Kiel-Schilksee, Steg 2. Gerade hatte Martin Menzner seine J/80 festgemacht, als ihn ein junger Mann ansprach, der sich als Jan Brügge, Bootsbaumeister aus Grödersby bei Arnis an der Schlei, vorstellte. Menzner, der nicht nur ein erfolgreicher Regattasegler mit Spezialgebiet Sportboote, sondern mit seiner Firma Berckemeyer Yacht Design auch Konstrukteur besonderer Segelyachten vornehmlich aus Holz und Aluminium ist, hatte einige Jahre zuvor einen Daysailer gezeichnet. Der war Brügge ins Auge gestochen und hatte ihn auf eine kühne Idee gebracht. Es handelte sich um die wunderhübsche und einzigartige LA 28 aus formverleimtem Sperrholz. „Ich wollte einen Klassiker bauen. So was wie den Drachen, aber eben in modern.“ Während manche Bootsbauer inzwischen daran denken, demnächst aufzuhören, dachte Brügge nämlich damals schon darüber nach, was für ein Boot er auch in 30 Jahren noch bauen könnte. Das war für Menzner der Zündfunke. Er sagte sofort zu, dieses Boot wollte er entwerfen.
Vor fünf Jahren war das, beide können sich noch sehr gut an diese erste Begegnung erinnern, und so startete das Projekt Woy 26. „Woy“, das ist ein Namenskonstrukt aus dem englischen „Wooden Yacht“. Denn Holz, das war von Anfang an klar, war der Werkstoff der Wahl. Und mehr als das. Nachhaltig sollte das Boot sein, durch den kompletten Verzicht auf tropische Hölzer. Nur helle einheimische Holzarten wollte Brügge verbauen und so wenig Kunststoffe wie möglich.
Ich wollte einen Klassiker bauen, so etwas wie den Drachen, aber eben in modern.”
Ein modernes Boot, ein Hingucker, der am Steg die Blicke auf sich zieht. Richtig schnell sollte das Boot sein, aber dennoch einfach zu segeln. Wenn möglich sogar einhand. Turbos wie Tragflügel oder ein Neigekiel wurden von vornherein ausgeschlossen. Sowohl aus Gewichts- als auch aus Kostengründen. „Und wir wollten, dass man unser Boot gefahrlos ohne Helm segeln kann“, fügt Martin Menzner mit Blick auf moderne, leistungsstarke Segeltechnik wie Foils und Flügelmasten ergänzend hinzu. Insgesamt ein sehr ambitioniertes und klar umrissenes Projekt also.
Erste Entwürfe wurden gezeichnet und wieder verworfen. Nach und nach reduzierten Menzner und Brügge immer weiter. Decksaufbauten verschwanden, Trimmeinrichtungen wie Traveller und Achterstag auch. „Keep it simple“ war das Motto. So ging das hin und her, über ein Jahr lang, bis der Bootsbauer das erste Stück Holz in die Hand nehmen konnte.
Mit diesem Werkstoff kennt er sich bestens aus. Gelernt hat Brügge sein Handwerk auf der Yacht- und Bootswerft Stapelfeldt in Kappeln, Grauhöft, wo er unter anderem maßgeblich am Bau der Judel/Vrolijk-Konstruktion „Tango“ beteiligt war, ein schneller Daysailer auch das. 2016 machte sich Brügge selbstständig und gründete die Werft vor den Toren von Arnis.
Seitdem wird dort repariert und refittet, was die Kundschaft verlangt. Natürlich auch in GFK, aber das Herz der Bootsbauer schlägt für Holz. Mit Mut zur Größe legten sie sich ins Zeug. So wurde im Juli 2022 der erste komplette Neubau aus der Halle gezogen, die viel beachtete 48-Fuß-Segelyacht „Elida“. Ein Cruiser/Racer, gebaut nach Eignerwünschen. Der Rumpf aus formverleimter Spruce, aber hochmodern über einer Kohlefaserstruktur, für eine edle Optik mit einer abschließenden Lage aus dunklem Mahagoni gefertigt.
Und nun die handliche, puristische Woy mit ihrem neuen Ansatz hinsichtlich Materialien, Bauweise und Nachhaltigkeit. Geholfen haben Brügge dabei auch die Erfahrungen, die er beim Bau der „Tango“ sammeln konnte. Deren Bootskörper wurde allerdings noch in herkömmlicher, bewährter Holzboot-Bauweise hergestellt. Dabei werden die Furniere schichtweise aufgeleimt, vier bis fünf Lagen jeweils mit Epoxid verklebt. Dann wird der Rumpf in eine Plastikfolie gehüllt, unter der ein Vakuum erzeugt wird, das für den nötigen Anpressdruck sorgt. Dabei lässt es sich kaum vermeiden, dass die Bootsbauer immer wieder mit dem Harz in Kontakt kommen, was zu gesundheitlichen Belastungen führen kann.
