“Pommersche Flunder”Detailverliebtes Catboot voller unerwarteter Gadgets

YACHT-Redaktion

 · 17.03.2024

Starke Stücke: Die mehr als drei Tonnen schwere Flunder ist kein Leichtwind-Renner
Foto: YACHT/Archiv
Drei Männer, viele Ideen und 7.500 Arbeitsstunden: Das Catboot „Pommersche Flunder“ ist eine sehenswerte Rarität

Wenn ein professioneller Bootsbaubetrieb zwei Jahre an einem knapp acht Meter langen Schiff arbeitet, könn­te etwas faul sein. Wenn ein regattaaffiner Boots­bauer, spürbar aufgeregt, anruft, zum Probesegeln einlädt und „Kacheln“, „Minibar“ und „Kohlefaserrigg“ in einem Satz erwähnt, ist etwas faul. Irgendwie hat man es schon immer geahnt: Lacke und Lösungsmittel können auf Dauer nicht gesund sein.

Auf der Fahrt zum Zwischenahner Meer arbeitet das Gehirn auf Hochtouren, versucht, die Bausteine irgendwie in ein sinnvolles Raster zu bekommen. Und ein Bild vom Eigner gleich dazu. Zwei Jahre Bauzeit für ein acht Meter langes Catboot geht gar nicht, so viel ist klar. Welcher Eigner nimmt so eine Wartezeit in Kauf? Oder anders formuliert: Was haben Jens Dannhus als erfahrener Bootsbauer und Marc-Oliver von Ahlen als genauso praxisfester Konstrukteur da bloß zusammengebracht?

Acht Meter langes Catboot als Gesamtkunstwerk

Eine Stunde später ist die Frage beantwortet: ein Gesamtkunstwerk. Im Uferschilf, an einem eigens angefertigten Steg, liegt eine Schönheit. Nicht schlank und schlicht wie ein Schärenkreuzer. Nicht modern und durchgestylt wie eine Wally. Sondern bullig, markant und heimelig. Wie ein holländisches Plattbodenschiff, nur eleganter. Eben ein amerikanisches Catboot allererster Güte. Mit typisch unverstagtem Rigg, fülligem Vorschiff und seetauglichen Linien.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Aber es ist mehr als das. Hat das geübte Auge ein im Hafen liegendes Boot schnell taxiert, Ausstattung und Verarbeitung mit wenigen Blicken grob eingeordnet, kann man bei der „Pommerschen Flunder“, so der Name der Schönheit, gar nicht aufhören hinzuschauen. Ist das wirklich … ? Wofür ist …? Warum …? Und dort …! „Warte mal ab, was du alles noch entdeckst, wenn du unter Deck bist!“ – Jens Dannhus hat die vielen Blicke bemerkt und feixt, von Ahlen nickt zustimmend.

Dabei reicht die Akkuratesse und Detailverliebtheit, die vom Deck ausstrahlt, fürs Erste vollauf: Fallenstopper, die unter einer Abdeckung verschwinden, geschnitzte Em­bleme am negativen Steven, eine beschriftete Nagelbank, hölzerne Bootshaken auf passgenauen Halterungen, Kugellagerblöcke mit Backen aus Esche, bekleidete Mastringe und golden schimmerndes Tauwerk. Das perfekt verlegte Teakdeck geht in der Summe des­sen fast unter, genauso wie die makellosen Lackie­rungen am eichenen Aufbau, dem weißen Kajütdach oder dem dunkelgrünen Rumpf. Hier schwimmt ein Boot, das vor Liebe zum Detail nur so strotzt wie das am Steg versammelte Dreigestirn von Eigner, Konstrukteur und Bootsbauer vor Stolz.

