Christian Tiedt
· 27.09.2025
Die Großen Seen an der Grenze der USA und Kanadas sind ein ausgedehntes Revier, das größte verbundene Binnengewässer der Welt. Rund 1000 Seemeilen liegen zwischen ihrem Beginn am Ausgang des Sankt-Lorenz-Seeweges im Osten und der Stadt Duluth im Westen. Ihre Fläche beträgt eine Viertelmillion Quadratkilometer - in etwa so viel wie die Ostsee ohne den Bottnischen Meerbusen.
So wichtig die Großen Seen als Verkehrswege für den Frachttransport sind, so berüchtigt sind sie für ihre schweren Stürme, besonders in früheren Zeiten. In den vergangenen sanken tausende Schiffe und zahllose Seeleute ertranken. In einem Geschäft mit harter Konkurrenz blieben die Sicherheitsbestimmungen lange minimal. Was zählte, war die Anzahl der Reisen, der Profit.
Ein Schiff, dass diesen Umständen zum Opfer fiel, war die “F. J. King”, ein hölzerner Schoner. 1867 gebaut, segelte sie fast zwei Jahrzehnte lang in der Frachtfahrt. Doch die harte Beanspruchung beim Dienst auf den Großen Seen hatte schließlich fatale Folgen für das 44 Meter lange Schiff. Am 15. September 1886 geriet sie mit einer Ladung Eisenerz auf dem Lake Michigan in einen schweren Südweststurm. Ihr Ziel Chicago erreichte sie nicht mehr.
In der schweren See arbeitete der alternde Rumpf des Schoners so stark, dass er undicht wurde. Bald nahm er so viel Wasser, dass die “F. J. King” nicht mehr zu retten war. Glücklicherweise befand man sich in Landnähe. Die Besatzung brachte das Beiboot zu Wasser und konnte dann zusehen, wie der Segler über den Bug versank. Kapitän Griffin und seine acht Männer überlebten jedoch.
Es gibt mindestens zwei Definitionen für ein Geisterschiff. Nach der ersten verschwindet ein Schiff spurlos, nach der zweiten taucht es irgendwann wieder auf - ohne Besatzung. Was der “F. J. King” diesen Ruf einbrachte, war die Tatsache, dass sie nach ihrem Untergang nicht gefunden werden konnte - obwohl sie an einer vergleichsweise gut bekannten und zugänglichen Stelle versunken war.
Während die Großen Seen in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe ihrer lange gehüteten Geheimnisse gelüftet hatten, als ein verschollenes Wrack nach dem anderen entdeckt wurde, blieb die “F. J. King” trotz zahlreicher Suchen weiter verschwunden. Das Rätsel des Geisterschiffes wurde so groß, dass ein Tauchverein in der nahe gelegenen Stadt Green Bay eine Belohnung von 1000 US-Dollar für die Entdeckung aussetzte.
Die dürfte jetzt fällig werden: Am 14. September gab die Wisconsin Underwater Archeological Association bekannt, dass eine ihrer Expeditionen erfolgreich gewesen sei: Mit einem Side-Scan-Sonar hatte man die “F. J. King” schließlich aufgespürt.
“Wir mussten uns gegenseitig kneifen”, sagte Unterwasser-Archäologe Brendon Baillod. “Nach all den bisherigen Unternehmungen konnten wir nicht glauben, dass wir sie so schnell gefunden hatten”. Obwohl sie in einem Gebiet lag, dass schon viele Male seit den Siebzigerjahren abgesucht worden war.
Das Wrack der “F. J. King” ist auch nach 139 Jahren am Grund des Lake Michigan gut erhalten. Es ruht aufrecht in einer Wassertiefe von 40 Metern im Westen der Door-Halbinsel vor Cana Island. Von dessen Leuchtturm aus hatte der Wärter am Tag nach dem Untergang noch die Mastspitzen des untergegangenen Schoners sehen können. Und dennoch hatte sich die “F. J. King” so allen Suchen entziehen können.