JubiläumRoyal Huisman baut unmöglich geglaubte Großsegler seit 140 Jahren

Sören Gehlhaus

 · 18.08.2024

Neues Land: 1971 zog Royal Huisman nach Vollenhove. Heute belegt die Werft 30 000 Quadratmeter und beschäftigt 350 Mitarbeitende
Unmöglich geglaubte Großsegler kommen von Royal Huisman, das gilt seit den 1980er-Jahren. Davor kämpften sich zwei Brüder und später Wolter Huisman an die Spitze des Spezialyachtbaus. Die niederländische Werft feiert ihr 140-jähriges Bestehen

Wiederkehrende Kunden sind ein Segen für Werften. Besonders, wenn sie über ihre guten Erfahrungen offen sprechen. Da wird ein Eigner, der gleich drei Yachten über 40 Meter bei Royal Huisman in Auftrag gegeben hat und sie alle zeitgleich bereederte, zum ausgezeichneten Werftbotschafter. Beim US-Amerikaner Jim Clark sind das „Hyperion“ (1998, 47 m), „Athena“ (2004, 90 m) und die J-Class-Schönheit „Hanuman“ (2009, 42 m), deren 37 Meter lange Begleityacht „Atlantide“ Huismans Refit-Sparte Huisfit neu aufbaute. Netscape-Gründer Clark meldete sich anlässlich des 125-jährigen Bestehens im Editorial einer Werftpublikation zu Wort. Er machte zwei Qualitätspfeiler für den Erfolg Royal Huismans aus, allen voran den Geist Wolter Huismans: „Er selbst hätte wohl kaum gedacht, dass er sich auf den Bau von ,Athena‘ einlassen würde. Aber seine positive Einstellung und sein Enthusiasmus beflügelten alle.“ Der zweite Garant: die Abgeschiedenheit von Vollenhove. Der Ort werde von der Werft bestimmt. Viele, die in der Gemeinde aufgewachsen sind, hätten ihr Gewerk bei Huisman gelernt. Und da angemessene Löhne gezahlt werden, blieben die Mitarbeiter sehr treu.

Anfänge mit Holz

Dabei gab es das Land, auf dem die Hallen jetzt stehen, zum Zeitpunkt der Werftgründung im Jahr 1884 gar nicht. Nicht einmal das IJsselmeer. Der raue Arm der Nordsee reichte noch bis in das Innere der Niederlande, als Jan Huisman sieben Kilometer ostwärts in Ronduite begann, kleine Arbeits- und Fischerboote aus Holz zu bauen. Kurz vor der Fertigstellung des Afsluitdijk-Damms und der damit einhergehenden Abschottung der Zuiderzee (dem heutigen IJsselmeer) beschlossen die Brüder Jan und Jacob, auf hölzerne Segelyachten statt auf Fischerboote zu setzen. Sie fürchteten, sich zu weit von ihrer Kundschaft zu entfernen, denen die Brüder mit der Vollenhovense Bol bis dato ein äußerst seetüchtiges Fischerboot lieferten. Also entwickelten sie eine Cruising-Version und wagten den Wechsel.

Stahl wird ab 50er Jahren bei Royal Huisman als Baumaterial eingesetzt

Zwölf Jahre später entsteht durch eine groß angelegte Eindeichung der Noordoostpolder, auf dem das heutige Vollenhove liegt. Erst 1971 sollten Huisman-Yachten auf dem trockengelegten Land unter dem Wasserspiegel gefertigt werden. Dazwischen entschied sich der junge Wolter Huisman 1954 in Ronduite statt Holz für Stahl als Baumaterial. Auf zwei Motoryachten aus Stahl folgte bald der etwa 70-fach gebaute Holzsegler „Beulakermeer“. Wolter Huisman übernahm das väterliche Unternehmen 1959, führte Aluminium ein und ging mit dem Biegen und Schweißen des Leichtmetalls für den Bau von Schiffsrümpfen neue Wege. Fünf Jahre später präsentierte Huisman mit dem 30 Fuß langen Van-de-Stadt-Design „Avenir“ die erste Alu-Yacht, von der schnell über zehn verkauft waren. Im Jahr 1973 lief bei Huisman die erste „Saudade“ vom Stapel, eine 14-Meter-Slup. Auf der „Roten Sau“ gewann Albert Büll mit dem deutschen Team den Admiral’s Cup.