Die Idee: ein Incentive-Gefährt fürs maritime Gefühl

„Ich habe noch nie dermaßen detailliert an einem Schiff gearbeitet“, fasst Marc-Oliver von Ahlen die vergangenen 24 Monate zusammen. „Ich habe sogar die Gläser und Teller eingekauft, um sie aus­zumessen und auf dieser Basis die Zeichnungen der Schubkästen anzufertigen.“ Überhaupt der Innenraum: „Dem einen oder anderen ist es schon zu viel des Guten“, merkt Jens Dannhus an, „aber es hat einfach Spaß gemacht.“ Und langsam wird klar, warum den fünf Monaten Rumpfbauzeit noch 21 weitere Monate auf der Werft am Dümmer folgten.

Den Anfang macht eine Seezunge. Dieses 6,5 Meter lange Catboot entdeckt der Eigner, Besitzer eines großen Lebensmittelunternehmens, bei einem Werft­besuch und plant, ein solches als Incentive-Gefährt für seine Kunden einzusetzen. Doch müsse es dafür ein wenig größer sein. Nach weiteren Besuchen und eingehender Planung ist klar: Nur bei einem Neu­entwurf lassen sich alle gestellten Anforderungen sinnvoll unterbringen, vom Elektroantrieb bis zum be­quemen Salon für sechs Personen. Vor allem segel­unkundige Gäste sollen sich an Bord wohlfühlen, den Tag als Erlebnis im Kopf behalten. Mit enormer Breite, hohem Gewicht und moderater Segelfläche ist zumindest garantiert, dass sich niemand ängstlich am Süllrand festklammert, weil das Boot viel Lage schiebt. Stattdessen sollen die Gäste während des Ausflugs maritimes Lebensgefühl in sich aufnehmen, wie in einem lebendigen Freilichtmuseum.

Als Konstrukteur wird Marc-Oliver von Ahlen ins Team geholt. Selbst Eigner eines Catbootes, sind ihm die Besonderheiten dieses Typs vertraut. Beim Neuentwurf orientiert er sich an den amerikanischen Typen, die lange Zeit eine beliebte Klasse an der Ostküste bildeten. Wie weit er aber für die „Pommersche Flunder“ zeichnerisch ins Detail gehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch keinem bewusst. Am Ende skizziert er sogar die Bemalung der handgefertigten Delfter Kacheln, die hinter dem kleinen Ofen am Kajütschott kleben. „Apropos Ofen“, wirft Jens Dannhus ein. „In den haben wir eine Gasheizung montiert, wegen des Brandschutzes.“ Der Plan, passend zur Firmenphilosophie einen Räucher­ofen einzubauen, ist das einzige Projekt, was schei­terte. Am Schornsteinfeger.

Elektrisch betrieben und mit Kohlefaserrigg

Mittlerweile ist es Mittag, und über das Zwischenahner Meer weht der eine oder andere Windstrich. Geräuschlos wird die „Flunder“ rückwärts ausgeparkt, der 4,3 Kilowatt starke Elektromotor erledigt das spielend. Allerdings taucht die Frage auf, wie der Antrieb bedient wird, im Cockpit ist kein einziger Schalter zu sehen. Wieder ein wissendes Lächeln – bei den Eingeweihten – ein Backskistendeckel wird hochgeklappt und ein komplettes Bedienpaneel hervorgezogen. Hinter einer weiteren Klappe versteckt sich die Bugstrahlruder-Kontrolle. Dass der am Rumpf aufgeklebte Warnhinweis eine Eigenanfertigung ist, überrascht mittlerweile nicht mehr. Das Standardprodukt in Weiß hätte nicht zum Ensemble gepasst.

Kaum aus der Box, wird das massive Großsegel gesetzt. Kugelgelagerte Blöcke und eine Gaffel aus weißlackierter Kohlefaser machen die Aktion zum Kinderspiel, ganz unerwartet bei diesem solide wirkenden Schiff. Aber auch wenn nun 30 Quadratmeter Tuch im Wind hängen, losfahren tut die „Flunder“ deswegen nicht, es bedarf schon ein paar Knoten mehr, bis das Catboot auf Touren kommt. Entsprechend gefühllos ist es am Rad, das ganz klassisch nicht an der Vorderseite, sondern achtern aufgehängt ist. Eine Hydraulik bewegt das massive, aufholbare Ruderblatt.

