“Slipper”Schneller und eleganter Daysailer aus Recyclingmaterial

Dieter Loibner

 · 18.08.2024

Positives Naturholzheck, das klar lackierte Süll und strakende Linien prägen das kleine Boot
Foto: YACHT/D. Loibner
Treibholz, Carbonreste, Gebrauchtes: Der US-Daysailer „Slipper“ ist ebenso nachhaltig wie originell. Und ausgesprochen hübsch geriet der Herreshoff-Designs nachempfundene Hubkieler obendrein

Nach dem Foul an einem Lotsenkutter, der es sich beim Startschiff auf der Linie gemütlich gemacht hatte, musste ein Schoner seinen Strafkringel fahren. Dann flaute es weiter ab, weshalb die Teilnehmer des Yellow Island Race für Holz­boote Probleme hatten, in die Gänge zu kommen. Außer „Slipper“. Etwas gekrängt und mit einem Hauch von Heckwelle stahl sich der kleine elegante Daysailer mit ver­tikalem Bugsteven und dem roten Stern der Starbootklasse im Segel davon. Auf Wiedersehen im Ziel.

Es war eine beeindruckende Perfor­mance, die an einem Bilderbuchtag zwischen den Inseln des San-Juan-Archipels nahe der Grenze zu Kanada geboten wurde. Doch dieser Regatta-Erfolg verblasst hinter der Idee, die in diesem Boot steckt, das so flott segelt und mit Hubkiel, Profilruder, einem vollständig aufholbaren Elektro-Antrieb absolut auf der Höhe der Zeit ist. Der Erbauer Chris Maas, 64, hat praktisch alles eigenhändig hergestellt oder für den spezi­fischen Gebrauch adaptiert. Damit liefert er nicht nur den Beweis außergewöhnlicher handwerklicher Fähigkeiten, sondern zog auch ein einzigartiges Recyclingprojekt durch, das zum Nachdenken anregt über die wenig erbauliche Ökobilanz von Freizeitbooten, die größtenteils aus Erdöl-Produkten hergestellt und am Ende ihres – immerhin zumeist langen – Lebenszyklus nur äußerst begrenzt verwertbar sind.

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Dabei hat Maas noch ganz andere Vehikel in seinem Fuhrpark stehen, zum Beispiel eine Autofähre, die über die Antriebsräder seines elektrischen Fiat 500 bewegt wird, und einen abgewirtschafteten Hobie Cat 18, den er zu einem elektrischen Foiler umbaute, mit dem er und seine Frau einmal pro Woche mal eben zur Nachbarinsel zum Einkaufen fliegen.

Inspiration für „Slipper“: Ostküsten-Day­sailer

„Ich bin ein Sammler und ziemlich geizig, deshalb auch ein Schnäppchenjäger“, lacht Maas, der früher für Olympiasieger Bill Buchan Rennyachten baute und später unter eigener Flagge Rennruderboote, Jollen und Foilermotten. Besonders interessant findet er das International Canoe, eine Konstruktionsklasse, in der er es 2011 mit einem seiner Boote zum Weltmeister brachte und später noch Podiumsplätze einfuhr.

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„Nach all den Jahren fand ich es irgendwann erschreckend, wie viele Ressourcen ich für die Fertigung meiner Boote verwendet habe. Dabei gibt es viel tadellose Ausrüstung, die gebraucht in irgendeinem Schuppen oder Keller vergammelt oder vom Be­sitzer einfach achtlos weggeworfen wird. Masten vom Starboot, zum Beispiel. Schön konstruiert, gut gebaut und ausgereift, weil sie von Topseglern jahrzehntelang optimiert wurden.“

Inspiration für das Design von „Slipper“ waren die traditionellen Ostküsten-Day­sailer, einfache Boote, die dafür konzipiert wurden, schnell auslaufbereit zu sein und leicht zu bedienen, egal ob solo oder in Gesellschaft. „Bei einem Regattatraining in Rhode Island besuchte ich auch das Herreshoff-Museum“, erzählt Maas. „Die haben niedliche Boote, die ich hier an der Westküste vermisse, mit hübschen Linien, elegant geformtem Deckssprung und diesem unglaublich charmanten, flachen, runden und lackierten Kajütdach … So etwas wollte ich mir auch bauen. Doch ich wollte keinen Langkieler und ein besseres Rigg.“

Dabei ist Maas keiner, der das Rampenlicht sucht, sondern neugierige Fragen mit entwaffnender Ehrlichkeit beantwortet. „Ich bin in meinem Leben genug gesegelt, um die Zeichen der Zeit zu erkennen wie abnehmende Beweglichkeit und geistige Schärfe“, erklärt er mit einem Augenzwinkern. „Ir­gend­wann war ich für schnelle Jollen schlicht nicht mehr gut genug. Deshalb habe ich es bleiben lassen und mir ein Altherrenboot gebaut.“

Am Anfang stand ein Treibholzstamm

Mit 8,23 Meter Länge, 2,13 Meter Breite, 36 Zentimeter Tiefgang (bei aufgeholtem Kiel) und nur 600 Kilogramm Gewicht ist dieses Altherrenboot auch hinter einem Pkw trailerbar, womit sich andere Reviere schnell und leicht erschließen lassen. Wären dies die einzigen Kriterien gewesen, hätte Maas sich bei diversen Produktionswerften umsehen können. Doch er wollte ein flottes, elegantes Boot in Leichtbauweise, das zum größtmöglichen Teil aus Versatzstücken und wiederverwertetem Material bestehen sollte. Das gibt der Markt allerdings nicht her, deshalb hieß es Ärmel aufkrempeln.