Nun gibt es im GFK-Bootsbau schon lange ein Verfahren, bei dem das Harz in die trocken aufgelegten Glasfaser-Gelege injiziert wird. Nur für Holzboote gab es das bis jetzt noch nicht. Aber so ein Vakuum-Infusionsverfahren wollte Brügge für seinen Neubau. Deshalb tat er sich mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde zusammen. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt entwickelten sie ein Verfahren, das schließlich beim Bau der Woy 26 erstmals zur Anwendung kam. Vier Lagen aus jeweils 2,5 Millimeter dickem Holzfurnier wurden auf diese Weise verklebt. Bio-Based Boats nennen sie das Projekt, und dafür gab es sogar einen Nachhaltigkeitspreis, mit dem alle zwei Jahre innovative Ideen, Konzepte und Projekte aus Schleswig-Holstein ausgezeichnet werden.
Doch es dauerte noch ganze dreieinhalb Jahre bis zur Fertigstellung. Kundenaufträge hatten immer Vorrang, das selbst finanzierte Woy-Projekt musste dann oft warten. Aber nun ist es vollbracht, das Ergebnis schwimmt gut sichtbar auf dem glitzernden Wasser der Schlei und leuchtet in der Sonne: der Prototyp, die Baunummer 1. Sunrise Orange heißt die Farbe. Andere sind natürlich möglich. Eine Folie ist das, kein Lack, und sie klebt auf Planken aus hellem, fast weißem Allgäuer Fichtenholz.
Die Seitenansicht ist aber auch in weiterer Hinsicht ungewöhnlich. Eine hoch angesetzte Wasserlinie erzeugt den Eindruck, dass das Boot mehr auf als im Wasser liegt. Die Deckskante zeichnet einen kaum merklichen positiven Sprung und der Bug mit dem langen Bugspriet ist als Wavepiercer nach achtern geneigt. Das Boot arbeitet mit zwei Ruderblättern, die aber nicht außen am breiten, flachen Spiegel hängen, sondern unter dem Heck angebaut sind. Das alles sieht schon am Steg verdammt schnell aus. „Wir wollten einen Daysailer, aber herausgekommen ist eher ein Dayracer“, sagt Brügge und grinst.
In einer eleganten Rundung geht der Rumpf nahtlos ins Deck über. Ein Handschmeichler, man möchte sofort drüber-streichen. Kein Absatz, keine Kante stört, wo die Rumpfschale ins Stabdeck übergeht. Das besteht aus Oregon Pine, auch Douglasie genannt. Der Baum kommt ursprünglich aus Nordamerika, wird aber seit Langem in europäischen Wäldern gezogen. Das Holz ist sehr hart und haltbar und daher bestens für den Bootsbau geeignet. Fünf Millimeter sind die Stäbe stark, die über die ganze Länge der Cockpitduchten, den Boden und das Vorschiff geklebt wurden.
Der edle Eindruck wird komplett, wenn der Blick auf die schrägen Flächen im Cockpit fällt. Ein Furnier aus Weißtannenholz mit Jahresringen, so dicht, dass man sie kaum zählen kann. Auch die Konsole hinter dem Mast, auf der eine einzelne Winsch als zentrale Trimmeinrichtung steht, wurde optisch so veredelt.
Beiderseits dieser Konsole befinden sich zwei Niedergangsluken, Mannlöcher, durch die man unter Deck gelangt. Hier hört die edle Verarbeitung der Woy nicht auf, im Gegenteil. Ganz vorne befindet sich gut zugänglich die Rollanlage fürs Vorsegel. Davor über die gesamte Bootsbreite eine ebene Fläche von etwa 2,4 Meter Länge, gepolstert mit einer weichen, wasserabweisenden Spezialmatratze und beleuchtet durch LED-Bänder entlang der Stringer unter der Decke. Eine echte Doppelkoje, nicht schlecht für einen Dayracer. Links und rechts das glatte, warme Fichtenholz. Ein massiver Rahmenspant, auch aus Fichte gefertigt, und in gleichmäßigem Abstand die Schotten aus Lärchensperrholz.
