„Magic Carpet e“Verdier-Konstruktion setzt neue Maßstäbe in der 100-Fuß-Klasse

Sören Gehlhaus

 · 22.04.2025

Wie auf Schienen: Guillaume Verdier verordnete „Magic Carpet e“ einen 7,10 Meter langen Neigekiel, der bis zu 45 Grad nach Luv schwenkt – der Canard klappt ebenfalls seitlich weg.
Foto: Studio Borlenghi
Mit dem 100-Fußer „Magic Carpet e“ mischt Sir Lindsay Owen-Jones den Maxi-Zirkus gehörig auf. Guillaume Verdier schuf eine exponentielle Weiterentwicklung, mit ausgeklügeltem Neigekiel, Hybridsystem und Interieur für kurze Touren. Erste Eindrücke von Bord.

Nach drei Wallys mit Namen „Magic Carpet“ und zwölf Jahren auf der letzten nahm Sir Lindsay Owen-Jones seinen neuen 100-Fußer von Persico entgegen. Der trägt wieder einen Zusatz in Potenzschreibweise im Namen, diesmal ist es aber ein „e“ statt fortlaufender Zahl. Und das kann durchaus als exponentiell gedacht werden, für einen gewaltigen Schritt nach vorn. Mit Maxiyacht Nummer vier aus der Flotte der „Fliegenden Teppiche“ vollzog der Ex-CEO von L’Oreal den größten Sprung, nicht nur optisch.

Ersteindruck Imoca, aber irgendwie auch nicht

Vor sechs Jahren dachte Owen-Jones über eine schnellere und weitaus höher entwickelte Segelbasis nach. Die Maßgabe, auf dem Schiff auch für ein, zwei Wochen wohnen zu können, behielt er bei. Diesmal wandte er sich allerdings an Guillaume Verdier. Die Vorgabe des Briten: „Die schnellste 100-Fuß-Yacht, die man sich vorstellen kann, um bei 10 bis 12 Knoten vor Porto Cervo up and down und um die Inseln zu segeln, und das mit einem vernünftigen Rating! Ich war überrascht von Guillaumes begeisterter Reaktion.“

Für „Magic Carpet e“ („MCe“) arbeitete der Franzose – er und sein Team konstruierten den Imoca des Vendée-Globe-Gewinners Charlie Dalin – mit denselben XY-Parametern der Vorgängerin: 30,48 Meter Lüa und 7,20 Meter Breite. Jedoch verdrängt der von Persico in Italien gebaute 100-Fußer mit 37 Tonnen ganze zehn Tonnen weniger als die vorherige Vollcarbon-Konstruktion gleichen Volumens. Der Mast steht mittig auf dem Deck. Der Kiel schwingt bis zu 45 Grad nach Luv aus. Den Rumpf durchziehen Chines auf drei Ebenen. Und das Deck – nun mit Kork statt Teak – macht mittschiffs einen Sprung nach oben und fällt vorn wie achtern dramatisch ab. Man ist leicht versucht, in „Magic Carpet e“ eine domestizierte Imoca zu sehen. Verdiers Mitarbeiter Hervé Penfornis winkt ab. Rigg und Unterwasserschiff unterscheiden sich massiv, da der Rumpf im Wasser verbleibt und zudem auf leichte Winde optimiert wurde.

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Verdiers Neigekiel mit zweiachsigem Klappmechanismus

Zur Vorgängerin „Magic Carpet ³“ (gesprochen: Cubed) zeigt sich unterhalb der Wasserlinie der größte Unterschied im Canting Keel, den die Box Rule der Wallycento-Klasse verbot. Verdier verordnete zudem beinahe vier (!) Meter lange, dolchartige Doppelruder, wobei zur Senkung des Widerstands stets das Luvwärtige hydraulisch hochfährt. Einzigartig dürfte die Kiel-Konstruktion mit ihrem dreifachen Klappmechanismus sein, wobei die Parkposition der von „Black Maggy“ ähnelt. Nach dem Prinzip: Tiefgang senken ohne in die Breite zu gehen. Die Kielfinne lässt sich auch nach achtern um 60 Grad neigen. So weit, so bekannt. Der Unterschied besteht darin, dass ein Hydraulikzylinder auch in der Kielbombe sitzt, damit die Bleispindel in Längsrichtung um etwa 45 Grad nach vorn klappt und die gesamte von Cariboni gefertigte Einheit sich enger an das Unterwasserschiff schmiegt. Dadurch sinkt der Tiefgang von 7,10 (!) Meter auf 4,60 Meter. Eine Maßnahme, um wieder im Heimathafen von Saint-Tropez liegen zu können.

