Michael Good
· 10.09.2024
Eine Erfolgsgeschichte: Im Sommer 2015 holt sich die „Low Noise II“ vor Barcelona überraschend den ORCi-Weltmeistertitel in der Kategorie C. Das Besondere dran: Das Boot, die brandneue Italia 9.98 mit der Baunummer 1, kam jungfräulich, mehr oder weniger direkt ab Werft zur Meisterschaft nach Spanien. Ein erster internationaler Auftritt des Serienbootes und dann gleich schon der Titelgewinn.
Die Mannschaft dagegen war ein eingespieltes Team: Die Italiener waren schon 2014 vor Kiel mit der „Low Noise I“ erfolgreich, einer M37 aus der Werft von 2Emme Marine, ebenfalls aus Italien. Der Rating-Spezialist Matteo Polli hat damals die Konstruktion von Maurizio Cossutti konsequent auf den Formel-Ausgleich nach ORCi optimiert.
Polli war für die Italia 9.98 wieder im Boot, dieses Mal allerdings von Beginn an als Chefkonstrukteur. Italia-Yachts-Boss Franco Corazza hatte den innovativen Designer mit der Umsetzung des ersten Typs einer zweiten, sportlicheren und mehrheitlich regattaorientierten Werftlinie beauftragt. Sie ist unter dem Produktnamen Fuoriserie dem gehobenen Programm edler Performance-Cruiser an die Seite gestellt. Die Bezeichnung Fuoriserie kommt aus der Automobilbranche und bedeutet im Italienischen so viel wie „Sonderausführung“. Leistungsstarke Wagen von Maserati, Lamborghini oder auch Aston Martin erhielten früher diesen klangvollen Beinamen.
Der Auftrag von Italia Yachts für das Racing-Konzept war klar umrissen: Weniger als zehn Meter Rumpflänge, siegfähig unter ORCi- und IRC-Handicap, mannschaftsorientiertes Cockpitlayout, funktionaler, aber tourentauglicher Innenausbau und CE-Entwurfskategorie A (hochseetauglich). Und das alles zu einem konkurrenzfähigen Preis. Keine leichte Aufgabe, weder für den Konstrukteur noch für die Produktentwickler in der Werft.
Für seine Arbeiten hatte sich Matteo Polli unter anderem auch komplexer CFD-Programme (Computational Fluid Dynamics) bedient. Diese Anwendungen errechnen zum Beispiel bei gegebenen Parametern wie Rumpfvolumen, Verdrängung, Segeldruckpunkt die entsprechenden Konstruktionsdaten der strömungsgünstigsten Unterwasseranhänge. Polli entschied sich für einen T-Kiel, mit einer sehr schlanken, dafür auffällig langen Torpedo-Bleibombe sowie einer langen Kielwurzel und einem Tiefgang von 1,90 Metern. T-Kiele sind im ORCi-Handicap nicht besonders beliebt, weil sie im Rating bestraft werden. Scheinbar hat sich die Wahl trotzdem bezahlt gemacht.
Das Ruderblatt geht fast ebenso tief und arbeitet relativ weit vorn im Boot; die eigenartige Heckpartie des Schiffs mit der fast kreisrunden Spantform und der achtern stark eingeschnürten Wasserlinie lässt diese Konstruktion zu. Matteo Polli war wichtig, dass der Auftrieb im Heckbereich bei Krängung nur gemäßigt bleibt. Anders als bei vielen modernen Konstruktionen mit extrem breiten Hecks und Kimmkanten kann bei der Italienerin die Bugsektion schlanker und auf Höhe der Wasserlinie weniger voluminös ausfallen, ohne dass das Boot bei Lage zu stark über den Bug wegtaucht.
Neben den Vorteilen bezüglich Leistungsfähigkeit und Rating hat die Form auch optische Vorteile. Die Italia 9.98 ist vor allem von vorn ein schönes Boot mit einer eleganten und stimmigen Linienführung. Nur genau von achtern betrachtet ist die Form des Hecks etwas gewöhnungsbedürftig.
