Baltic 111„Raven” erzielt mit Foils auf Anhieb 29 Knoten

Sören Gehlhaus

 · 02.10.2023

Während erster Testschläge mit den Foils loggte „Raven“ auf der Ostsee bis zu 29 Knoten
Foto: Tom van Oossanen
Der 34 Meter lange Carbon-Bau schoss mit T-Foils zehn Tage am Stück und beinahe 30 Knoten über die finnische Ostsee. Zwei Monate nach der Wasserung bewies das Team um die Baltic-Werft, was in „Raven“ steckt. Vollständiges Abheben ist nicht ausgeschlossen

Geflogen ist „Raven“ nicht, der Rumpf hielt stets den Kontakt zum Wasser. Die Baltic 111 ist so konstruiert, dass sie auf der Kimmkante segelt, während das leewärtige T-Foil etwa 60 Prozent der Verdrängung trägt – und der 34 Meter lange Monohull wie ein Katamaran über die See schießt. Den Trimm erledigen vertikal ausfahrbare Klappen am Heckspiegel und Flaps in den Abrisskanten der Tragflügel. Das profilierte Carbon-Foil erzielt unter Wasser die gleiche Wirkung wie in der Luft: Es erzeugt Auftrieb. Soweit die Theorie, die Praxis folgte nun auf der nördlichen Ostsee. Und es kam so, wie es die Renderings visualisiert hatten. Der Himmel war wolkenverhangen und ähnlich grau wie das Wasser, Wind und Wellen fielen moderat aus. Nur die Raben im Begleitflug fehlten.

„Raven“ auf Anhieb konstant schnell

Teils unter vollem Groß-, Stagsegel, Genua sowie dem Code Zero am acht Meter langen Bugspriet loggte „Raven“ konstant über 20 Knoten. Der Topspeed während des zehntägigen Probesegelns mit Skipper Damien Durchon lag bei 29 Knoten. Auch Konzeptentwickler Jarkko Jämsén war an Bord. Der Finne hält es für nicht ausgeschlossen, dass die Ruderblätter von „Raven“ irgendwann jeweils Foils, sogenannte Elevator, erhalten. „Trockenes Segeln“ oberhalb der Wasseroberfläche sei grundsätzlich möglich – sicher müsste die 9,3 Tonnen schwere Kielbombe dafür etwas abspecken –, der limitierende Faktor wären dann das Rigg und die Kräfte, die während des Abhebens auf das Carbon-Ensemble wirken. Fest steht, dass die Testschläge nach der Ablieferung in südlicheren Gefilden fortgesetzt werden.

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Speedhungriger Eigner, disruptiver Designer

Der „Raven“-Eigner beauftragte Jarkko Jämsén vor etwa fünf Jahren mit der Konzeption eines Super-Maxis für Tagestörns und die ein oder andere Langstrecke. Oberste Maßgabe: Der Neue sollte schneller als bisherige Einrumpfer um 100 Fuß sein, „Comanche“ (jetzt „Andoo Comanche“) eingeschlossen. Der Finne ist studierter Schiffbauer und Industriedesigner und Mitgründer der Designagentur Aivan sowie des Konstruktionsbüros Navia. Jämsén lernte auf Seen mit Eigenkonstruktionen und -bauten das Segeln und ist großer Anhänger des US-Konstrukteurs Nat Herreshoff, der vor fast 150 Jahren den Zehn-Meter-Katamaran Tarantella entwickelte. Inspiration lieferte auch Gordon Bakers für die US-Marine entworfene Foil-Jolle. Deren hölzerne Flügel mussten von Hand in Position gekurbelt wurden, brachten sie aber bereits in den 1950er Jahren auf 30 Knoten. Schließlich sah Jämsén für den schnellen Supersegler jene T-Foils vor, wie sie die AC75 im 2021er America’s Cup einführten.

Baltic Yachts aus Finnland nahm die Herausforderung an, die Spanier von Botin Partners berechneten die komplexe Carbon-Konstruktion und A2B Marine Projects überwachte den Bau, der mit einem neigbaren Sperrholz-Mock-up im Maßstab 1:1 begann. Gerüchte verbreiteten sich in der Szene, die Erstwasserung Anfang Juli 2023 brachte Klarheit über die kühnen Projektausmaße. Das Team entschied sich zunächst für Probeschläge ohne Hydrofoils, dafür aber mit gefüllten Ballasttanks. Dadurch stellte man sicher, dass alle hydraulischen, elektrischen und elektronischen Systeme, einschließlich des dieselelektrischen Antriebs, reibungslos funktionierten. Anfang September dann erweiterte Baltic den 4,80 Meter tief gehenden Festkiel am Werftstandort in Jakobstad zu den Flanken um T-Foils.

Der finnische Designer und Konstrukteur Jarkko Jämsén entwickelte das „Raven“-KonzeptFoto: Eva-Stina KjellmanDer finnische Designer und Konstrukteur Jarkko Jämsén entwickelte das „Raven“-Konzept

Beim Bau zählte jedes Gramm

Baltic Yachts vollzog für „Raven“ die intensivsten Gewichtseinsparungen in der fünfzigjährigen Werftgeschichte. Mit 55 Tonnen verdrängt der Radikalbau satte 40 Tonnen weniger als „Zemi“, die kürzlich als schneller Blauwasser-Cruiser vom Stapel gelaufene Baltic 110. Und dennoch erhielt die Baltic 111 ein einigermaßen wohnliches Interieur, das geradezu mit der kohlefasernen Außenschale verschmilzt. Alle Möbel basieren auf Carbonrohren, leichte Materialien wie Rattan dienen als Polsterung. Im vorderen Teil des Hauptsalons befinden sich Toiletten- und Duschzellen mit Sichtkontakt zu den großen Hydraulikzylindern der Foils.

Das Vogelnest-Cockpit wurde zugunsten der Gäste-Sicherheit separat vom achterlichen Arbeitsbereich angeordnet. Es schützt ein faltbares, hartes Bimini, das eine Hommage an das Hardtop des Ferrari Super America von 2005 darstellt. Gesteuert wird von einem halb überdachten Arbeitsbereich im Imoca-Stil, mit Doppelrädern und allen Winschen zur Segelsteuerung in Reichweite der Crew. Der charakteristisch schmal auslaufende Bug erlaubt beste Voraussicht im Foil-Modus, zudem ergeben sich aus der Form aerodynamische und hydrodynamische Vorteile.

Jämsén beschreibt das Designkonzept als „holistisch“, da das Äußere und das Innere eine Einheit bilden. Die Struktur des Bootes bleibt im Innenraum erlebbar und wird Teil des Designs. „Was normalerweise nicht sichtbar ist, ist jetzt zu sehen“, sagt der Finne. „Es gibt eine aggressive, brutale Seite des Designs, wie die Kohlefaserstruktur selbst, die Systeme, die Verkabelung und die Rohrleitungen, mit einer dünnen Schicht Luxus dazwischen.“



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