ReportageFünfzigstes Fam-Treffen an Pfingsten unter neuer Fahrtenwartin

Alexander Worms

 · 02.09.2024

Fam-Flottille auf den friesischen Kanälen. Das geschützte Binnenrevier ist hervorragend für die kleinen Jollenkreuzer geeignet
Foto: Alexander Worms
Seit 1974 kommt die Klassenvereinigung der Fam zum Fahrtensegeltreffen zusammen. Immer im gleichen Revier und doch immer wieder spannend. Das Porträt einer besonderen Klasse und einer ebenso besonderen Institution

Dieses Jahr ist alles anders bei der Pfingstfahrt, als sie sich wie immer freitags vor dem Wochenende in Heeg im Ottenhome-Hafen treffen. Seit 50 Jahren versammeln sich die Eigner mit ihren Fams, einem Backdecker mit Schwert und kleiner Kajüte, in den Niederlanden, genau genommen in Friesland. Seit 50 Jahren segeln sie ein Wochenende lang gemeinsam über Kanäle und Seen, lachen und fachsimpeln.

Fast genauso lange hielt Karl-Heinz Rieck als Fahrtenwart der sehr aktiven Klasse seine erfahrene und schützende Hand über die so bunte Schar seiner Fa­milie. In diesem Frühjahr aber verstarb das Familienoberhaupt, der Pate der Klasse, unerwartet. Jetzt also Pfingstfahrt Nummer eins ohne Karl-Heinz.

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Die Stimmung ist gedeckt, es fehlt die Unbeschwertheit anderer Jahre. Routiniert wird eingeslippt und aufgeriggt. Die sonst schon mal üblichen flapsigen Sprüche verkneifen sich die Teilnehmer indes. „Ich war ganz ehrlich besorgt, wie sich das anfühlen würde, wie es mit dem Fahrtentreffen weitergeht. Aber die Sophie hat das super gemacht“, erzählt Andreas Delfosse. Er ist lange Fam gesegelt, mittlerweile allerdings auf einen anderen Kleinkreuzer umgestiegen. Der Klasse aber ist er immer noch verbunden, und die Pfingstfahrt, ja, die sei Pflicht, auch ohne eigene Fam.

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Sophie-Charlott Ebert führt Riecks Arbeit fort

Besagte Sophie-Charlott Ebert ist eine Mittdreißigerin, die sich der fahrtensegelnden Fam-Gemeinde angenommen hat. Als neue Fahrtenwartin packt sie mächtig an, löst Probleme, managt von Gespannparkplätzen bis zu fehlenden Schäkeln alles und gibt ganz nebenbei auch noch den Takt vor am langen Wochenende. Im echten Leben ist sie Referentin für Gleichstellung und Vielfalt bei der Bergischen Universität in Wuppertal. Bei den Fams springt sie auch mal ins kalte Wasser und fischt nach der verlorenen Brille eines älteren Mitseglers. Für Sophie Ebert eine Herzensangelegenheit: „Der Enthusiasmus, mit dem der Karl-Heinz uns das Thema Fam nähergebracht hat, sein Einsatz für die Klasse, die Pfingsttour: All das musste einfach weitergehen. Das war für mich gar keine Frage.“

Andreas Delfosse ergänzt: „So ist das bei uns: Einer hilft dem anderen, ganz hemds­ärmelig. Ohne viel Gerede. Und während Karl-Heinz immer absolut strikt war – um neun war Steuermannsbesprechung, um halb zehn ging es aufs Wasser –, macht die Sophie das gleich mal anders. Aus der Steuermannsbesprechung wurde eine Steuerpersonenbesprechung, und die Abfahrtszeit wird auch mal wetterbedingt verschoben. Sie hat gleich Akzente gesetzt. Das ist gut so!“

Auch neue Eigner werden sofort inte­griert, die Fam ist ein klassisches Einsteigerboot. Neben den alten Hasen, die jedes Jahr dabei sind, gibt es immer auch einige Segler, die erstmalig teilnehmen. So ergänzen sich Erfahrung und frischer Wind, die Klasse wird nie piefig oder zu tradiert.