Das hohe Süll vermittelt ein sicheres Gefühl, am liebsten möchte man mit diesem Schiff eine ausgedehnte Herbstreise durchs Wattenmeer unter­nehmen – trockenfallen, vorm warmen Ofen sitzen und lesen, segelnderweise über die neblige Nordsee von Insel zu Insel tingeln. Nirgendwo wäre die „Pommersche Flunder“ besser aufgehoben. Die Nutzung als sommerliche Badeplattform auf einem Binnensee passt nur bedingt. Aber auch da kann nachgeholfen werden. Wieder einmal wühlt der Bootsbauer in einem der vielen Schapps herum und zaubert eine Handvoll sorgfältig mit Tauwerk bekleideter Messingrohre hervor. Klappt hier, steckt dort, und fünf Minuten später hängt eine perfekte Bade­leiter samt Geländer vom Seitendeck ins Wasser. Und wieder nur Mi­nuten später schaut sich der Konstrukteur sein Werk bereits von außen an.

Catboot wirkt unter Deck wie ein Museumshafen

Gelegenheit für einen ausgiebigen Blick unter Deck, wo es trotz sommerlicher Hitze über­raschend gut temperiert ist. Dafür sorgt aber ausnahmsweise kein verstecktes Gimmick, sondern nur die Kombination aus weiß lackiertem Kajütdach und hellen Eiche-Seitenwänden. Eine schlichte, zeitlos elegante Optik, die im krassen Gegensatz zur Kajüte steht. Denn diese erinnert vielmehr an einen Mix aus klassischer Yacht und Museumshafen. Wer sich hier, auf den braunen, abgesteppten Lederpolstern, niederlässt, atmet quasi die Luft des Segelsports in konzen­trierter Form. Rustikale Lukenblenden, schwere Gemäldchen mit Seemotiven, Messing allerorten. Dazu weiße Möbel mit Kassetten-Türen, Ofen mit Fliesenschild und ein Niedergangsschott mit Klöntür. Klar: Ein Halbmodell des eigenen Bootes darf im Salon nicht fehlen.

Fast verschwenderisch wird hier mit dem zur Verfügung stehenden Platz umgegangen. So viel Lebensqualität, so viel Spaß am Einrichten ist man gar nicht mehr gewohnt. Vergleichbar lange Klein­kreuzer böten mindestens sechs Schlafplätze und einen WC-Raum. Würden es aber nie schaffen, dass sich ein Gast bei strahlendem Sonnenschein gern unter Deck niederlässt.

Dabei ist der Salon viel weniger Puppenstube als zu vermuten wäre. Die drei Väter der „Flunder“ haben sich von der Idee über die Planung bis zur Aus­führung perfekt ergänzt, denn auch, wenn man den Eindruck einer Nautiquitäten-Sammlung bekommt: Alles ist bis ins Kleinste durchdacht und funktional. Die Sitzgruppe hält zwei vollwertige Schlafplätze parat, das Schwertfall läuft versteckt an Deck, der ge­wünsch­te Fernseher verschwindet stilsicher hinter Uhr, Barometer und Hygrometer, selbst für private Geschäfte ist ein passender Ort vorgesehen – inklu­sive Holz­brille. Die Minibar übersteht auch einen härteren Se­gel­tag, Schapps und Schubfächer nehmen sämtliche Inhalte klapperfrei auf, Aktions­radien, Dimensionen und Anordnungen der Einbauten beweisen die Erfahrung von Werft und Konstrukteur.

