Ursula Meer
· 16.05.2025
Seit dem Untergang der Alu-Yacht wird über mögliche Ursachen spekuliert: offene Rumpfklappen, zu viel Windangriffsfläche bei zu wenig Stabilität, Versagen der Crew oder gar ein Attentat kursieren in den Medien und hinter vorgehaltener Hand. Der nun vorliegende britische Untersuchungsbericht lässt bewusst jegliche dieser Spekulationen außer Acht und legt ausschließlich verlässliche Informationen zu Grunde. “Dazu gehören die Konstruktion der Bayesian, die Stabilität, die Fluchtwege, der Betrieb und die Notfallverfahren. Bei der Sicherheitsuntersuchung wurden auch die Wettervorhersage und das Wetter während des Unfalls sowie verfügbaren Hinweise für Seeleute über Maßnahmen bei extremen Wetterbedingungen berücksichtigt”, heißt es in dem Bericht. Im Ergebnis könnte sich damit dennoch eine Vermutung bestätigen.
Hinter den zwölf Gästen und zehn Crewmitgliedern der "Bayesian" liegt ein Ausflug zu den nördlich von Sizilien gelegenen Liparischen Inseln, als die Superyacht am 18. August 2024 vor Anker geht. Bei auffrischendem Wind verholt die Crew nach Porticello, um dort eine ruhigere Nacht zu verbringen. Um 21:24 Uhr lässt die "Bayesian" mit vermutlich aufgezogenem Kiel östlich der Hauptmole von Porticello den Anker fallen. Das Wetter ist ruhig, mit nur schwachem Wind aus Nordwesten. Gewitter sind vorhergesagt, und gelegentlich nehmen Crew und Gäste im Westen erste Blitze wahr.
Gegen 00:30 geht der letzte Gast zu Bett, Deckhand und Steward übernehmen die Nachtwache. Gegen 03:00 Uhr rückt das Gewitter näher, eine halbe Stunde später ist die Gefahr eines nahenden Sturms unverkennbar. Um kurz vor vier macht ein Crewmitglied ein Video vom aufziehenden Sturm und postet es in den sozialen Medien. Es sind die letzten ruhigen Minuten an Bord. Die Wetterlage verschlechtert sich rapide. Die „Bayesian“ und mit ihr die in direkter Nähe ankernde „Sir Robert Baden Powell" gehen auf Drift. Beide lichten den Anker.
Um 4:06 Uhr erreicht die Krise ihren Höhepunkt: in einer heftigen Gewitterbö neigt sich die „Bayesian“ innerhalb von nur 15 Sekunden um 90° nach Steuerbord. Ein Crewmitglied wird von Bord geschleudert, andere werden verletzt. Möbel und lose Gegenstände fliegen herum. Die Generatoren schalten sich sofort ab, nur die batteriebetriebene Notbeleuchtung bleibt in Funktion. Innerhalb kürzester Zeit dringt das Wasser über die Steuerbordreling ein und flutet die Innenräume über die Treppenhäuser.
In den folgenden chaotischen Minuten versuchten Besatzung und Gäste, sich aus dem sinkenden Schiff zu retten. Einige können durch die vordere Backbordtür des Steuerhauses entkommen. Andere werden aus ihren Kojen geschleudert, finden Halt an Möbeln und kämpfen sich über die Wände des Aufgangs nach oben. Der Kapitän ordnet die Evakuierung an. Um 4:22 Uhr gelingt es der Crew, in dem Chaos eine Rettungsinsel freizusetzen. Ein Teil der Besatzung gelangt direkt in die Rettungsinsel, andere treiben in der stürmischen See. Gegen 4:45 Uhr sinkt die „Bayesian“.
Die benachbarte Yacht "Sir Robert Baden Powell" bemerkt die Notsignale der Schiffbrüchigen und schickt ihr Beiboot zur Rettung. Um 4:53 Uhr können die ersten Überlebenden an Bord der "Sir Robert Baden Powell" gebracht werden. Die örtliche Küstenwache startet eine intensive Suche nach weiteren Überlebenden. Trotz aller Bemühungen können sechs Gäste und ein Besatzungsmitglied nur noch tot geborgen werden.
Die Wetterberichte hatten für den 18. August zunächst westliche Winde der Stärke 3 oder 4 vorausgesagt, die zeitweise auf Nordwest drehen und am Ende auf Windstärken von 4 bis 5 zunehmen sollten. Die See sollte zunächst ruhig sein. Doch für die Nacht wurde vor Schauern, Gewittern und schlechter Sicht gewarnt. Besonders für Sardinien, Korsika und Sizilien wurde eine Sturmwarnung ausgegeben.
Gegen 21:00 UTC am 18. August wurde auf einer nahen Wetterstation nordwestlich des Ankerplatzes in Porticello eine plötzliche Windzunahme von etwa 5 Knoten auf 41 Knoten gemessen, verbunden mit heftigen Böen, Gewitter und Starkregen. Auf den Webcams in Porticello sah man Möbel und Trümmer durch die Luft schleudern: In kürzester Zeit wurden extreme Windgeschwindigkeiten erreicht.