Die Neuen nutzen die Einfachheit und die Behütetheit durch die Klassenvereinigung und Leute wie Ebert und Delfosse, die sie gern an ihrer Erfahrung mit dem Boot teilhaben lassen, um in diesem sicheren Umfeld erste Schritte auf dem Wasser zu wagen. Vom heimischen See auf ein Revier wie Friesland, auf dem es viel Verkehr gibt und wo die Seen auch mal etwas größer sein können, lässt es sich leichter wechseln, wenn die geballte Erfahrung mitschaut, dass alles rundläuft.

Segelspaß beginnt bei ein paar Hundert Euro

Einige Eigner entwachsen der Klasse nach einer gewissen Zeit, viele bleiben aber auch einfach hängen bei der Fam, die immerhin Deutschlands meistverkaufter Jollenkreuzer ist. „Weil die Menschen hier so normal sind. Das ist, glaube ich, der Grund. Wir haben Leute mit sehr wenig und welche mit sehr viel Geld. Segler mit viel und andere mit sehr wenig Erfahrung. Das alles spielt aber einfach keine Rolle.“

Ebert, selbst eine erfahrene Seglerin, beschreibt es so: „Natürlich möchte ich bei schönem Wind auch mal richtig Gas geben. Aber das ist nicht Sinn der Pfingstfahrt. Hier wird dann gewartet. Zusammen raus, zusammen nach Haus!“

Die Pfingstfahrt also wird weitergehen, die Stimmung der Teilnehmer wird lockerer. Karl-Heinz Rieck hat es verstanden, das Feuer für den GFK-Jolli weiterzugeben, sein Erbe ist angetreten. Ihm würde gefallen, was er da sieht. Der kleine Backdecker mit Schwert ist ein Gleichmacher. Weniger Status geht nicht auf dem Wasser. Die Eigner berichten unisono, dass sie ihr häss­liches Entlein einfach toll finden, „Mut zur Hässlichkeit“ nennen sie das.

Der Segelspaß samt aktiver Klassenvereinigung beginnt schon bei ein paar Hundert Euro. Trailer, Außenborder, und fertig ist das segelnde Urlaubsdomizil. Eine Kuchenbude oder ein Cockpitzelt, viereckig, wenig ästhetisch, aber praktisch, schafft weiteren Lebensraum an Bord.

Der Ideenreichtum kennt nahezu keine Grenzen

So gibt es zwar Klassenregeln, allerdings ist jede der gut 2.000 Fams, die gebaut wurden, ein wenig anders. Viele Eigner haben selbst verbessert und gebastelt, oft unter Anleitung und Rat von Karl-Heinz Rieck.

Eine Wissensdatenbank mit Tipps und Tricks sowie Zeichnungen für alle möglichen Ersatzteile finden sich obendrein im Repertoire der Klasse. „Ich habe eine Kuchenbude genäht mit Rollos und Haltern für Lichterketten. Das hat uns einen sehr gemütlichen Lebensraum an Bord geschaffen“, berichtet die Fahrtenwartin.

Und so geht am Samstagmorgen eine farbenfrohe Fam-Armada auf den Weg von Heeg nach Workum. Es ist nur ein kurzer Segeltag. Ideal, um sich ein wenig einzusegeln, um anzukommen in der Gruppe und auf dem Wasser. „Es geht hier nicht um ambitioniertes Segeln“, sagt Andreas Delfosse. „Wir wollen einfach mit den Booten zusammen sein. Das Fahrtensegeln steht im Mittelpunkt. Und die Menschen, die Gemütlichkeit und der Zusammenhalt“, sagt Delfosse.

Der zeigt sich, als in Workum abends pünktlich um 21 Uhr die Türen des WC- Gebäudes automatisch verriegeln. Drinnen liegen noch Handys, die laden, es stehen Kühlboxen am Strom, und auch sonst befinden sich noch wichtige Utensilien im Gebäude. Der Zugang zum WC ist notwendig. Und so organisiert sich die Klasse: „Mit vereinten Kräften, Bootshaken und guten Ideen haben wir die Türen wieder aufbekommen, ohne was zu beschädigen“, grinst Delfosse. Ein Fender in der Tür verhindert neuerliches Unheil.