Dort verbirgt sich auch das einzige Rumpfelement aus carbonfaserverstärktem Kunststoff, der Kielkasten. Der muss schließlich was aushalten können, erst recht, wenn später ein Hubkiel eingebaut wird, mit dem der Tiefgang der 344 Kilogramm schweren Bleibombe von 1,9 auf 1,1 Meter reduziert werden kann. Das soll dann hydraulisch komfortabel per Knopfdruck funktionieren. Geplant ist, dass sich der Kiel in zwei Positionen zum Segeln fixieren lässt. Einmal bei 1,9 Metern und dann noch bei etwa 1,4 bis 1,5 Metern für Binnenreviere mit flachem Wasser oder ufernahes Ankern. In dieser Version wird der Kiel über eine Handkurbel bedient.
Eine weitere pfiffige Idee ist ein großer Deckel im Cockpitboden, den man vollständig abheben kann. Das sorgt für Bequemlichkeit. Wer am Liegeplatz noch ein wenig an Bord verweilen will, kann hier die Füße abstellen. Vor allem aber befindet sich hier mittschiffs das Energiezentrum der Yacht, die Bordbatterien, sowie der Momentum-Elektromotor. Schaft und Propeller des Antriebs sitzen in einem Kasten, wo sie im Segelbetrieb verschwinden. Nur bei Bedarf werden sie nach unten aus dem Rumpf ausgefahren.
Auf diesem ungewöhnlichen Rumpf, acht Meter lang, 2,42 Meter breit und 1.120 Kilogramm schwer, steht ein elf Meter langer Kohlefasermast von Pauger aus Ungarn mit nur einem Salingspaar, an dem das stark ausgestellte Großsegel und die Selbstwendefock, beides 3Di -Raw-Membranen von North Sails, und bei Bedarf ein 70 Quadratmeter großer Gennaker gefahren werden.
Gehalten wird der Carbon-Mast durch Rod-Wanten aus massivem Edelstahl. Es gibt keine Backstagen und kein Achterstag, deren Funktionen werden ersetzt durch stark gepfeilte Salinge und mehr Oberwantenspannung. Getrimmt wird allein über Kicker, Schot und Strecker. Der Fußblock für die Großschot sitzt oben auf einer Hahnepot, für die gerade noch an einer Verstellmöglichkeit getüftelt wird. Eine Reffmöglichkeit fürs Großsegel ist nicht vorgesehen.
Menzner und Brügge stehen auf dem Anleger und blicken ein wenig skeptisch übers Wasser. Eigentlich war für heute ein weiterer Probeschlag geplant, gerne auch mit ein bisschen Wind. Aber muss das wirklich sein, bei 5 bis 6 Beaufort mit Böen bis 30 Knoten? Es siegt die Lust auf Action. Und die Neugier. Wie wird sich der Neubau unter diesen Bedingungen bedienen lassen? Ein dritter Mitsegler kommt an Bord, nach wenigen Minuten stehen die Segel und die Woy rauscht los. Was nun kommt, sieht ziemlich sportlich aus.
Wie aus dem Nichts knattern die Böen aus der Deckung des Waldes am Ufer bei Rabelsund. Menzner an der Pinne und Brügge an der Großschot haben richtig was zu tun. Volle Konzentration, um das Boot nicht über Gebühr zu krängen. Immer wieder luvt der Rudergänger bis zur Windkante an. Ohne Probleme klappen die Wenden, und raumschots überspringt die Logge mehrmals die Zehn-Knoten-Marke. 16 Knoten waren es beim letzten Mal, da hatten sie bei Windstärke 4 den Gennaker gesetzt. Das lassen sie heute lieber. Aber zufrieden sind sie auch so. Das Boot liegt auf allen Kursen leicht und stabil auf dem Ruder. Selbst wenn das luvseitige Ruderblatt komplett aus dem Wasser kommt, gibt es kein unsicheres Gefühl.
Wird das Boot vom Markt angenommen, soll ein 35 Fuß langes Derivat gleicher Bauart folgen, dann aber nicht als nackter Daysailer
Diverse weitere Testschläge werden folgen. Ein paar Details sollen noch verändert oder verbessert werden, aber im Prinzip sind Bootsbauer und Konstrukteur mehr als zufrieden mit ihrem jüngsten Baby. „Einfaches Handling, der Segelspaß steht an erster Stelle. Das Konzept wird sich bewähren“, da sind sie sich sicher. Sobald Kundenaufträge vorliegen, soll die Woy in Serie gehen. Sechs Monate Bauzeit pro Boot kalkuliert Jan Brügge. Und träumt schon davon, mit dem Prototyp den Grundstein für eine neue Einheitsklasse gelegt zu haben. Außerdem denkt er bereits an eine Woy 35. Das wäre dann kein Daysailer mehr, das wäre schon ein Weekender. Und auch der ein ganz besonderer.