Der Test fand in Italien statt, in Santa Margherita, an der ligurischen Küste gelegen. Trotz leider nur wenig Wind konnte die Italia 9.98 aber ihr Können und Leistungspotenzial deutlich machen. Bei im Mittel 8 Knoten Wind kreuzt das Boot auf einem Winkel etwas über 40 Grad mit einem Speed von guten 6,0 Knoten.
Die beim Test gemessenen Werte entsprechen exakt den Daten des Geschwindigkeits-Vorhersageprogramms (VPP), die als Grundlage zur Errechnung des Ratings herangezogen werden. Übrigens: Das Weltmeisterboot „Low Noise“ wird bei ORCi mit einem GPH-Wert von 633 vermessen. Im Vergleich darf die Italienerin auf der Regattabahn also etwas länger unterwegs sein als ihre schärfste Konkurrentin, die X-35 (GPH 606). Nach IRC wurde der Italia 9.98 ein TCC-Wert von 1,025 zugeordnet.
Im Vergleich fällt die Höhe des Riggs eher gedrungen aus. Die Segelfläche bleibt für einen Racer fast moderat, und das Großsegel muss ohne die modischen Überrundungen oder extreme Ausstellungen im Top-Bereich auskommen. Dafür ist der Großbaum auffällig lang und reicht fast bis zum Heck. Matteo Polli wollte mit diesem Setup den Segeldruckpunkt aus Vermessungsgründen tiefhalten. Segler auf Leichtwindrevieren, die nicht zwingend nach ORCi-Ausgleich segeln wollen, haben natürlich freie Wahl bezüglich der Besegelung und deren Größe. Zweifellos machbar wäre auch ein größeres, ausgestelltes Großsegel mit dafür doppelt geführten Achterstagen.
Für die Genua bleibt es riggbedingt bei einer Überlappung von 105 Prozent. Eine Selbstwendefock steht als Alternative nicht zur Verfügung. Spannend ist die standardmäßige Anordnung zur Verstellung der Leitösen für die Genuaschot. Die sogenannten 3D-Holepunkte erlauben eine stufenlose und in alle möglichen Richtungen justierbare Umlenkung. So kann die Genua in einem breiten Winkelbereich von zwischen 5 und 18 Grad zur Schiffsachse immer optimal getrimmt werden. Die sehr komplizierte, aber auch ungemein effektive Einrichtung verlangt nach einer Menge Knowhow des Trimmers, der auf der Bahn fortwährend nachstellen muss.
Für ORCi-Regatten (Up and down) wird das Boot am besten und vermessungsgünstigsten mit einer herkömmlichen Spinnaker-Einrichtung gesegelt. Diese gibt’s als Optionenpaket mit allen Beschlägen und Spibaum als Zusatzausstattung. Nach IRC und für die Langstrecke ist dagegen ein Gennaker interessanter. Dazu kann das Boot mit einem 1,40 Meter langen, fest angebauten Bugspriet aus Kohlefaser ausgestattet werden. Auch hierfür bietet die Werft ein fertig konfektioniertes Ausstattungsbündel an. Wer das Leistungspotenzial der Italia 9.98 noch kompromissloser ausreizen will, kann sich einen CNC-gefrästen Kiel anbauen lassen, muss für diesen Luxus aber tief in die Tasche greifen.
Eine eingespielte Mannschaft findet an Deck und im Cockpit ein Layout vor, das keine Wünsche mehr offen lässt. Fallen, Schoten und Trimmleinen sind so zu bedienen, wie Regattasegler es mögen. Zudem sorgt die tadellose Basisausstattung mit Beschlägen von Ronstan und genügend großen Winschen von Lewmar für reibungsarme Manöverabläufe.
Eigenartig allerdings ist die Position des Steuermanns. Wegen des weit vorn eingebauten Ruderblatts sitzt er fast in der Mitte vom Boot. Das ist aber kein Fehler – an dieser Stelle steuert der Mann an der Pinne mit mehr Übersicht in die Segel und kann zudem ein gutes Gefühl für die Bewegungen des Bootes entwickeln. Und er kann wegen der Pinnenverlängerung alle Funktionen greifen, auch die Fallen und Trimmleinen auf dem Kajütaufbau. Die Italia 9.98 zu steuern ist ein Genuss, insbesondere an der Kreuz.