Geburt der Fam

Die Fam erblickte 1969 das Licht der Welt. Ein Backdecker aus dem damals noch neuen Material Polyester mit Glasfasern, kurz GFK. Die Idee stammt von den Regattaseglern Uwe Mares und Hubert Raudaschl. Das Boot ist leicht – ein Golf reicht als Zugfahrzeug –, ausgeschäumt und deshalb unsinkbar, und es bietet Platz für eine Familie. Daher wohl auch der Name. Gebaut wurde zunächst bei der Firma Klepper. Das Schiff war gleich ein großer Erfolg.

Auf der boot in Düsseldorf stand man in einer Schlange an, um einen Kaufvertrag zu unterzeichnen. Es folgten einige kleine Änderungen, es kamen eine Backskiste und eine Scheuerleiste hinzu, und irgendwann wurde der Schwertmechanismus von Drahtseil auf Spindel umgestellt. Dazu braucht es eine Schwertkurbel und etwa 80 Umdrehungen. Das wurde dann auch der Name der Zeitschrift der Klassenvereinigung: „Schwertkurbel“.

Seit 1980 fertigte die Firma Bootsbau Gruben am Bodensee die Fam, bis die Werft altersbedingt den Bau vor einigen Jahren aufgab. Wer heute eine neue Fam haben möchte, kann sie bei Hein in Elms­horn ordern. Die Formen gehören mittlerweile der Klasse. Allerdings sind meist gute gebrauchte Schiffe im Angebot, denn als typisches Einsteigerschiff gibt es immer wieder Eigner, die sich auf der Fam ihre ersten Fahrtenmeriten verdienen und dann alsbald ein größeres Schiff suchen. Dann lässt sich das Ganze ohne finanziellen Schaden wieder abstoßen, an den nächsten Novizen. Auch die schiere Menge der gebauten Boote sorgt schlicht für ein konstantes Angebot an Gebrauchten.

Dass die Menschen jedoch oftmals einfach dabei bleiben, dafür sorgt die Gemeinde der Famas, wie sich die Fam-Segler selbst nennen: „Wir nehmen die Leute gern bei uns auf, hier kann jeder mitmachen, keiner wird allein gelassen. Neulinge bekommen auf Wunsch einen Paten an die Seite. Der bleibt dann auf dem Wasser immer in der Nähe. Das gibt Sicherheit“, erzählt Delfosse.

In Langweer fallen die Backdecker ein wie die Maikäfer

Auch bei technischen Fragen ist die Klasse stets da. So werden Ersatzteile gefertigt und Reparaturanleitungen erstellt. Man hilft sich. Als bei einer Pfingstfahrt vor einigen Jahren ein Ruder bricht, wird kurzerhand mit allen verfügbaren Mitteln ein neues gebastelt. Die Tour war gerettet.

In diesem Jahr läuft alles glatt. Nach dem Grillen in Workum und dem Vernehmen nach langen technischen Besprechungen bis in die frühen Morgenstunden bei dem ein oder anderen Glas Rotwein geht es am nächsten Tag weiter. Das Ziel ist Langweer. Also raus aus der Workumer Trekvaart und über das Gaastmeer wieder zum Heeger Meer zurück. Dort segeln die Famas zum Spaß an der Freude einige Ex­trarunden, auch wenn der Wind recht schwach bleibt.

Danach geht es weiter durch den Johan-Friso-Kanal gen Langwerder Wielen. Dabei gilt es, den viel befahrenen Prinses-Margriet-Kanal zu queren. Auch hier geben die Famas aufeinander Acht. „Passt da gut auf, die Berufsschiffe sind schnell und leise“, hatte es von der Fahrtenwartin bei der Steuerpersonenbesprechung noch geheißen. Aber alles geht gut.

