Alexander Worms
· 02.08.2023
Völlig lautlos gleitet die Yacht in den Hafen. Keine Rauchwolken, kein Kühlwassergeplätscher. Dann ein vernehmliches Gurgeln aus dem Schraubenbrunnen, und schon steht das Boot. Zentimetergenau. Das Geheimnis für diese Präzision ist der E-Antrieb des Schiffes. Denn der ist bei Hafenmanövern einfach ein Gedicht. Doch warum ist das so?
Dazu zunächst ein Blick auf den Diesel: Der hat eine Leerlaufdrehzahl von etwa 700 Umdrehungen in der Minute. Mit einer Getriebereduktion von zwei zu eins bedeutet dies, dass der Propeller mindestens 350 Umdrehungen absolviert, sobald man den Gang einlegt. Weniger geht nicht. Es ist also eine konstante Abwägung zwischen Schub und kein Schub. Ganz wenig Schub geht nicht.
Und dann, etwa beim Aufstoppen, wird mehr Kraft benötigt. Die hat der Diesel aber erst bei mehr Drehzahl. Sein größtes Drehmoment erreicht ein 30-PS-Diesel etwa bei 2.200 Umdrehungen in der Minute. Das ist aber ziemlich heftig für Hafenmanöver. Also gilt es für den Rudergänger, entsprechend vorausschauend zu schalten und am Gas zu arbeiten.
Der E-Motor hingegen hat ab der ersten Umdrehung stets dieselbe Kraft zur Verfügung. Sein Drehmoment ist konstant. Damit lässt sich der Motoreinsatz perfekt dosieren, Manöver gelingen punktgenau. Allerdings ist dafür am meist kleinen Bedienhebel, ebenso wie beim Diesel, Fingerspitzengefühl gefragt.
Das enorme Drehmoment sorgt für guten Antritt voraus und schnelles Aufstoppen achteraus, was zunächst gewöhnungsbedürftig sein kann. Dazu muss der Propeller allerdings genau auf den Antrieb und das Boot abgestimmt sein, wichtig etwa, wenn man einen alten Diesel gegen einen E-Antrieb tauscht.
Stichwort Austausch: Wenn man insgeheim auch über die Anschaffung einer Bugstrahlruders nachdenkt, kann der E-Antrieb ebenfalls eine Lösung sein, indem man anstelle eines größeren schlicht zwei kleinere Motoren einbaut. Die kommen dann als sogenannte Pods, also kleine Antriebsgondeln, unter den Rumpf, jeweils außermittig. Somit steht beim Manövrieren die Option von zwei Motoren zur Verfügung, womit sich die Yacht auf der Stelle drehen lässt. Bugstrahler? Überflüssig!
Beim Fahren auf der Strecke ist der E-Antrieb ebenfalls etwas anders. Man wird ganz automatisch stets auf eine reichweitenoptimierte Fahrweise bedacht sein. Dabei hilft es, Geschwindigkeit und Energieverbrauch genau im Auge zu behalten und damit zu experimentieren.
Da der Energiebedarf exponentiell ansteigt, sind schon geringe Geschwindigkeitssenkungen sehr gut für die Reichweite. Anstatt 5,0 vielleicht nur 4,5 Knoten Fahrt bedeuten also letztlich überproportional mehr Reichweite. Diese im Auge zu behalten ist wichtig. Eine Ein-Drittel-/Zwei-Drittel-Regelung für Hin- und Rückweg sorgt dank der Reserve für ein gutes Gefühl, wenn auf dem Heimweg doch mal mehr Wind auf die Nase steht als erwartet.
Was zudem viele Eigner berichten, die auf einen E-Antrieb umgestiegen sind, ist, dass sie wieder deutlich mehr segeln. Die Situationen, in denen man sicher segeln könnte, aus Bequemlichkeit aber die kurze Kreuz scheut, oder man lieber durch die Flaute motort, als auf den Wind einen Tag später zu warten, um keinen Urlaubstag zu verschwenden, werden mit E-Antrieb öfter mal zugunsten des Windantriebs entschieden. Und das ist doch an sich auch schon wieder eine gute Sache.