Der Großschoter sitzt noch hinter dem Rudergänger und hat dort seine Funktionen (Großschot, Traveller, Achterstag) perfekt umgelenkt. Auch er arbeitet auf dieser Position mühelos und ergonomisch gut. Die doppelte Führung der Großschot (German Cupper) mit zusätzlichen Winschen ist allerdings nur eine Option gegen Aufpreis. Auf Wunsch machbar wären zudem doppelte Steuerräder anstelle der Pinne.
Der Ausbau unter Deck erfüllt die Ansprüche der Werft bezüglich der Tourentauglichkeit – viel mehr nicht. Das Interieur ist einfach, funktional und eingeschränkt wohnlich; schiffige Gemütlichkeit kommt hier nicht auf. Für das lange Wochenende mit der Familie oder zum Übernachten für die Regatta-Mannschaft wird es reichen.
Wie es sich für ein echtes Regattaschiff dieser Größe gehört, verfügt die Italia 9.98 über eine richtige Navigation, wo man in Fahrtrichtung und mit der Karte gut arbeiten kann. Auch die Pantry bietet, was sie muss: Zweiflammenherd, Spülbecken und eine ausreichende Menge Stauraum für dies und das. Ein Elektro-Kühlfach allerdings muss der Kunde zusätzlich bestellen.
Das Vorschiff bleibt zum Salon hin offen. Die Liegefläche vorn ist für zwei Personen akzeptabel, wenn diese nicht allzu groß sind. Die Länge der Kojen beträgt 1,95 Meter, die Breite auf Schulterhöhe 1,62 Meter. Im Salon können zwei weitere Personen schlafen. Allerdings sind auch hier die Längen der Liegen etwas eingeschränkt: 1,94 Meter. In der Achterkabine ist die Koje für zwei deutlich zu klein – auf Schulterhöhe beträgt die Breite nur 1,28 Meter.
Die Werft in Chioggia nahe Venedig baut auch die 9.98 als GFK-Sandwichlaminat mit PVC-Schaumkern und Vinylesterharzen. Rumpf und Deck werden bei Italia Yachts von Hand laminiert, also nass; die trockenen Verfahren Vakuum-Infusion oder -Injektion sind in der Produktion der Italiener derzeit noch kein Thema. Die gesamte Bodengruppe wird zusammen mit strukturell tragenden Teilen der Einbauten als zusammenhängendes Bauteil laminiert, mit Kohlefaser-Gelegen verstärkt und nachträglich in die Schale einlaminiert. Diese aufwändige Bauweise garantiert starke und sehr steife Verbindungen.
Auch preislich liegt das Boot aus Italien vorn: 276.750 Euro brutto kostet die Italia 9.98 ab Werft inklusive einer ungewöhnlich umfangreichen und weitgehend regattatauglichen Ausstattung an Deck, so wie beim Testschiff. Das ist nicht wenig. Wie bei Regattaschiffen dieser Art üblich, sind die Segel dabei noch nicht eingerechnet.
Mit der Italia 9.98 haben die Yachtbauer in Chioggia alles richtig gemacht – das tourentaugliche Regattaboot ist rund und durchdacht. Und was die Italia 9.98 seglerisch draufhat, hat sie mit dem Gewinn des Weltmeistertitels bereits nachdrücklich bewiesen.
GFK-Sandwich mit PVC-Schaumkern und Vinylesterharzen. Bodengruppe mit Kohlefaserverstärkungen
Stand 09/24, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Italia Yachts, Chioggia (Italien); www.italiayachts.it
Leistungstarkes Performance-Boot aus Italien mit Weltmeistertitel. Das Cockpitlayout funktioniert für eine gut eingespielte Regatta-Mannschaft. Die umfangreiche, sehr hochwertige Ausstattung rechtfertigt den vergleichsweise stattlichen Preis
Der Artikel erschien zum ersten Mal in YACHT-Ausgabe 25-26/2015 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.