter der Elektrifizierung

Phillip Goethe, verantwortlich für Strategie und Produktmanagement, sieht dabei vor allem einen Bereich, in dem der Durchbruch kurz bevorsteht: Daysailer. Als Paradebeispiel für die wachsende Elektrifizierung nennt er Saffier Yachts aus Holland, die schon ”früh die Vorteile erkannt haben”. Dazu zählt neben der Ruhe und Sauberkeit der Pod-Motoren deren geringer Platzbedarf und das günstigere Gewicht im Vergleich zu einem Dieselaggregat. “Weil die Boote oft auf Binnenrevieren unterwegs sind und so gut segeln, spielt hier auch die Reichweite keine Rolle”, so Goethe.

Inzwischen gehört mit der Beneteau-Gruppe aber auch ein Volumenanbieter zu den strategischen Partnern von Torqeedo. Die noch junge Katamaran-Marke Excess zählt hier zu den Vorreitern; im Motorboot-Segment sind es die Verdränger von Delphia Yachts, die mit E-Antrieben konzipiert und ausgestattet werden.

“In der Vergangenheit sind wir Jahr für Jahr zu Beneteau gefahren und haben gesagt: ,Jetzt ist die Zeit reif für die Elektrifizierung der Flotte!’” Viel bewegt habe sich nicht. “Aber jetzt sehen wir etliche Marktbereiche an einem Kipppunkt – nicht nur einen, sondern 20 oder mehr.”

Wohl auch deshalb ist Torqeedo noch mehr Tech-Unternehmen als Motorenfertiger. Während in der Produktion und Logistik derzeit 30 Mitarbeiter tätig sind, stehen in der Entwicklung 65 Ingenieure unter Vertrag. Und die haben bereits die nächsten Innovationen ausgeheckt.

Welche, das mochte Fabian Bez bei der Präsentation des Hauptquartiers noch nicht verraten. Nur so viel: “In weniger als zwölf Monaten” werde es spannende neue Produkte aus Oberpfaffenhofen geben.


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