”Timpe Te”Comeback der Hauptdarstellerin aus "Das Rätsel der Sandbank"

Lasse Johannsen

 · 14.09.2025

Herbst auf der Flensburger Förde. Eigner David Friedrich routiniert an der Pinne seiner „Timpe Te“.
Foto: YACHT/Christian Irrgang
​Im „Rätsel der Sandbank“ war sie die „Dulcibella“, das Boot des Hauptdarstellers und der heimliche Liebling des segelnden Publikums. Der Flensburger David Friedrich hat die Diva von einst wachgeküsst.

​”Wenn jetzt noch eine Möwe ins Boot scheißt, dann saufen wir ab!“ Als Arthur Davies und sein Mitsegler Carru­thers im Spätsommer 1904 mit dem Dingi der „Dulcibella“ vom Steg abstoßen, um das Gepäck des eben angekommenen Carruthers – es besteht aus einer vollständigen Diplomatengarderobe in Schrankkoffern – an Bord zu rudern, ist dessen derber Kommentar ebenso treffend wie verwunderlich aus dem Mund eines noblen Foreign-Office-Mitarbeiters aus London. Doch es stimmt. Die „Dulcibella“ ist so klein, dass die Koffer nur in ihre Halbschalen zerlegt hineinpassen. Und dennoch vermittelt der geklinkerte Gaffelkutter Stärke und Solidität. Die Red Ensign am Heck wirkt vor der Flensburger Stadtkulisse authentisch, mit diesem Boot ist ein Schlag über die Nordsee vorstellbar.


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Die Szene markiert den Beginn der Ver­filmung von Erskine Childers’ Kriminal-Roman „Das Rätsel der Sandbank“. Zehn Folgen à 50 Minuten Länge umfasst die ungewöhnlich milieunahe TV-Produktion, die Mitte der achtziger Jahre nicht nur unter Seglern und Küstenbewohnern für großes Aufsehen sorgte und den Mitwirkenden noch heute als äußerst strapaziös in Erinnerung ist.

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Sieben Monate dauern die Dreharbeiten seinerzeit, sie beginnen im Sommer, erstrecken sich über den Herbst und enden erst, als der norddeutsche Winter die Watten­meerküste in einen wahrhaft unwirtlichen Ort verwandelt hat. Ein Großteil der Aufnahmen wird auf dem Wasser durchgeführt. Sie zeigen, wie der geklinkerte Spitzgatter von Davies – alias Burghart Klaußner – und Begleiter Carruthers – alias Peter Sattmann – durch Priele und Prickenwege gesegelt wird, wie sie in den diversen Inselhäfen vor Anker gehen oder auf Sandbänken trockenfallen.

Unter Seglern genießt das authentisch die Zeit der Romanvorlage widerspiegelnde Werk bis heute Kultstatus; in die heimliche Hauptdarstellerin „Dulcibella“ haben sich viele der Fans anhaltend verliebt.

Wiedergeburt der “Timpe Te”

So ergeht es auch dem damals zwölfjährigen David Friedrich, als er das „Rätsel der Sandbank“ sieht. Der gebürtige Ostfriese lebt zu dieser Zeit mit seiner Familie in Südtirol. Um die Sehnsucht nach Nordseewellen zu lindern, schaut er die Serie, und die „Dulcibella“ segelt fortan sozusagen vor seinem inneren Auge; er wird sie nicht los. Heute, eine abenteuerliche Restaurierungsgeschichte später, sitzt er selber an der Pinne. Und segelt – über die Flensburger Förde, wie weiland die beiden Engländer.

Wie im Film spielt auch der Beginn dieser Geschichte an einem Spätsommertag auf der Flensburger Förde. David Friedrich ist mittlerweile 19 Jahre alt, hat nicht nur re­stauriert, sondern auch die Schule absolviert und ein Studium begonnen. Er trägt Rettungsweste und Baskenmütze, blickt in den Himmel, wo der steife Nordwest die Wolken in Fetzen zieht und macht sich daran, die Segel zu setzen. Die „Timpe Te“, so der bürgerliche Name seiner kleinen Diva, liegt am Steg des Vereins Klassische Yachten Flensburg.