Mit den 80er Jahren kommen Performance-Cruiser

In Vollenhove erhielt man Zugang zu tieferen Gewässern und expandierte. Auch Regatta-Erfolge stellten sich ein. 1978 gewann Conny van Rietschotens von Sparkman & Stephens entworfener 20-Meter-Maxi „Flyer“ das Whitbread Round the World Race. Im Jahr 1981 zeigte Huisman, dass man sich auch auf große Performance-Cruiser wie „Belle Fontaine“ (24 m) versteht. Im selben Jahr entstand „Helisara“ (23 m) für Herbert von Karajan, die erste echte Maxi. „Il Maestro“ soll Wolter Huisman erklärt haben, dass die Berührung und Bewegung seiner feinfühligen Fingerspitzen das Steuerrad einem ultimativen Test unterziehen könnte und sich darüber die Güte des Baus ausdrücken würde. Das war dann auch das Erste, was der Chefdirigent einer Prüfung unterzog – mit einem Finger. Und zu seiner Zufriedenheit. Von Karajan gewann den Maxi Rolex Cup im Jahr der Ablieferung.

Royal Huisman: Ehrentitel zum 100. Geburtstag

Der royale Ehrentitel wird der Werft 1984 zum hundertsten Geburtstag verliehen; zu der Zeit maß die größte Ablieferung 28,30 Meter vom Steven bis zum Spiegelheck, die von Sparkman & Stephens entworfene „Cyclos II”. Der damalige Bauüberwacher hieß Jens Cornelsen, der mit seinem Glückstädter Büro noch viele Projekte in Vollenhove betreuen sollte. Auch den Wiederaufbau der J-Class „Endeavour“, der die Yachtbauer ab 1989 forderte. Den Alu-Mast und -Baum fertigte Huismans Schwesterbetrieb Rondal. Wenige Jahre später startete man damit, Komponenten aus Kohlefasern in einer neuen Produktionsanlage zu laminieren.

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Die Zerreißprobe kam 1995, als die Vorgabe des „Hyperion“-Projektteams lautete: Der 60-Meter-Mast müsse aus Carbon bestehen. Rondal nahm an und fertigte ihn in einem Stück. Später bestanden „Athenas“ Gaffelspieren aus Kohlefaser. Masten und Rumpf wurden aus Alustar geschweißt. Zum Launch im Jahr 2004 übertrumpfte „Athena“ das bisherige Flaggschiff „Borkumriff IV“ (2002, 51 m) um stolze 39 Meter. Wolter Huisman sah den Dreimastschoner davonsegeln, erlag aber wenige Wochen später seinem Krebsleiden. Seine Tochter Alice übernahm 43-jährig die Werftgeschicke, nachdem sie über das Marketing ins Familienunternehmen eingestiegen war.

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2014 wurde die niederländische Reederei Royal Doeksen Hauptanteilseigner, und mit der vollständigen Übernahme drei Jahre später trat Alice Huisman zurück. Unter ihrer Ägide entstanden wegweisende Formate wie „Ethereal“ (2009, 58 m), „Kamaxitha“ (2012, 49 m) oder „Elfje“ (2014, 46 m). Dass es in Vollenhove längst nicht nur um Retroklassiker geht, zeigte „Ngoni“ 2017. Ein segelndes Statement. Die 58-Meter-Slup faszinierte mit stromlinienförmigem Riss, dem letzten von Meister-Konstrukteur Ed Dubois.

Refits in Zaandam

Eine gut erreichbare Anlaufstelle für Refit-Kunden und eine Ausgangsbasis für Seeerprobungen sowie Ablieferungen präsentierte Royal Huisman 2019 mit dem ehemaligen Standort von Holland Jachtbouw. Für die 12 000-Quadratmeter-Anlage in Zaandam bei Amsterdam vereinbarte man mit Port of Amsterdam eine Dauerpacht. Dort machte zwei Jahre nach der Einweihung eine weitere Überraschung fest, die 58 Meter lange „Phi“. Eine Motoryacht, wahrlich nicht die erste in der Werftgeschichte. Zuvor zeigte man anhand von „Arcadia“ (2006, 36 m), dass es auch ohne Masten geht. Dennoch war der „Phi“-Bau mit dem Segelsektor verknüpft. Denn die Werft spielte ihre Stärken beim Innenausbau aus, der seit jeher in Eigenregie geschieht. Wer den begrenzten Raum auf Segelyachten äußerst effizient ausfüllen kann, hat mit dem Innenraum des flachen wie schlanken Motorformats „Phi“ kein Problem.

Den Ruf der maritimen Traumfabrik untermauert Royal Huisman mit stetig neuen Superlativen. „Sea Eagle“ schob sich 2020 mit 81 Meter Länge ins Rampenlicht – und mit 3500 Quadratmeter Segelfläche, ein Drittel mehr als „Athena“. Derzeit sind XXL-Slups auf dem Vormarsch. Gleich zwei Einmaster beschäftigen die 350 Mitarbeiter seit Neuestem: das 81 Meter lange Projekt 411 und Projekt 410 mit 85 Metern. Beide aus Aluminium. Wem das nicht genügt: In der Konzeptschublade liegt „Wing“, ein 100 Meter messender Zweimaster im modernen Gewand und mit frei stehenden Flügelmasten.


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