Swan 88Nautor schafft dank Elektrifizierung segelnden Selbstversorger

Sören Gehlhaus

 · 20.10.2024

Kleine Große: Die Swan 88 misst 26,54 Meter mit Bugspriet, der auf Höhe der Ziergöhl ansetzt und Code Zero oder Gennaker hält. Unter Segeln dreht sich der Propeller ab 8,5 Knoten Fahrt mit und erzeugt Energie
Foto: Eva-Stina Kjellman
Die Swan 88 startet für Nautor die Elektrifizierung. Mit Torqeedo entwickelten die Finnen ein schlankes Hybridsystem, das schnelles Segeln mit Stromertrag belohnt. Durch einen Kniff im Heck segelt „DreamCatcher“ im lascher regulierten Segment unter 24 Metern

Anfang Juni im finnischen Pietarsaari. Der sonnenbeschienene Himmel legt eine Klarheit an den Tag, wie sie nur der hohe Norden hervorzubringen vermag. Das lässt die im Werfthafen vertäuten 14 Yachten noch makelloser erscheinen und verstärkt den kühl-eleganten Charme, der Nautors Schwäne seit jeher umgibt. Ganz außen am Kai liegt die erste Swan 88, hinter der auf Regatta getrimmten Baunummer zwei. Der Dock-Check von „DreamCatcher“ zeigt Neues vom Bug bis zum Heck.

Etwa den Bugspriet, der nicht dem Vordeck entspringt, sondern weiter unten als Verlängerung von Nautors Speerspitzen-Ziergöhl ansetzt. Dadurch hängt der Anker tiefer, eine Steven-Berührung während des Aufholens wird unwahrscheinlicher. Zudem fangen Code Zero und Gennaker etwas mehr Wind ein. Der lange Rüssel der 88 endet über eine Sicke in einem schwarzen Aufsatz. Aus der Nasenspitze laufen die Halsleine oder Talje des Top-Down-Furlers oben und nicht vorn heraus, das reduziert die Reibung.

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Gab in den vergangenen 40 Jahren Germán Frers als Konstrukteur auch die finale Form vor, ähnlich wie es bei Porsche einst Ingenieure taten, ist es nun ein Zusammenspiel mit dem Designer Lucio Micheletti, der alle Swan-Modelle von außen überarbeitet. Der Architekt und sein Mailänder Team glichen den Kajütaufbau der 88 dem der 108 an und erdachten ein neues Heck: Zwei breite Stufen führen auf ein schmales Zwischendeck, aus dem ein sechseckiges Stück gemeinsam mit der großen Klappe des Spiegels die zwei Meter lange Badeplattform bildet.

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Zusammenarbeit mit dem bayerischen Unternehmen Torqeedo

Im Stufenheck zeigt sich auch Nautors Sinn für praktische Details: Es bringt die zertifizierte Rumpflänge auf unter 24 Meter und enthält Edelstahlklüsen, die Achterleinen und Spring sortieren. Und vor den frei stehenden Teilen der Ruder verhindern kleine Edelstahl-Messer, dass sich „Beifang“ wie Algen zwischen Blatt und Unterwasserschiff legt. An Land und noch nicht quer in der Garage liegt der Tender mit Torqeedo Cruise 12.0 E-Außenborder, ein erster Hinweis auf den Hybridantrieb der Mutter.

Außerhalb des Hafens gilt es, der Seebrise entgegenzumotoren, wobei es sich eher wie ein stetes Entgegenschieben anfühlt. Kein Ruckeln, kein Qualmen, kaum Geräusche. Und das, obwohl anfänglich noch die zwei 45-Kilowatt-Generatoren die elektrische Antriebsmaschine mit Umweg über die Batterien antreiben. Die Hybridlösung war eine unumstößliche Voraussetzung für den Verkauf der ersten Swan 88. „Sonst hätte es keinen Deal gegeben“, stellt Thorsten Flack an den Heckkorb gelehnt klar. Der Swan-Verkäufer war es auch, der die Zusammenarbeit mit dem bayerischen Unternehmen Torqeedo anbahnte, das sein Deep Blue System bereits in der Spirit 111 „Geist“ verbaute.

Für „DreamCatcher“ entwickelten die Ingenieure einen 120 Kilowatt starken E-Motor mit hohem Drehmoment, der den großen Verstellpropeller nun bei neun Knoten Fahrt mit 60 Kilowatt antreibt. Am B&G-Display erklärt Stephan Bayerle, Leiter OEM-Lösungen bei Torqeedo: „Beide Generatoren laufen auf 27,5 Kilowatt, damit laden wir am effizientesten.“ Nachdem sich die Batterien ausreichend gefüllt haben, ist es an der Zeit, die Generatoren ruhen zu lassen. Unter Deck zeigt sich ein nochmals gesenkter Geräuschpegel. Gefühlte Stille, nichts vibriert. Lediglich im Motorenraum, der über den Salonboden oder die Rückseite des Niedergangs erreicht wird, ist das Fiepen des Frequenwandlers zu vernehmen.

Weil der Motorenraum die gleichen Maße wie in der reinen Diesel-Ausführung hat, kommt der Salon auf zwei Meter Stehhöhe, die sich in den vier Gästekabinen fortführt. Den Ausbau bestimmt minimal behandeltes Eichenholz aus Finnland, das in furnierter Form auf Schaumkernen die Wände und mit einer schallschluckenden Kautschukschicht die Schotten bedeckt. Den Niedergang umgibt eine Art Atrium, von dem zwei Gästebleiben abgehen. Von oben tönt es: „Wir segeln!“ Der Wechsel der Fortbewegungsart war vorn in der Eignerkabine nicht zu bemerken.

