Die Zeit ist reif

Sören Gehlhaus

 · 08.04.2020

Die Zeit ist reifFoto: Red Yacht Design
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Ein 64-Meter-Projekt von Red Yacht Design und Dykstra wird von einem Zugdrachen unterstützt. Der deutsche Auftraggeber hat konkrete Bauabsichten.

"ICE Kite": Ein 160 Quadratmeter großer Kite entlastet den Dieselantrieb, der für sich genommen eine Vmax von 17,4 Knoten erbringt. | t.Foto: Red Yacht Design
"ICE Kite": Ein 160 Quadratmeter großer Kite entlastet den Dieselantrieb, der für sich genommen eine Vmax von 17,4 Knoten erbringt. | t.

Die erste Yacht mit Kite-Unterstützung – bislang besteht diese nur aus Gitternetzen und Texturen, also in Form der Renderings von Red Yacht Design. Das Istanbuler Studio entwickelte "ICE Kite" gemeinsam mit den niederländischen Konstrukteuren von Dykstra. Kommerzielle Zugdrachen­vorstöße unternahm bereits Skysails. Das 2001 gegründete Hamburger Unternehmen erprobte die Antriebsentlastung 2008 auf dem 132 Meter langen Frachtschiff "Beluga SkySails". Im Yachting wies die norddeutsche Designerin Stefanie Krücke 2007 mit ihrer Diplomarbeit "Kitano" in die Zukunft. Ihre nicht realisierte 20-Meter-Yacht baut vollständig auf die ausgelagerte Antriebsenergie. Nun scheint der Markt in Zeiten von Green Shipping und Hybrid-Hype auf beiden Seiten bereit zu sein. Die japa­nische Großreederei K-Line orderte jüngst das Kite-System Seawing bei der französischen Airbus-Tochter Air­seas. Wenn das Handling gut ist und der CO2-Ausstoß sowie Kraftstoffverbrauch tatsächlich um 20 Prozent sinken, will K-Line 50 weitere Kites abnehmen.

Weitaus höher müssten die Einsparungen bei "ICE Kite" ausfallen. Der Grund ist die effiziente Alu-Rumpfkonstruktion, der Dykstra die Maße einer Segelyacht verordnete: 64,20 Meter Länge auf eine Breite von 10,80 Meter und einem Tiefgang von 1,76 Meter. Ein Schwert und der niedrige Masseschwerpunkt der Karbonaufbauten sollen im Kite-Modus für Neigungs- und Kursstabilität auch auf spitzeren Kursen sorgen. Der 160 Quadratmeter große Lenkdrachen wird von einer Seilwinde hinter dem Helipad gestartet und vollautomatisch betrieben. In oberen Windschichten weht der Wind stärker und stetiger. Der Energieertrag erhöht sich, wenn der Kite wie bei Flugwindkraftanlagen permanent Achten abfliegt. Einzige Einschränkung: Bei zu spätem Einholen in plötzlich aufziehenden Stürmen drohen Bruch oder Verlust des Fluggeräts.

Schlank: Dykstra Naval Architects konstruierte eine Alu-Segelyacht ohne Mast, Red Yacht Design aus Istanbul ergänzte um Karbonaufbauten und 475 Quadratmeter große Außenflächen.
Foto: Red Yacht Design

Geschwindigkeitsprognosen sagen 17,4 Knoten Topspeed voraus – ohne Kite-Unterstützung und lediglich mit 1470 Kilowatt starkem Dieselhaupt­antrieb. Das Entwicklungsteam rund um den deutschen Auftraggeber verzichtet bewusst auf Dieselelektrik. Eine weitere selbst auferlegte Reglementierung betrifft das Raumvolumen, das knapp unter 500 Gross Tons liegt und Bauvorschriften reduziert. "ICE Kite" wird die längste Motoryacht innerhalb dieses Volumenrahmens. Auf dem Unterdeck sollen dennoch zehn Gäste schlafen können.

Der hohe Glasanteil der vorderen Aufbauten zählt unten zur Lobby und oben zur Kite-Lounge mit dahinterliegendem Al-fresco-Speiseplatz. Das Gros der Gesellschaftsbereiche verteilt sich auf 475 Quadratmeter große Außenflächen. Custom-RIB, zwei Jetskis sowie ein Flug- oder Tauchboot lagern auf dem 26-Meter-Versorger "ICE Ghost". Die Galley liegt auf dem Hauptdeck, darunter ist Platz für vier Gäste oder Crewmitglieder. Da der schwimmende Satellit auch in schwerer See mit bis zu 16 Knoten voraus­eilt, besteht der Rumpf aus Stahl, die Aufbauten jedoch aus Karbon. Wie realistisch das Vorhaben ist? Laut Red Yacht Design erwägt der Eigner, Mutter- und Tochterschiff bei einer niederländischen Werft bauen zu lassen.