Jochen Rieker
· 11.09.2022
Die Yachtmesse in Cannes, Auftakt und Höhepunkt der Herbst-Saison, geht zu Ende. Und es sieht so aus, als zeige sich die Bootsbranche weiterhin unbeeindruckt von der Konjunkturabkühlung. Hier erste Resümees der Werften – und ein Premieren-Highlight aus der Heimat: die fantastische Y9 von Michael Schmidt, größte Neuheit in Port Canto
In einer Melange aus verhaltener Freude und gefasstem Staunen schließt in diesen Stunden das Yachting Festival Cannes. Es war, einmal mehr, eine Messe der Superlative – nicht nur wegen der mondänen Kulisse der französischen Riviera, der sommerlichen Temperaturen oder der erstaunlichen Zahl vor allem großformatiger Weltneuheiten, über die wir bereits in Ausschnitten berichtet hatten und in den kommenden Tagen weiter berichten werden.
Fast noch verblüffender war der Subtext der Veranstaltung. Es gibt, so jedenfalls lassen sich die Aussagen der Werften quer über alle Sparten zusammenfassen, bisher kaum spürbare Auswirkungen der drohenden Inflation und der durch die Russland-Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs absehbaren Energieengpässe. Vielmehr berichten die Bootsbauer übereinstimmend über einen anhaltend stabilen, teils sogar zunehmenden Eingang an Aufträgen.
Ob Katamarane, Performance-Cruiser oder Fahrtenboote – die Nachfrage bleibt hoch, die Lieferzeiten lang. Bei Outremer etwa müssen sich Eigner, die heute den bei Europas Yacht des Jahres siegreichen 55er-Performance-Kat ordern, bis 2025 gedulden. Werftchef Xavier Desmarest plant daher mittelfristig sogar eine Kapazitätserweiterung – ebenso wie Nautor Swan, die neu eingehende Bestellungen kaum vor 2024 ausliefern können und das Rekord-Volumen aus dem Vorjahr in 2022 erneut erreichen werden.
Auch wenn sich hier und da schon so etwas wie Unglauben in die Kommentierung der anhaltend guten Geschäftsentwicklung mischt, wenn leise Sorgen wegen der zwangsläufig weiter steigenden Preise geäußert werden – von einem Strömungsabriss im Segelbootmarkt war in Cannes nirgends die Rede.
Es sieht ganz so aus, dass nach dem Corona-Boom der vergangenen Jahre jetzt Inflationsängste und ein Gefühl des Nicht-länger-warten-Wollens zum Umsatztreiber geworden sind, nebst einem vor allem im Mehrrumpfboot-Segment spürbaren Trend, Boote verstärkt als Ferien-(Im)Mobilien zu nutzen. Weltmarktführer Beneteau spricht offen von „Real Estate on the Water“; Konkurrent Fountaine Pajot preist seine Kats mehr über Quadratmeter Wohnfläche an als über die Segelfläche. Auch da verschiebt sich etwas.
Michael Schmidt, Gründer von Hanseyachts und nach seinem Ausstieg dort wenig später mit Y Yachts in den Bootsbau zurückgekehrt, diesmal in der Oberklasse, geht einen eigenen Weg – den einer High-End-Kohlefaser-Manufaktur. Und auch er profitiert von der nicht enden wollenden Konjunktur. Binnen kurzem hat er sich und seine Marke vom Standort Greifswald aus erfolgreich in einer Nische jenseits von Baltic, Nautor und Southern Wind etabliert.
Seine 90-Fuß Y9 setzte den Maßstab der Segel-Weltpremieren in Port Canto. Keine andere überragte sie an Länge – und an Extravaganz.
Tatsächlich ist das Bill-Tripp-Design in jeder Hinsicht einzigartig. Reduzierter in der Formensprache, harmonischer im Ausbau, verblüffender in der Wirkung, radikaler im Einsatz von Kohlefasertechnologie, ideenreicher in den Details. Und man muss schon hierher reisen, um das live und in 3D zu erleben. Die gleichermaßen hübsch wie facettenreich gestaltete Website des Modells vermittelt zwar einen guten ersten Eindruck, vermag aber die Alleinstellung des bisherigen Y-Flaggschiffs nur ansatzweise wiederzugeben.
Wer den 6,80 Meter breiten und gut zwei Meter hohen Steven erklimmen wollte, tat dies über die in solchen Sphären obligatorische Carbon-Passarelle, die gleichsam als Brücke über den achtern festgemachten Tender führte. Und da geht es mit den Besonderheiten auch schon los.