Emissionsfrei eine Strecke von 40 Seemeilen

Die Segelsysteme verzichten auf Nebenantriebe (PTO), daher müssen auch keine Generatoren aktiviert werden. Für Druck in der Hydraulik und die Bewegung der Winschen, Bug- und Heckstrahler und des Ankers sorgt ein 50 Kilowatt starker E-Motor, der sich ebenso aus den vier Akkus von je 40 Kilowattstunden Kapazität speist. Die seewassergekühlten BMW-Batterien, von denen zwei im Vorschiff lagern, versorgen energiehungrige Verbraucher wie Klimaanlage oder Küchengeräte für bis zu zwölf Stunden. Gleichstromabnehmer wie Beleuchtung und Unterhaltungselektronik beliefern 24-Volt-Batterien. Das 22-Kilowatt-Bordladegerät füllt die Stromspeicher vollständig, wenn die Generatoren für 1,5 Stunden laufen. Mit Landstrom beansprucht die Vollladung etwas weniger als sechs Stunden.

Emissionsfrei werden atlantische Kalmen bei 7,5 Knoten über eine Strecke von 40 Seemeilen bewältigt. Nautors Projektmanager Kim Sundkvist gibt zu bedenken: „Es ist in Ordnung, auf bis zu 20 Prozent des Ladezustands zu gehen, wir waren auch schon darunter. Tut man das regelmäßig, verkürzt sich die Lebensdauer. Gut sind zwischen 95 und 20 Prozent, was 75 Prozent der Gesamtkapazität wären, also 120 Kilowattstunden. Den Wert haben wir für die Reichweitenberechnung benutzt.“ Mit beiden Generatoren und vollem 2.800-Liter-Tank lässt sich der Aktionsradius auf bis zu 2.000 Seemeilen ausweiten.

Der Wind klettert in Böenfeldern auf über acht Knoten, der Code Zero ist schnell ausgerollt, und auf spitzen Kursen kratzen wir neun Knoten Bootspeed. Gute Voraussetzungen, um die Flügel des Hundested-Props per Knopfdruck auf Torqeedos Kommandogeber auszubreiten. „Hydrogeneration empfehlen wir ab 8,5 Knoten Fahrt. Dann ähnelt der Output dem eines Dieselgenerators auf einem 50-Fußer“, so Sundkvist. Jetzt, am unteren Ende der Skala, ernten wir 5,3 Kilowatt Energie.

Entscheidung pro Elektrifizierung eine Frage der Haltung

Die 88 steuert sich dank doppelter Ruderblätter leicht, deren Quadranten wie bei allen Swans Kettenzüge und Schub­stangen verbinden. Die perfekte Lage für sportliches Segeln liegt zwischen 22 und 23 Grad und bei 15 Grad für entspanntes Fahrtensegeln, was die „DreamCatcher“- Eigner bevorzugen.

Die Zahl, die den Hybridantrieb am treffendsten umschreibt, lautet 1,5. In Tonnen steht sie für das Plus an Gewicht, das, obgleich unterhalb der Wasserlinie, an Bord kommt. Auch der Aufpreis dürfte diesem Wert – vor der Einheit Millionen Euro – ungefähr entsprechen. Und die Fahrteinbuße bei Hydrogeneration? Etwa 1,5 Knoten.

Noch scheint die Entscheidung pro Elektrifizierung eine Frage der Haltung zu sein. Nautor-CEO Giovanni Pomati berichtete von Kunden, deren Kinder mit dem Zug und nicht mit dem Privatjet nach Finnland reisten. Mit immer leichter und günstiger werdenden Batterien dürfte man auch leistungsorientierte und skeptische Eigner abholen.

Einen Trend bedient die Swan 88 jetzt schon: den des Downsizings. Über alles misst sie zwar 26,54 Meter, reiht sich mit einer Rumpflänge von knapp unter 24 Metern regulatorisch aber in einem populären Größensegment ein. So darf sie in Teilen Frankreichs näher an der Küste ankern, sie lässt sich günstiger und flexibler bereedern sowie einfacher verchartern. Der neuen Mini-Maxi-Nachfrage begegnet Nautor demnächst auch mit der 80, die allerdings ohne gestuftes Heck auskommt.

Die Swan 88 “Dreamcatcher” im Detail

yacht/100079686_649ae87c79243989bfe4c49f56a62339Foto: Werft

Technische Daten

  • Länge über alles: 26,54 m
  • Länge (Rumpfform): 23,99 m
  • Breite: 6,79 m
  • Tiefgang: 4,00 m
  • Verdrängung (leer): 54,1 t
  • Material: Carbon Rigg: Hall Spars
  • Masthöhe über Deck: 38,30 m
  • Segel: North Sails 3Di
  • Segelfläche (am Wind): 432,7 m2
  • E-Motor: Torqeedo Deep Blue, 120 kW
  • Batterien: BMW, 4 x 40 kWh
  • Generatoren: 2 x 45 kW
  • Kraftstoff: 2.800 l
  • Wasser: 1.500 l

Reichlich Kubatur

Hochragender Freibord, ausladendes Heck und Carbon-Bauweise sorgen für ein hohes Innenraumvolumen. Die Eignerkabine verorten die Finnen immer im Vorschiff. Steuerbords dahinter wählen Kunden aus einer Lounge oder einer vierten Gästekabine. Vier Crewschlafplätze liegen achtern hinter der offenen Galley.

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