„Man hat hier alles, was es auf großen Arbeitsschiffen auch gibt“, sagt Friedrich, und seine Augen leuchten. „Gaffelsegel, Stag­vor­segel, Flieger, Toppsegel, Backstagen“, zählt er auf und fügt mit verschmitztem Gesichts­aus­druck hinzu: „Ich brenne ja dafür, aber man muss es auch beherrschen.“

Das Hantieren mit dem monströsen Gaffelrigg ist tatsächlich eine Aufgabe für Fortgeschrittene. Piek- und Klaufall wollen zugleich bedient werden, der über das Heck hinausragende Großbaum tanzt unter dem killenden Segel, der Luftraum darunter – eigentlich der angestammte Platz für den Kopf des Rudergängers – gehört derweil dem massivhölzernen Doppelscheibenblock für die Großschot. Dann steigen Fock und Klüver in die Höhe und killen. Aber als die motorlose „Timpe Te“ auf Kurs ist, weicht die Unruhe einer wohlbalancierten Dynamik, welche sich aus dem Zusammenspiel des Windes und der Wellen ergibt, die mit dem temperamentvoll parierenden Boot spielen.

Viele Eigner, viele Aufgaben

Wer „Das Rätsel der Sandbank“ gesehen hat, wird sich er­innern: Minutenlange Segel­szenen wirken in dem spannungsgeladenen Spionage-Thriller über weite Strecken wie ein ruhiges Kaminfeuer. Die Kamera spielt mit den Perspektiven, die sich aus dem gewaltigen Rigg, den Segel­flächen und aus dem schimmernden Holz er­geben, das je nach Nässe und Lichteinfall ein immer anderes Bild abgibt.

Auch David Friedrich ziehen die Szenen sofort in seinen Bann. Als Zwölfjähriger sitzt er am Schreibtisch in den Bergen, zeichnet das Boot seiner Träume nach und stöbert im Internet, wo er auf den Artikel „Des Rätsels Lösung“ stößt. Der war in der Rubrik „Das besondere Boot“ in YACHT 17/2010 erschienen. Der Junge erfährt darin, wer Eigner des Film-Bootes ist und nimmt Kontakt auf. 2015 wird sein Wunsch wahr. Re­staurator Reiner Boje, in dessen Obhut sich die „Timpe Te“ bereits seit 1991 befindet, zeigt dem Jungen sein Boot.

Das ist damals schon 70 Jahre alt. Als Hochzeitsgeschenk für seine Tochter hatte der Inhaber der Husumer Schiffswerft den sieben Meter langen Rumpf im Nachkriegsjahr 1946 einst auf Kiel gelegt. Zwei Jahre später lief die den Fischereifahrzeugen seiner Mecklenburger Heimat nachempfundene „Timpe Te“ dort vom Stapel, damals noch mit einfachem Hochrigg und ohne Motor. Der Rumpf besteht aus Eichenplanken auf Eichenspanten. Für Gewichtsstabilität sorgen Innenballast und ein untergebolzter Eisenkiel.

In zweiter Hand dient die „Timpe Te“ dem Halliglehrer von Oland als Dienstfahrzeug, dann ist sie viele Jahre in Borsfleth an der Störmündung zu Hause, wo sie das monströse Gaffelrigg mit dem Borsflether Wappentier im Segel erhält und einmal sogar tatsächlich nach England gesegelt wird. Der spätere Aufnahmeleiter der Romanverfilmung ist der vierte Eigner, nach weiteren Wechseln schließlich Reiner Boje.

Tiefergreifender Handlungsbedarf

„Bei unserem ersten Treffen fragte ich Reiner Boje, ob es Pläne des Schiffes gäbe, ich würde es gern später nachbauen“, er­innert sich David Friedrich, der damals plant, eine Lehre zum Bootsbauer zu machen. Über die spontane Antwort Bojes ist er völlig verblüfft. „Er sagte mir: ‚Du kannst es haben, wenn du es wirklich willst.‘“

Boje, der das Schiff seit sieben Jahren auf­gelegt hat, gefällt die Idee. Ein junger Idealist würde sich künftig seines Schiffes annehmen. Es vergehen weitere zwei Jahre, in denen David Friedrich ein Konzept entwickelt, wie er das Boot retten kann. Denn zwischenzeitlich hat Boje mit seinem Bootsbauer vor Ort eine umfassende Bestandsaufnahme gemacht und tiefgreifenden Handlungsbedarf festgestellt. „Reiner war beunruhigt“, er­zählt Friedrich. „Er wollte nicht, dass ich mich übernehme, er wollte aber auch nicht, dass die ‚Timpe Te‘ eine Chance verpasst.“