Am Anfang stand ein Treibholzstamm, eine Zeder, die Maas als Quelle für das Rumpfmaterial nutzte, das er kieloben in Streifen über die Form legte, ehe er alles mit 200 Gramm Kohlefasermatte (Ausschuss vom Flugzeughersteller Boeing) unter Verwendung von Epoxidharz überzog. Kiel- und Püttingbereiche verstärkte er mit Kohlefaser. Die Schotten bestehen ebenfalls aus Carbon, besitzen aber einen acht Millimeter starken Holzkern, der von einer Zeder stammt, die sein Nachbar fällen musste. Auch der prominente Heckspiegel von „Slipper“ bleibt dem Thema Kohlefaser-Zeder treu, den hat Maas allerdings der Optik halber mit einem hauchdünnen Furnier aus Honduras-Mahagoni überzogen, Überbleibsel eines Bootsbauprojekts in den 1950ern.

Die geschwungene Pinne aus laminiertem Fichtenholz ist nicht nur optisch ein Gedicht, sondern auch beim Segeln, weil sie federleicht in der Hand liegt. Maas schnitt sie aus einem Brett, das er unter einem Wassertank herausfischte und erst von einer Schicht Teeröl befreien musste. Die Flosse des Hubkiels ist auch aus Kohlefaser gebaut, um einen Kern aus Douglasie. Die Bleibombe goss Maas selbst aus eingeschmolzenen Gewichten, in einer Betonform, die er von einem Pflug aus Hartschaum abgenommen hatte.

E-Antrieb legt noch eine Schippe drauf

Als Rigg dient der eingangs erwähnte Star-Mast, dem unten zwar ein halber Meter fehlt, weil er im ersten Leben vor Jahren bei einer Starkwindwettfahrt auf Deckshöhe knickte, aber ansonsten tadellos intakt ist. Das war das Geschenk eines Star-Seglers, der freundlicherweise auch gleich das stehende Gut im Original mitlieferte, das Maas selbstredend weiterverwendet. Weil der Mast auf „Slipper“ aber an Deck steht, ist der Topp dennoch ungefähr so hoch über Wasser wie am Star. Den Baum hat Maas aus Komfortgründen 35 Zentimeter höher gesetzt, somit musste er das Großsegel ganz oben entsprechend kürzen. Die Segel sind ebenfalls ein Geschenk, von keinem Geringeren als Carl Buchan, wie sein Vater Bill 1984 Olympia­sieger (Bill im Star, Carl im Flying Dutchman). Somit hat sich Maas ein perfektes Leichtwind-Rigg für lau organisiert, das er nur um einen Bugspriet erweitern musste, um die ebenfalls wiederverwerteten Gennaker fahren zu können.

Doch damit nicht genug: Der Do-it-yourself-König, der einfach nichts auf die Kippe werfen kann, legte mit dem E-Antrieb noch eine Schippe drauf. Ursprünglich war’s ein 3,5-PS-Benzin-Außenborder, der fast so viel Zweitakt-Öl verbrannte wie Sprit. Maas tauschte den schmutzigen Verbrenner kurzerhand gegen einen sauberen Elektromotor und einen Solid-State-Controller aus, die beide schon in einem Kinder-Gokart und einem E-Bike Dienst taten und nun ihren dritten Nutzungszyklus erleben.

Aber ein Außenborder am Heck? Untragbar hässlich und bei steiler Welle auch denkbar unpraktisch, fand Maas. Deshalb entschloss er sich zur Montage in der Steuerbordhälfte der Kajüte in einem Schacht – ohne Abgase kein Problem. Der Antrieb lässt sich zudem auf einem Schlitten absenken und bei Nichtgebrauch über eine Talje vollständig aufholen. Eine der Rumpfform an­gepasste Abdeckung an der Unterseite des Getriebes schließt den Schacht bündig ab, damit beim Segeln keinerlei Bremswirkung entsteht.

Herreshoff hätte ganz sicher applaudiert

Auch wenn kaum ein Stück an diesem Boot neu ist, hat es zahlreiche praktische und gut durchdachte Einzelheiten, die man auf vielen Produktionsyachten des Genres vermisst. „Episch“, sagte Segelfreund Todd Twigg, der auf einer Nachbarinsel lebt und das Boot vom Mitsegeln kennt. „‚Slipper‘ ist eine Offenbarung des Genies ihres Erbauers. Mir fehlen die richtigen Worte, um das traum­hafte Gefühl beim Segeln zu beschreiben oder auch nur beim Zusehen.“

So viel Vorschusslorbeeren machen auf den Probeschlag neugierig, der bei Alpensee-ähnlichen Verhältnissen gleich verdeutlicht, weshalb Maas sein Boot bewusst auf Leichtwind auslegte. Vom Steg geht es mit dem elektrischen Hilfsantrieb geräuschlos hinaus ins nahe Fahrwasser.

