YACHT-Redaktion
· 05.10.2021
Fast sechs Jahre hat die Sanierung gedauert und 135 Millionen Euro gekostet – und für Kontroversen gesorgt. Gutachter Detlev Löll über Fehler der Bundeswehr
Ein Drama um Kosten und Sinn einer Restaurierung hat seinen Abschluss gefunden: Am 30. September ist die „Gorch Fock“ in Wilhelmshaven zurück an die Marine übergeben worden. Wenige Tage später nahm sie Kurs auf ihren Heimathafen Kiel, wo sie gestern ankam.
Die vergangenen beiden Jahre hatte die Bremer Lürssen-Werft den Dreimaster wieder flottgemacht. Ursprünglich war 2015 die kleine Elsflether Werft mit der Reparatur beauftragt worden. 16 Wochen sollte die dauern und 10 Millionen Euro kosten. Doch die Werft wurde insolvent, die Arbeiten zogen sich in die Länge, die Kosten explodierten. Der Bundesrechnungshof machte Bundeswehr und Verteidigungsministerium verantwortlich. Die Sanierung sei nicht richtig geplant gewesen, ein Neubau nie ernsthaft geprüft worden, so der Vorwurf. Hinzu kamen Unregelmäßigkeiten auf der Elsflether Werft. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt wegen Betrug, Korruption und Bestechlichkeit. Zuletzt hatten Umweltschutzorganisationen Klage erhoben: Das an Bord verwendete Teakholz aus Myanmar sei „höchstwahrscheinlich illegal“.
Die YACHT sprach mit Kapitän zur See Nils Brandt, seit 2014 Kommandant der „Gorch Fock“, über den Sinn eines Segelschulschiffes in der heutigen Zeit. Das Interview ist in Ausgabe 22/2021 zu lesen, ab 20. Oktober am Kiosk.
Außerdem sprachen wir mit Gutachter Detlev Löll, 61, über die Sanierung der „Gorch Fock“, die Fehler der Bundeswehr und den Sinn eines Segelschulschiffes. Das Interview finden Sie in einer Kurzfassung im selben Heft, hier gibt es das vollständige Interview. Löll ist Schiffbaumeister und der einzige in Deutschland zugelassene Großtakelagen-Gutachter. Seit 1987 hat er zwölf Großsegler mit konstruiert. Er segelt privat eine kleine, hölzerne Slup.
Herr Löll, was genau haben Sie auf der „Gorch Fock“ gemacht?
Detlev Löll: Wir waren beauftragt, den Zustand der Takelage zu begutachten. Zuvor haben wir sie schon einmal vollständig zerlegt, teilweise ersetzt und mehrfach repariert. Ich kenne die „Gorch Fock“ seit 1990.
Wie groß waren nun die Schäden?
In der Takelage geringfügig. Das hätte man problemlos reparieren können, für etwa 60.000 Euro.
Die Bundeswehr sieht das ganz anders.
Das war die Meinung der bundeswehreigenen Prüforganisation, die massive Fehler gemacht und die Schäden bei der Prüfung selbst deutlich vergrößert hat. Die Takelage wurde einst zu dick gebaut – wo die Bleche der Rah laut Vorschriften eine Wandstärke von sechs Millimetern haben mussten, wurden neun Millimeter verbaut, die nun auf sieben abgerostet waren. Zu viel, sagt die Bundeswehr. Immer noch übermaßig, sage ich. Die neue Takelage hat dann über 4 Millionen Euro gekostet.
War die Sanierung der „Gorch Fock“ noch wirtschaftlich?
Überhaupt nicht!
Warum?
In dieser Zeit haben wir in Spanien ein ungleich größeres militärisches Segelschulschiff gebaut, die „Bima Suci“ für die indonesische Marine. Das dauerte zwei Jahre und kostete 65 Millionen Euro, dabei ist das Schiff mit 110 Metern ungleich größer als die „Gorch Fock“. 135 Millionen Euro: Das ist krass zu viel, auch wenn sich in der Szene keiner gewundert hat, dass das so teuer wurde.
Die Bundeswehr sagt, in Deutschland und nach unseren Bauvorschriften könne man „sicher nicht“ zum halben Preis ein neues Schiff bauen.
Die „Bima Suci“ erfüllt sämtliche Sicherheitsvorschriften. Eine über 50 Jahre alte „Gorch Fock“ auf die aktuellen Standards anzuheben ist natürlich deutlich teurer als gleich ein neues Schiff zu bauen.
Warum musste die „Gorch Fock“ überhaupt so aufwändig saniert werden?
Weil die Elsflether Werft bei der vorherigen Sanierung einen Fehler gemacht hat, der dazu führte, dass die stählerne Außenhaut unter dem Bleiballast massiv korrodierte. Die Bundeswehr nahm die Werft aber nicht in Regress – sondern gab ihr einen neuen Auftrag. Dann wurde das Schiff von der Bundeswehr nach Erteilung des Auftrags Stück für Stück intensiv geprüft, und so kamen über die Jahre immer neue Aufträge dazu. Später musste selbst die Festigkeit der Aufhängepunkte der Hängematten von einem Ingenieurbüro nachgerechnet werden, obwohl sie seit 50 Jahren an denselben Punkten hängen. So ein Vorgehen ist nicht nachvollziehbar. Kommerzielle Reedereien lassen ein Schiff anfangs einmal komplett prüfen, rechnen aus, ob die Reparatur noch wirtschaftlich ist und schreiben dann den detaillierten Auftrag zum Festpreis aus. Die Bundeswehr schafft das nicht.
Stattdessen musste alles sehr detailgetreu restauriert werden?
Das Schiff hat ja eine genietete Konstruktion mit überlappenden Stahlplatten. Aus unerfindlichen Gründen wurde nun versucht, alle Nietköpfe aufwändig und für sehr viel Geld zu imitieren, statt das einfach nur zu verschweißen. Da fasst man sich als Schiffbauer an den Kopf. Nicht mal bei denkmalgeschützten Museumsschiffen macht man das so.
Aber warum läuft das so?
Weil bei der Bundeswehr trotz eigener Kostenprüfer offensichtlich kein Verständnis für Geld da ist. Und jede Werft weiß, dass die Bundeswehr ihre Aufträge immer viel zu klein ausschreibt. Um den Job zu kriegen, bieten sie das erst einmal unter Preis an, verlangen dann aber viel Geld für jede zusätzliche Stunde – aus 50 werden dann 85 bis 100 Euro Stundenlohn. Nils Brandt ist wirklich ein sehr guter Kapitän, aber die Kapitäne sind nun mal keine Schiffbauer – das ist nicht nur bei der „Gorch Fock“ so. Und dann muss ja auch die ganze Besatzung so eines Schiffes während der gesamten Reparatur teuer auf der Werft untergebracht und verpflegt werden – obwohl die Marine über Kasernen verfügt. Dabei können die Soldaten da wenig tun, außer rumsitzen. Niemand außer der Bundeswehr würde das so machen.
Braucht die Bundeswehr auch weiterhin ein Segelschulschiff?
Zwingend! Das Schiff ist ja nicht dazu da, damit die Soldaten segeln lernen – es geht darum, dass sie Teambildung lernen. Und dass sie sich auf Leben und Tod auf den Menschen neben ihnen verlassen können müssen. Das geht ohne Segelschulschiff und die direkte Auseinandersetzung mit den Naturgewalten nicht. Und dauerhaft einen Großsegler zu chartern ist nicht sinnvoll.
Interview: Jan Zier