„Es stand fest, dass meine Familie 2017 nach Flensburg ziehen würde“, sagt David Friedrich rückblickend – der ideale Standort für das Projekt. „Alles, was ich vor dem Umzug vom Schreibtisch aus vorbereiten konnte, erledigte ich auch.“ Friedrich nimmt Kontakt zu Werften und zur Flensburger Klassikerszene auf, organisiert Liegeplatz und Werkstatt und eruiert die Möglichkeiten des Transports. Er richtet eine Internetpräsenz ein, in der er über das Boot und die Pläne berichtet, und er stellt das Projekt auf einer Crowdfunding-Plattform vor. Dann reist er ein zweites Mal nach Neuen­deich. Diesmal wird der Kauf besiegelt. Über Land rollt der Kielschwerter in seinen neuen Heimathafen, wo er auf dem Südermarkt abgeladen und die letzten Meter auf dem Hafentrailer in den Hinterhof des jetzigen Fa­milienheims geschoben wird.

Enthusiastische Gemeinschaftsaktion

Einer, der von da an mit im Boot ist, befindet sich auch heute an Bord. Olde Sprekkelsen sitzt in Luv auf der Ducht, stützt sich mit breiten Beinen in Lee am Waschbord ab und bedient gekonnt Fock- und Klüverschot. Überkommendes Wasser ignoriert der Norddeutsche stoisch, wie ein alter Salzbuckel. Dabei ist dieser Segelsommer an Bord der „Timpe Te“ sein erster überhaupt.

„Ich habe David kennengelernt, als er nach Flensburg zog“, sagt Olde Sprekkelsen, der sich damals sofort für das Projekt interessiert. „Ich habe dann unter den Studierenden Werbung gemacht.“ Es ist der Auftakt einer enthusiastischen Gemeinschaftsaktion. Die Bilder, die in dieser Zeit entstehen, zeigen lachende Gesichter. Dabei ist der Beginn gar nicht so lustig. „Wir hatten anfangs viele Bootsbauer da, die abgewunken haben“, erzählt Friedrich, der nicht dazu bereit ist, den Rumpf in seine Einzelteile zu zerlegen. „Das war finanziell nicht drin und auch nicht das, was wir machen wollten“, sagt er.

Endlich findet er nach langer Suche einen Bootsbauer, der versteht, worum es dem jugendlichen Eigner geht, dass erhalten und repariert werden soll und vor allem möglichst bald auch wieder gesegelt. „Er hat sich auf Kompromisse eingelassen und uns gezeigt, wie es geht.“

Langwierigere Arbeiten als angenommen

Die Anfänge sind zäh. Die „Timpe Te“ muss entkernt werden, es gilt, das Unterwasserschiff von einer zentimeterdicken Teerschicht zu befreien. Sämtliche Aufbauten werden abgezogen und große Teile der Außenhaut. Es sieht immer weniger nach einem Segelboot aus, was da am Südermarkt im Hinterhof steht. Doch die junge Mannschaft arbeitet unter Anleitung des eben volljährigen Eigners munter weiter.

Der Aufgabenzettel ist lang und bunt. Der Motor, ein 14-PS-Einbaudiesel, fliegt auf Nimmerwiedersehen von Bord. Das gesamte Stabdeck wird neu verfugt. Am Mast wird ein neues unteres Ende angeschäftet. Spanten werden geleimt, Planken ersetzt, das Stevenknie ausgebessert. Unter dem Motor haben die Vibrationen ganze Arbeit geleistet, drei Bodenwrangen sind zu tauschen. Bald ist klar: Das selbstgesetzte Ziel, im Sommer 2018 zu segeln, ist nicht zu realisieren.

Dem Engagement der nimmer­müden Helfer schadet diese Einsicht aber nicht. Mit vollem Elan entsteht ein neuer Ruderkopf, wird die Pinne geschäftet, das Rigg gelabsalt, es werden Blöcke geölt und Spieren lackiert. Das Unterwasserschiff wird mit Yachtprimer und Antifouling gemalt, die Außenhaut mit langöligem Bootslack wieder auf Glanz gebracht. Schließlich kommen die Einbauten wieder an ihren Platz, und im Herbst 2018 ist es endlich so weit: Die „Timpe Te“ hängt im Kran am Flensburger Harniskai. Es geht ins Wasser.