Verzeihen Sie also den kurzen Exkurs übers Beiboot. Hier ist er obligatorisch. Der Y- Tender besteht wie das Mutterschiff aus Kohlefaser; wiegt ohne Motor nur 170 Kilogramm bei einer Länge von 3,70 Meter. Und er ist kein profanes RIB. Vielmehr verleihen ihm zwei Rümpfe eine Kat-ähnliche Stabilität beim seitlichen Aufentern und ein hohes Geschwindigkeitspotenzial. Ein rundum verlaufender Luftschlauch fungiert als Permanent-Fender; er lässt sich vor dem Aufholen mit dem eigens dafür entwickelten Krangeschirr am Heck elektrisch leerpumpen, wodurch sich die Staubreite in der Heckgarage verringert.
Diese liegt unter dem riesigen Achterdeck, das sich per Knopfdruck elektrisch öffnet. Die Ladeluke misst knapp drei mal fünf Meter und bietet zusätzlich kleinere Zugänge fürs Wegstauen von Ausrüstung. Vermutlich ließe sich hier sogar ein Smart verstecken oder ein Quadrokopter wie der Jetson One aus Schweden. Es passt natürlich auch jedes herkömmliche RIB unter Deck, wie die nebenan vertäute Y7 demonstriert (s. Fotogalerie, letztes Motiv).
An Deck gefällt das Y-Flaggschiff mit schieren Laufwegen und der auf luxuriösen Mini-Maxis üblichen Teilung der Cockpitbereiche: Vorn in der Plicht logieren die Gäste, achtern arbeitet die Crew. Die Großschot sucht man freilich vergebens. Sie greift mittig auf dem Bimini-Top an und sitzt versteckt im Park-Avenue-Großbaum. Um die Segel einzustellen oder zu setzen, den Kicker oder das Vorliek zu holen, reicht ein Knopfdruck, weshalb sich so ein 27,40-Meter-Kreuzer nicht nur theoretisch zu zweit segeln lässt.
Sein Leistungspotenzial ist übrigens so beeindruckend wie sein Format: Die Rumpfgeschwindigkeit liegt jenseits von zwölf Knoten; selbst am Wind sind damit 300-Seemeilen-Etmale drin. Und es braucht nicht viel, um diese halbwinds oder raumschots deutlich zu überschreiten. Allein das Groß misst 242 Quadratmeter Segelfläche, etwas weniger als ein Tennisfeld. Der Gennaker fasst auf 617 Quadratmeter Wind. Da wird klar, warum in den Crewquartieren achtern, vor der Tender-Garage, Platz für vier Mannschaftsmitglieder ist.
Trotz ihrer enormen Power wirkt die Y9 jedoch äußerst zurückgenommen, ja reduziert. Sie ist kein steroides Macho-Boot, sondern das genaue Gegenteil – unaufdringliche Eleganz. Das wird beim Blick den Niedergang hinunter sofort klar, mehr aber noch, wenn man sich Zeit nimmt, die Atmosphäre der gesamten Einrichtung wirken zu lassen.
„Unsere Yachten sind ein Rückzugsort vor der fortwährenden Hyperstimulation dieser Welt“, sagt Michael Schmidt, und bringt es damit gut auf den Punkt. Das von Katrine Goldstein gestaltete Interieur erscheint gleichermaßen schlicht wie hochwertig, reduziert, aber zugleich warm und edel. Es lässt seinen Gästen viel Raum und Ruhe.
Kojen und Schränke scheinen über dem Boden zu schweben. Und sie sind so gut in die Strukturen integriert, dass sie visuell auf angenehme Weise zurücktreten. Ein Wow-Effekt der leisen, unscheinbaren Art, der nicht durch bloßes Weglassen, sondern durch geschicktes Arrangement entsteht.
Nicht weniger als fünf verschiedene Layouts bietet Y Yachts für die Y9 an. Und es gibt sie auf Wunsch als Pilot-Saloon-Version und als Y9 Custom mit nahezu unbeschränkter Wahlfreiheit, was die Gestaltung betrifft.
„Großserienboote könnte ich nicht mehr bauen“, sagte Michael Schmidt gegenüber YACHT online in Cannes. Nur gut, dass der kreative Impulsmensch ein neues Betätigungsfeld im Yachtbau für sich gefunden hat. Die Welt und die Bootsmesse Cannes wären andernfalls um eine spannende Konstruktion ärmer.