Im Hafen von Langweer fallen die kleinen Backdecker dann ein wie die Maikäfer. „Ich war schon vorgefahren, um da alles zu organisieren mit den Hafenmeistern. Natürlich waren wir angemeldet, doch der Hafen ist ja sonst eher auf große Stahl­motor­­yachten ausgelegt. Aber wir haben das bestens hinbekommen“, berichtet Delfosse. Auch als ein Begleitschiff Motorprobleme bekommt, bringt das die Famas nicht aus dem Konzept. Mit vereinten Kräften wird es in eine Box dirigiert und schließlich repariert.

Auch aktive Regattaszene

Drei bis vier Fams passen auf einen Liegeplatz, das ist gemütlich. Und ins Cockpit gehen dann bis zu zehn Menschen. „Das finde ich so toll: In der riesigen Plicht kann man super feiern. Ein Gläschen Wein, gute Leute. Das sind tolle Momente. Allerdings muss man unbedingt daran denken, die Selbstlenzer vorher zu schließen, sonst bekommen alle nasse Füße“, sagt Ebert.

Wieder wird der Abend lang und die Nacht kurz. Es wird geklönt, gefachsimpelt und sich gemeinsam des simplen Lebens auf der Fam gefreut. Die ist freilich nicht nur ein reines Fahrtenschiff. Die Klasse hat auch eine aktive Regattaszene, ist eine vom DSV anerkannte nationale Klasse. Die Durchführung von Regatten gehört somit zur festen Aufgabe der Klassenvereinigung. Auch hier treffen sich bei mehreren Rennen pro Jahr die Fams an verschiedenen Orten in der Republik und fahren den oder die Beste aus.

Die Klasse bleibt sich treu, die Ausrüstungsregeln sind simpel: Dacronsegel, ein ganz normaler Rumpf und kein Schnickschnack halten die Kosten im Rahmen und die Rennen fair. Auch hier bietet die Fam eine großartige Möglichkeit zum Einstieg in eine Klasse, die guten Sport auf günstigem Niveau bietet. Und natürlich Spaß und Gemütlichkeit nach den Rennen.

Das alles klappt, weil die Fam so leicht trailerbar ist. Nicht mal ein Kran ist vonnöten, eine Sliprampe reicht. Dann noch fix den Mast gestellt, und schon geht es aufs Wasser. „Früher waren wir mit unserer Pfingstfahrt immer in Sloten. Doch die Sliprampe dort wurde entfernt. Seither sind wir bei Ottenhome“, so Delfosse.

Seit 1974 Treffen an Pfingsten

Die Klassenvereinigung gründete sich 1970, seit 1974 treffen sich die Mitglieder an Pfingsten in Friesland. Das allein ist schon bemerkenswert. Dennoch ist der Entwurf, der nach fünfeinhalb Jahrzehnten immer noch sehr treue Anhänger begeistert, der eigentliche Star: „Die Fam wird unterschätzt. Es waren Leute mit ihr auf der Ostsee unterwegs. Einer war jetzt sogar damit am Nordkap, hab ich gehört. Das ist natürlich extrem, denn sie kann wie jeder Jollenkreuzer kentern. Und sie dann wieder aufzurichten ist nicht einfach“, weiß Ebert, und sie fügt hinzu: „Die Fam zu segeln ist echt toll. Je besser man wird, desto mehr Spaß macht sie. Die kannst du echt ans Limit treiben, da fühlt sie sich fast an wie ein Laser.“

Bei der Pfingstfahrt 2024 geht alles gut, keiner kentert. Am Montag geht es zurück nach Heeg. Der Großteil der Teilnehmer riggt ab. Die anderen verbinden das Treffen traditionell mit dem Urlaub. Sie bleiben einfach in Friesland.

Alle aber eint die Erkenntnis, dass die Geschicke der Pfingstfahrt erfolgreich an die nachfolgende Generation übergeben wurden. Im nächsten Jahr geht es weiter, wieder ab Heeg, wieder durch Friesland, wieder mit viel Liebe für den etwas hässlichen Backdecker.


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