Spaß dominiert auf der “Timpe Te”

Acht Jahre nach ihrer letzten Saison muss die einstige Hauptdarstellerin sich erst einmal zwei Tage lang damit vollsaugen, bevor es an den Liegeplatz gehen kann, wo sie endlich wieder aufgeriggt wird. „Das erste Mal mit ihr zu segeln war aufregend“, ruft sich Olde Sprekelsen ins Gedächtnis, dem die anfängliche Begeisterung ein Jahr später noch anzumerken ist. „Ich hatte großen Respekt“, sagt er, der ja erst am Beginn seiner seglerischen Laufbahn steht. „Aber seit ich gemerkt habe, dass nichts gleich explodiert, wenn man es mal falsch anpackt, macht es richtig Spaß!“

Der dominiert offensichtlich ohnehin auf der „Timpe Te“. Denn auch, als über Flensburg ein mächtiger Regenschauer niederprasselt und sich das Boot in der zur Front gehörenden Bö kräftig auf die Seite legt, bewahren die jungen Männer die Ruhe und schippern unbeirrt an die Hafenspitze zurück, wo die umfangreiche Segelgarderobe souverän gebändigt und der kleine Kielschwerter gekonnt an den Steg gebracht wird.

Hier, beim Verein Klassische Yachten Flensburg, hat nicht nur die „Timpe Te“ ein neues Zuhause gefunden. „Das Boot war den ganzen Sommer über Treffpunkt für den gesamten Freundeskreis“, sagt David Friedrich, dem das sichtlich gefällt. Und so ist der Wunsch des Voreigners, junge Menschen durch seine „Timpe Te“ für das Segeln und die Arbeit an einem traditionellen Holzboot zu begeistern, tatsächlich wahr geworden.


Technische Daten der “Timpe Te”

Zeichnung des 12-jährigen David Friedrich.Foto: David FriedrichZeichnung des 12-jährigen David Friedrich.
  • ​Werft: Husumer Schiffswerft
  • Baujahr: 1946–1948
  • Länge Rumpf/gesamt: 7,50/9,50 m
  • Breite: 2,30 m
  • Tiefgang: 1,20–0,60 m
  • Gewicht: 2,5 t
  • Segelfläche: 45 m²

Das Rätsel der Sandbank

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Foto: YACHT

​Erskine Childers und sein Spionageroman von 1903

Childers kam 1870 in London als Sohn einer britisch-irischen Familie zur Welt, wuchs in bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf, studierte Rechtswissenschaften und wurde 1895 Angestellter im britischen Unterhaus. Vier Jahre später zog er für das Empire in den Burenkrieg. Als Invalide heimgekehrt, verfasste er den Spionageroman „The Riddle of the Sands“, in dem er eine bevorstehende Invasion der deutschen Truppen an der Küste Großbritanniens prophezeit. Der begeisterte Segler Childers lässt seinen Romanhelden Arthur Davies darin mit seiner kleinen Slup „Dulcibella“ das deutsche Wattenmeer erkunden. Vorbild ist Childers’ Yacht „Vixen“, mit der er Nord- und Ostsee bereist hatte. Vom Erfolg des Buches beflügelt, schrieb er militärische Werke, wurde über diese Arbeit zum glühenden Anhänger der irischen Unabhängigkeitsbewegung, selbst Aktivist und 1922 schließlich exekutiert.

​Die deutsche Verfilmung von 1984

​In Gemeinschaftsproduk­tion von Radio Bremen und Multimedia Berlin entstanden im Jahr 1984 die Aufzeichnungen für die spätere TV-Serie „Das Rätsel der Sandbank“ nach einem Drehbuch von Rainer Boldt. In den Hauptrollen spielen Burghart Klaußner den britischen Einhandsegler Arthur Davies, Peter Sattmann dessen Weggefährten Carruthers und Dietmar Muehs den deutschen Marineoffizier von Brüning. Für das segelnde Publikum aber spielt „Timpe Te“ die Hauptrolle, denn der kleine Spitzgatter stellt die im Roman beschriebene „Dulcibella“ dar, mit der die zwei Engländer zum Unwillen der deutschen Militärs das Wattenmeer erkunden – zu einer Zeit, als die vorgebliche Entenjagd längst keine Saison mehr hat. Monatelang hatte die Filmcrew mit hohem Aufwand daran gearbeitet, das Drehbuch zu verfilmen, die Segelszenen auf „Timpe Te“ nahmen dabei breiten Raum ein. Hilfreich war, dass Schauspieler Burghart Klaußner selbst von Kindesbeinen an segelt.

​​Das Bootsporträt erschien erstmals 2020 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.

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