Eine Kombination aus Lift- und Canting Keel wurde bereits realisiert, war aber keine Option für Guillaume Verdier: „Wir wollten eine vertikal aufholbare Kielfinne vermeiden, da dies eine schwere Struktur mit hohem Schwerpunkt bedeutet hätte.“ Allerdings erforderte der Canting Keel ein Canard, ein profiliertes Schwert mittschiffs, das sich um einige Grad um die Längsachse dreht und – das gab es bei Maxis so noch nicht – wie der Kiel dahinter ebenfalls für mehr Auftrieb zur Seite ausschlägt. Zwischen Canard und Kiel steht der Mast nahezu in der Mitte des Decks. Zum Neigekiel mit seitlichem Ausschlag sagt Verdier: „Wie die meisten Boote dieses Typs haben wir große Vorsegel und mehrere Vorstage. Diese Konfiguration funktioniert besonders gut mit Neigekiel und Canard.“

Hydraulik vertraut auf Hybridsystem

Die fortwährenden Bewegungen von Kiel und Segeln erforderten ein starkes wie zuverlässiges Hydrauliksystem. Hier kommt das „e“ im Yachtnamen ins Spiel, das zuvorderst für Electric steht. Die Pumpen erhalten ihre Energie nicht von Dieselgeneratoren, sondern vertrauen gänzlich auf zwei Hochvolt-E-Motoren und eine Batteriebank. Sir Lindsay Owen-Jones trieb die Entwicklung mit seinem langjährigen Kapitän Danny Gallichan und Projektmanager Ed Bell voran. „Im Grunde ist es ein Plug-in-Hybrid, der mit einem handlichen 20-Kilowatt-Ladegerät mit Hafenstrom in etwa fünf Stunden vollgeladen ist“, so Bell. Die insgesamt 500 Kilogramm leichten Lithium-Ionen-Akkus mit einer Gesamtkapazität von 107 kWh lieferte Williams Advanced Engineering, der offizielle Batterie-Lieferant der Formula E. Owen-Jones ist als begeisterter Rennfahrer bekannt, Bell machte ihn auf die nächste Generation von kleinen Hochleistungs-Elektromotoren aufmerksam.

Während der Überführung vom italienischen La Spezia nach Saint-Tropez segelte man 16 Stunden mit vielen Manövern und lief mit einem Akkustand von 28 Prozent im Vieux Port ein. Dennoch ist ein sogenannter Range Extender an Bord, im Fall von „MCe“ ein Leichtgewicht, das mit seinen 150 Kilowatt die Akkus unter Volllast in 40 Minuten auflädt oder im „Safe to Port“-Modus den E-Motor der ausfahrbaren Antriebseinheit nahezu direkt versorgt. Trotz der Batterien komme man im Vergleich zum Verbrenner auf das gleiche Gewicht für das Gesamtsystem. Bell und Gallichan könnten sich vorstellen, dass das Diesel-Aggregat in den nächsten Jahren gar von Bord kommt. Die Voraussetzungen für einen minimalinvasiven Ausbau wurden vorsorglich geschaffen.

Volles Programm für „Magic Carpet e“

Neben Auftritten bei Mittelmeer-Klassikern wie Giraglia, Maxi Cup und dem Heimspiel zu den Les Voiles de Saint-Tropez stehen wie gehabt kleine Mittelmeer-Runden und Tagestörns an. Das Interieur fertigte Persico nach Vorstellungen von Axel de Beaufort, der mit Verdier verschiedenste Segler realisierte, zuletzt den XXL-Kat „Artexplorer“. Auf den Innenausbau entfallen lediglich zwei Tonnen. Die Leichtbau-Maxime diktierte Decken aus Mesh-Gewebe und Möbel, die ähnlich aufwendig entstanden wie der Rumpf mit Nomex-Kern.

Die rollbaren Segel, die zuvor beim Cruising angeschlagen wurden, kommen nun auch vollständig im Race-Modus zum Einsatz. Ein Umstand, der die Crewstärke von 28 auf etwa 22 Personen reduzierte. Die Manöver sind dennoch anspruchsvoll und kräftezehrend, wie YACHT beim Probesegeln auf dem Golf de Saint-Tropez erleben durfte. Raumschots gab es 20 Knoten Boatspeed (mit 650 kg Anker, wie die Crew betonte) bei rund 18 Knoten TWS. Stets fühlte es sich wie auf Schienen an. Dabei bügelte die Verdier-Konstruktion die See regelrecht weg, statt einzutauchen dippte sie kurz ins Wellental und quittierte das mit etwas Gischt, die das Spray Rail auffächerte. Eine ausführliche Vorstellung des Ausnahme-100-Fußers folgt.

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