Das Met Office, der nationale Wetterdienst des Vereinigten Königreichs, hat Satellitenbilder und Wetterdaten der Unglücksnacht ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass ein Tiefdruckgebiet mit enorm hoher Energie über das Gebiet hinwegzog. Die hohen Temperaturen auf Meeresspiegelnähe lieferten zusätzliche Energie. Satellitenbilder zeigten eine massive Sturmfront mit den Eigenschaften einer Superzelle, die Oberflächenwinde von mehr als 87 Knoten verursachen konnte. Für die Meteorologen ist es sehr wahrscheinlich, dass die „Bayesian“ von einer solchen mit voller Wucht getroffen wurde, möglichweise verbunden mit Tornadowasserfontänen und extrem starken Abwinden – einem Wetterphänomen, das äußerst begrenzt, etwa 50 bis 100 Meter breit, auftreten kann. Extrembedingungen, die wohl jede Yacht in arge Bedrängnis brächten.
Mit der möglichen Stabilität der „Bayesian“ greift der Untersuchungsbericht eine weitere - und wie sich herausstellen soll sehr kritische - Komponente in der Ereigniskette auf. Im Rahmen der Unfalluntersuchung wurde eine detaillierte Stabilitätsanalyse der 56-Meter-Yacht durchgeführt. Die Wolfson Unit for Marine Technology and Industrial Aerodynamics der Universität Southampton erstellte ein Stabilitätsmodell basierend auf dem 2008 vom damaligen Dienst für große Yachten der Maritime and Coastguard Agency (MCA) des Vereinigten Königreichs genehmigten Stabilitätsinformationshefts (SIB) des Schiffes.
Das SIB musste Kurven der statischen Stabilität (sogenannte GZ-Kurven) für bestimmte Beladungszustände enthalten, darunter mindestens die beladenen Abfahrts- und Ankunftszustände mit 100 % bzw. 10 % vollen Tanks. Eigentlich sollten die GZ-Kurven einen positiven Bereich von mindestens 90° aufweisen; Schiffe mit einer Länge von mehr als 45 Metern dürfen jedoch davon abweichen.
Das SIB der „Bayesian“ enthielt Kurven für die Segelbedingungen in unterschiedlichen Lastzuständen, immer mit herabgesenktem Kiel. Die drei im SIB aufgezeichneten Stabilitätswinkel liegen zwischen 84,3° und 92,3°. Es enthielt auch Kurven für den maximalen gleichmäßigen Krängungswinkel zur Verhinderung von Überflutung bei Böen. Diese Kurven geben einen sicheren Betriebsbereich für ein Segelschiff an - und den maximalen Krängungswinkel, den es aushalten kann, bevor bei einer plötzlichen Böe oder einem Squall die Gefahr einer Unterspülung besteht.
Die Studie ergab nun, dass allein der 72 Meter hohe Mast für 50% des gesamten Windkrängungsmoments verantwortlich war, wenn der Wind – wie in der Unglücksnacht - genau von der Seite kam. Ausgehend von der Annahme, dass das Schiff mit angehobenem Schwert in der Bucht lag, betrug der Stabilitätswinkel nach den Berechnungen nur 70,6°.
Die „Bayesian“ krängte auf 90 Grad und war damit weit jenseits der Möglichkeit, sich selbst wieder aufzurichten. Dafür reichte wohl der Wind, der auf den Mast traf: Der Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass bei direktem Seitenwind eine böige Windgeschwindigkeit von mehr als 63,4 Knoten wahrscheinlich zum Kentern des Schiffes führen würde. Diese kritische Windgeschwindigkeit liegt deutlich unter den tatsächlich aufgetretenen Windstärken während des Sturms. Fatal: diese Schwachstelle war im Stabilitätsinformationsbuch des Schiffes nicht explizit angegeben. Es enthielt ausschließlich Stabilitätskurven für den Betrieb unter Segeln. Ihr Verhalten unter Motor, wie zum Zeitpunkt des Unglücks, konnten Skipper und Crew nur ahnen.
Andrew Moll, Chefinspektor für Seeunfälle, fasst das Ergebnis der bisher erfolgten Untersuchungen zusammen: “Der Zwischenbericht stellt eine Desktop-Studie der uns bekannten Fakten dar. Die Studie hat die Stabilität der Yacht, die wahrscheinlichen lokalen Wetterbedingungen zu dieser Zeit und die Auswirkungen dieses Wetters auf die Yacht untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass der extreme Wind, dem Bayesian ausgesetzt war, ausreichte, um die Yacht kentern zu lassen. Sobald die Yacht über einen Winkel von 70° hinaus gekrängt hatte, war die Situation nicht mehr zu retten. Die Ergebnisse werden im Laufe der Untersuchung verfeinert, wenn mehr Informationen zur Verfügung stehen.“
Die Sicherheitsuntersuchung zum Untergang der “Bayesian” ist damit noch nicht abgeschlossen. Die Untersuchung des Wracks nach der jüngst begonnenen Bergung dürfte ein besseres Verständnis des tatsächlichen Schadenszustands vermitteln - insbesondere zur tatsächlichen Beladung, dem Eigengewicht, möglichen Flutungspunkten und der Position des Schwertes zum Zeitpunkt des Unglücks. Der Bericht schließt folgerichtig: “Bis zum Abschluss der Ermittlungsarbeiten und der Veröffentlichung des Abschlussberichts ist der Inhalt dieses Zwischenberichts als Hinweis auf die Umstände des Unfalls zu verstehen.”