Nico Krauss
· 02.11.2022
Der Segler, Bergsteiger und Marathonläufer Jan Torge Fahl ist in der Notaufnahme des Spitalzentrums Oberwallis in der Schweiz tätig. Er erklärt, was mit dem menschlichen Körper bei Kälte geschieht
Einfach gesagt, ist die Körpertemperatur mit einem Normalwert zwischen 35 und 37 Grad Celsius ein Resultat von Wärmeproduktion und Wärmeverlust. Wärme wird durch Muskelaktivität wie Kontraktion und Bewegung, aber auch durch Zittern erzeugt. Zudem steuern Stoffwechselprozesse den Wärmehaushalt. Wir verlieren die Wärme z. B. durch Exposition gegenüber kalten Elementen wie Wind, Wasser und Gischt.
Fällt die Körperkerntemperatur unter 35 Grad Celsius, dann funktionieren Stoffwechselprozesse im Körper weniger gut, und die neurale Aktivität ist eingeschränkt. Man spricht von Hypothermie.
Unterkühlung kann je nach Schweregrad eine Vielzahl von Beschwerden hervorrufen: Dazu gehören eingeschränktes Urteilsvermögen, Konzentrationsmangel, langsame Entscheidungsprozesse, Gangunsicherheit und reduzierte Feinmotorik. Das liegt daran, dass der Körper seine Energie auf die lebenserhaltenden Funktionen beschränkt. Bereits bei einer moderaten Hypothermie mit Körpertemperaturen von 28 bis 32 Grad Celsius können diese Symptome auftreten. So kann das Navigieren, Kurshalten und Trimmen schwierig werden. Ein weiteres Problem: Die Betroffenen nehmen den zunehmenden Verlust an Kontrolle nicht wahr und gefährden damit sich selbst und die Crew.
Fällt die Körperkerntemperatur weiter ab, kann es zu Herzrhythmusstörungen, unregelmäßigem Atmen und einem sogenannten paradoxem Wärmegefühl kommen: Betroffene beginnen sich zu entkleiden, da sie subjektiv eine große Hitze spüren können. Bei Temperatursenkung unter 28 Grad Celsius kann Bewusstlosigkeit oder ein plötzlicher Herzstillstand eintreten. Das ist ein medizinischer Notfall. Zum Glück sind solche Szenarien bei einer wetterfest bekleideten Crew äußerst selten – bei einem Sturz in die kalte See hingegen durchaus möglich.
Um die Körperkerntemperatur wieder zu normalisieren, sollten die Betroffenen unter Deck ins Warme gebracht werden, nasse Kleider gegen trockene tauschen und sich in einen Schlafsack legen, eventuell zusammen mit einer normal temperierten Person oder einer Wärmflasche. Reichlich warme Getränke konsumieren, auf keinen Fall aber Alkohol.
Oberflächliche Erfrierungen sind selten, solange die Umgebungstemperatur nicht unter minus zehn Grad Celsius fällt. Bei starken Winden, verstärkt durch den Windchill-Effekt, können Erfrierungen auch schon bei höheren Temperaturen auftreten. Besonders exponierte Partien wie Kinn, Ohren, Wangen und Finger sind betroffen. Die Haut wird an den entsprechenden Stellen dann wächsern und bleich, das taktile Gefühl geht verloren. Abhilfe schafft dann Kontakt mit wärmeren Körperregionen, die Hände unter die Achseln schieben oder an den Bauch legen. Sobald die Körperregionen wieder erwärmt sind, können sie reaktiv rot werden und brennen oder kribbeln.