Groß aufziehen, Fock ausrollen, Motor aufholen, und schon gurgelt das Wasser an der Leeseite des leicht krängenden Rumpfes, als „Slipper“ bereitwillig Fahrt aufnimmt. Die Passagiere dürfen sich zurücklehnen und das herrliche Inselpanorama genießen. Herreshoff hätte ganz sicher applaudiert. Was sofort auffällt: Alles ist ergonomisch perfekt, und an Ausreiten ist nicht zu denken, denn Athletik passt einfach nicht zum Nutzerprofil.

„Wenn ich die Jungs auf den Melges 24 so beobachte, wie sie zusammengefaltet über die Relingsdrähte hängen, sieht das schrecklich aus und unbequem“, seufzt Maas. „Meine Lösung: Kein Pinnenausleger und keine Fußgurte, sondern Sitzbänke. Man sitzt im Boot, zurückgelehnt, vielleicht einen Arm übers Cockpitsüll baumeln lassend, um einfach nett zu segeln.“ In der Tat sind der Winkel der Rückenlehne, die Sitztiefe und der Fußraum exakt aufeinander abgestimmt, bequem und angenehm. Weder Trimmleinen noch Großschottalje stören, und auch der Großbaum, am Star berüchtigt und gefürchtet, schwingt bei den Wenden und Halsen mit gesundem Respekt­abstand über die Köpfe der Besatzung hinweg. Fürs Vergnügungssegeln ist diese Anordnung absolut genial, doch bei Regatten muss ein Crewmitglied vorn beim Deckshaus Posten beziehen, um Strecker und Fallen zu bedienen.

Nicht für Regatten konzipiert, punktet “Slipper” dennoch

Trotz mäßiger Brise geht’s zügig durch den Lopez-Pass, eine strömungsreiche Inseldurchfahrt, die „Slipper“ im Galopp zu nehmen scheint, bis der Wind von einem Moment auf den anderen einfach ausbleibt. Sofort driftet das Boot seitwärts, denn ohne Fahrt sind die schlanken und hocheffizienten Anhänge, mit denen „Slipper“ bei Leichtwind auf der Kreuz punktet, ziemlich wirkungslos. Der startbereite Elektromotor muss allerdings nicht einspringen, denn den ersten Hauch aus entgegengesetzter Richtung setzt „Slipper“ sofort wieder in Vortrieb um.

Beide Raumschotstücher sind angeschlagen und warteten in ihren Säcken in der Backbordhälfte der Kajüte auf ihren Moment, der sich aber an diesem Nachmittag mit leichten und labilen Winden nicht einstellen will. Maas sagt, er übernachte manchmal auch an Bord, bei Auswärtsregatten zum Beispiel. Dazu müsse er lediglich die beiden Spisäcke entfernen, um dort Matratze samt Schlafsack ausrollen zu können. Der E-Motor nebenan stinkt und stört nicht, ein unschätzbarer Vorteil von emissionsfreier Antriebstechnologie.

Das Boot ist eigentlich nicht für Regatten konzipiert, aber punktet auch in dieser Disziplin. Bei besagter Yellow-Island-Regatta legte „Slipper“ forsch los und hatte schnell einen veritablen Vorsprung auf den Rest der Flotte herausgesegelt. Doch die Fortune hielt nur bis zum ersten Flautenloch, das „Slipper“ nördlich von Jones Island schluckte, während „Challenge“, ein ausgezeichnet gesegelter Sechser, und der mehr als doppelt so lange Bermuda-getakelte Schoner „Sir Isaac“ ihren Rückstand mit Riesenschritten wettmachten. Somit gerieten die letzten Meilen zu einem Dreikampf um die Line Honors und zu einem Wettrennen gegen die Uhr, das „Slipper“ mit einem astronomisch niedrigen Rating stark benachteiligte. Am Schluss reichte es für den zweiten Platz auf dem Wasser und den dritten nach berechneter Zeit. Maas war’s recht, „es ist nicht selbstverständlich, mit einem Kohlefaser-verstärkten Rumpf bei einer Holzbootregatta mit­machen zu dürfen“.

Ebenfalls nicht selbstverständlich ist die Konsequenz, mit der sich Maas eine weltweit einzigartige Yacht schuf, die den Beweis erbringt, dass ein schnelles, elegantes Boot auch aus Recyclingmaterial entstehen kann.


Technische Daten der “Slipper”

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  • Baujahr: 2019
  • Rumpfmaterial: Zedernholz, Kohlefaser
  • Designer/Hersteller: Chris Maas
  • Gesamtlänge: 8,23 m
  • Rumpflänge: 7,01 m
  • Wasserlinienlänge: 6,60 m
  • Breite: 2,13 m
  • Tiefgang (Hubkiel): 0,36–2,13 m
  • Verdrängung: 600 kg
  • Segelfläche am Wind: 26,0 m²

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 25-26/2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.

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