Wieder und wieder brachte der Eigner Teile und Ideen in die Werkstatt

Und immer wieder stößt man auf liebenswerte Details. Die Seifenschale mit hölzerner Bürste. Der Peilkompass samt Lagerstätte. Die Gewürzdosen, passend zum Warensortiment des Eigners. Es scheint so, als warten die drei Besessenen nur darauf, dass der Gast innehält, um ihn mit dem nächsten Gegenstand zu überraschen. Ja, der Generator zum Auf­laden der Bordbatterien befinde sich hier in dem Kasten, mittig im Cockpit. „Der muss ja belüftet werden.“ Sagt’s, nimmt eine Abdeckung hoch und gewährt einen kurzen Blick durch das Lüftungsgitter. Dann wird der Deckel um 180 Grad gedreht, wieder eingesetzt, und schon ist aus der flachen Kappe ein Getränkehalter für acht Gläser geworden. Wie schnell denn das Boot bei gutem Wind wohl segle? „Keine Ahnung, eigentlich wollten wir heute mal die Logge testen.“ Und wuchtet ein betagtes, offenbar aus alten Marinebeständen stammendes Plath-Schlepplogg in die Plicht.

Dann doch lieber die Sonnenschirme aufstellen. Vier passend zum Boot bespannte Holzgestelle werden in vorbereitete Aufnahmen gesteckt, schon ist das ganze Cockpit stilecht überdacht. Höchste Zeit, denn von den vielen Eindrücken raucht der Kopf. Es ist wohl das erste Mal, dass bei einem Segeltermin mehr über derart zweitrangige Einzelheiten gesprochen wird als über wirklich Wichtiges. Aber im Ernst: Dass der Rumpf in Dura-Kore-Leistenbauweise entstand, mit Glasfaser und Epoxid überlaminiert wurde oder dass das Carbonrigg von Nordic Masts trotz Hightechfasern noch stolze 75 Kilogramm wiegt, das ist doch fast nebensächlich.

Findet auch Jens Dannhus, der längst schon wieder kopfüber in der Backskiste hängt und diesmal ein hölzernes Ösfass samt passender Schlagpütz aus Eiche hervorholt. Und damit endlich auch einmal die anderen Anwesenden überrascht. Unter andächtigem Staunen geht das Ensemble herum und bringt stellvertretend die gesamte Faszination der „Pommerschen Flunder“ auf den Punkt: In Zeiten von Großserienfertigung und fortschreitender Uniformisierung der Yachten ist das Catboot vom Zwischenahner Meer ein echter Gegenpol. Entstanden, weil sein Eigner, übrigens ein langjähriger und erfahrener Fahrtensegler, sich für perfekten Bootsbau genauso begeistern kann wie für klassische Stil­elemen­te und witzige Details. Zusammen mit Marc-Oliver von Ahlen und Jens Dannhus hat er ein Schiff erdacht, das seinem Ziel zu 100 Prozent gerecht wird. Alle Gäste werden sich mit Freude an den Ausflug erinnern, werden Salzluft geschnuppert haben, obwohl das Zwischenahner Meer brackig braun ist.

Unmengen von Arbeitsstunden machen das Catboot unbezahlbar

Klar, ein Boot wie dieses ist so unverkäuflich wie unbezahlbar. Allein die Bootsbauarbeiten schluckten 7.500 Arbeitsstunden, 600 weitere, „so viel wie bei einer 14-Meter-Yacht“, investierte von Ahlen. Die daraus entstandene Zuneigung zu dem Projekt ist allen Beteiligten anzumerken, selbst dem Schiff. Und noch immer sprühen alle vor Tatendrang. Der Eigner versieht den Steg mit einem selbst erfundenen Vogelschreck, der Bootsbauer übt sich in der Fertigung von Messing-Windspielen, und der Kon­strukteur sinniert über eine leicht abzunehmende Persenning.

Und noch beim Gang zum Auto hört man Jens Dannhus vom Boot aus rufen: „Warte mal, das hier haben wir dir noch gar nicht gezeigt!“

Der Artikel erschien erstmals in YACHT 25-26/2009 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.


Weitere besondere Boote:

Meistgelesen in der Rubrik Yachten