Sören Gehlhaus
· 26.06.2025
Für ein fliegendes Pferd von Ferrari wäre die folgerichtige Projektbezeichnung eigentlich Pegasus gewesen. Doch wird Giovanni Soldini das „Cavallino Rampato“ (sich aufbäumende Pferd) über das Wasser treiben. Und da Ferrari mit Hypercars auf der Straße bei Ausdauerrennen Erfolge einfährt, erscheint der Begriff „Hypersail“ ebenso treffend. Und unterstreicht den Fokus auf Hochtechnologie. Die Ingenieure aus Marinello verstehen sich auf minimale Startgewichte, beste Aerodynamiken, Steuerung beweglicher Spoiler und können doch nicht die Segelfläche wie die Pferdestärke in die Höhe treiben.
Der Leistungsbooster für das 30 Meter lange Hypersail-Projekt sind Foils in vierfacher Ausführung: Elevator am Einzelruder, schwenkbare T-Foils an den geschwungenen Armen und eine horizontale Tragfläche am Ende der Kielbombe. Die wiederum gehört zu einem Canting-Kiel, den es bei voll-foilenden Seglern der Größe noch nicht gab. Diesen gewagten wie extremen Mix aus Auftriebshilfen erdachte Guillaume Verdier. Wer sonst? Wie kein Zweiter befeuerte der französische Konstrukteur die Renaissance des Hydrofoiling, das dem Segelsport seit den 1930er-Jahren Flügel verleiht.
Mit der Flut an dynamischen Anhängen betritt Verdier wieder einmal Neuland. T-Foils mit Festkiel kombinierte „Flying Nikka“ auf 60 Fuß Länge, auf einen fixen Kiel mit Dali-Foils vertraut die skimmende Baltic 111 „Raven“. Im America’s Cup verzichten die AC75-Boliden bei ihren Küstenrennen gänzlich auf Kiele. Ein weiterer Wink, dass es Ferrari und Soldini auf die Offshore-Bühne zieht, ist das Ausleger-Rigg. Ein Novum für Foiler und bekannt von den 60 Fuß langen Imocas. Die setzen auf Foils in Form von Dalis Moustache und Neigekiele, die im Flug- bzw. Skimming-Modus auf Nullposition stehen.
Ferraris 100-Fußer kommt wohl dem Konzept recht nah, das sich Guillaume Verdier auch für die Vendée Globe wünschen würde. Die Imocas müssten an den Rudern „nur“ um Foils, sogenannte Elevators, ergänzt werden, um konstant und für längere Zeiträume abzuheben. Anders als bei den Boliden von Boris Herrmann und Co. soll bei Giovanni Soldini – der 59-jährige Italiener knackte zahlreiche Offshore-Rekorde– kein Verbrennungsmotor an Bord kommen. Die Energie, etwa für die Hydraulik der Foil-Arme, soll während der Fahrt erzeugt werden, wobei die ersten Visualisierungen Turbinen zur Stromerzeugung vermissen lassen. Mit dem Kiel wäre jedenfalls eine stets im Nass verbleibende Ernte-Option für ein Hydrogeneratorsystem vorhanden.
Technologietransfer aus der Welt der Ferrari-Sportwagen soll es beim Flugsteuerungssystem geben, das es Seglern erst ermöglicht stabil und ohne Rodeo-Einlagen über Ozeane zu fliegen, die ständig in Bewegung sind. Zentral sind Sensoren, die etwa das vorausliegende Wellenbild scannen und automatische Ausgleichsbewegungen der Trimmklappen an den Foils veranlassen. Bereits neun nautische Patenten wurden angemeldet, weitere sechs befinden sich in der Ausarbeitung. Die Scuderia führte aerodynamische und strukturelle Berechnungen durch, um Leistung und Sicherheit des Einrumpf-Foilers zu gewährleisten.
Hypersail soll über lange Zeiträume ohne Zwischenaufenthalte und, wie Ferrari es nennt, ohne Boxenstopps oder externe Unterstützung jeglicher Art über die Weltmeere fliegen. Wohl haben es die ikonische Automarke und der Hochsee-Heroe auf das Aufstellen von Offshore-Rekorden abgesehen, mit Crew und nicht als Teil einer Flotte. Sind beide Foil-Arme halb abgeklappt – das kann über Wenden und Halsen hinaus zudem bei Starkwind Stabilität geben – kommt der Carbon-Bolide auf eine maximale Breite von 20 Metern. Der Stapellauf und erste Erprobungen zur See sind für 2026 angesetzt.
„Hypersail ist eine neue Herausforderung, die uns über unsere Grenzen hinausführen und unsere technologischen Horizonte erweitern wird. Gleichzeitig steht es in der Tradition von Ferrari und lässt sich von unserem Hypercar inspirieren, das dreimal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewonnen hat. Ein Hochsee-Segelboot zu entwerfen, ist vielleicht der ultimative Ausdruck von Endurance“, erklärt Ferrari-Präsident John Elkann.
„Ich freue mich sehr und fühle mich geehrt, an diesem Abenteuer teilnehmen zu dürfen“, erklärt Giovanni Soldini, Teamchef von Hypersail. „Eine spannende Herausforderung, die auf ein wirklich einzigartiges Team setzt, das die Exzellenz von Ferrari und die Fähigkeiten von auf Hochseesegeln spezialisierten Konstrukteuren vereint. Das Zusammentreffen verschiedener Kulturen und fortschrittlicher Technologien ermöglicht den Bau eines Bootes, das in vielerlei Hinsicht revolutionär ist. Aus nautischer Sicht ist es innovativ in Bezug auf die Art und Weise, wie es gebaut ist und wie es fliegen wird; was die Systeme betrifft, fördert der Beitrag von Ferrari die Entwicklung einer noch nie dagewesenen Steuerung an Bord. Um uns bestmöglich auf die Variabilität und Stärke der Phänomene und Bedingungen im Ozean vorzubereiten, gilt es, ein Gleichgewicht zwischen der Erforschung extremer Leistungen und maximaler Zuverlässigkeit zu finden.“