”Saga”Aus zwei mach eins – Rettung eines Folkebootes

Ursula Meer

 · 27.07.2024

Heute segelt "Saga" wieder
Foto: YACHT/Ben Scheurer
Nach dramatischem Kielverlust war seine „Saga“ ein Wrack. Doch Vincent Regenhardt kaufte ein Ersatzteilboot und bewältigte eine ungeahnt große Aufgabe

Manche haben mich für verrückt erklärt“, sagt Vincent Regenhardt. Er sitzt im Cockpit seines nordischen Folkeboots „Saga“ auf der Flensburger Förde, es ist ein sonniger Septembertag. Die Wellen klingen hell am geklinkerten Lärchenholzrumpf, Mahagoni glänzt in der Sonne. Bequem auf dem Achterdeck sitzend, liegt die Pinne bei böigen vier bis sechs Windstärken leicht in der Hand. Gelegentlich neigt sich das agile Holzboot in einer Bö. Dann strahlt Vincents Gesicht über dem roten Seenotretter-T-Shirt mit seinem Boot um die Wette.

Diesen Zustand wiederherzustellen hat den jungen Ingenieur drei Jahre, 5.000 Stunden Arbeit und die Überwindung einer tief sitzenden Angst gekostet. Nichts deutet heute mehr darauf hin, dass das Folkeboot von 1951 vor fünf Jahren beinahe für immer am Grund der Förde verschwunden wäre – und dass wir eigentlich nicht auf einem, sondern auf zwei Folkebooten sitzen.

Folkeboot “Saga” scheint nicht mehr gerettet werden zu können

Sonnig wie heute ist der 10. September 2017, nur etwas kühler. Windstärke vier, in Böen sechs. „Sportliches Segelwetter, aber als Folkebootsegler hatte man nichts zu beanstanden“, erinnert sich Regenhardt an die Spazierfahrt beim Folkeboottreffen in Fahrensodde, zu der er zwei Mitsegler an Bord genommen hat. Als sich das Schiff in einer Bö zur Seite neigt, lässige zehn Grad, unspektakuläre 20 und schließlich von einem lauten „Jo!“ begleitete 30, luvt der Skipper an, gibt Lose in die Schoten – doch nichts tut sich. Im Zeitlupentempo legt sich „Saga“ auf die Seite, bis das Wasser über das Backbordsüll einsteigt.

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Die Mitsegler springen von Bord. Regenhardt steht im Kajüteingang, als einige Hundert Liter Wasser in das Boot schwappen. Erst als der Wasserstand drinnen wie draußen dieselbe Höhe erreicht hat, kann er herausschwimmen. Irgendwo am Rumpf schürft er sich das Schienbein auf. Die Segler bergen schwimmend die Segel und richten das Boot in Jollenseglermanier mit Hilfe eines anderen Schiffes wieder auf. Regenhardt klettert an Bord. Doch an Deck muss er nur einen winzigen Schritt zur Seite tun, um „Saga“ erneut zum Kentern zu bringen.

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Das ist nicht mehr das treue Folkeboot, das seine kurzen Kinderbeine das erste Mal betraten, als er noch vier Jahre alt war. Das die ganze Familie nach einem umfangreichen ersten Refit seit 1992 in den Sommerurlauben anstandslos in die Dänische Südsee trug. Auf dem Regenhardt und sein Bruder das Segeln lernten, von dessen Deck sie vor Lyø in die klare Ostsee sprangen und in dessen Kajüte sie sich des Abends mit den Eltern und einem Labrador einkuschelten. Nie zuvor hatte Regenhardt Anlass, an Zuverlässigkeit und Seetüchtigkeit seines Folkebootes zu zweifeln, doch nun schwankt das Vertrauen und weicht mit jedem Zentimeter, den sich „Saga“ auf die Seite legt.

Er gibt sie auf. Unterkühlt, durchnässt und glücklich über ihre Rettung finden sich die drei Segler im Krankenhaus im dänischen Kollund wieder. Fragen und Erinnerungen schwirren in Regenhardts Kopf: „Warum ist ‚Saga‘ gekentert? Wie geht es ohne sie weiter? Wie sage ich es meinem Vater?“ Jahr um Jahr ist er mit seiner Familie, später auch allein, aus dem Örtchen Westen im Landkreis Verden im tiefen Niedersachsen nach Flensburg gependelt. Der hohe Norden ist ihm Heimat, ein „Moin“ sein Gruß, und lieber sitzt er abends im Cockpit als in einem coolen Club.

Gerade hat er nach einer Mechatroniker-Ausbildung in Hannover seinen Traumstudienplatz in Flensburg ergattert. Vincent, „Saga“ und seine alte Harley-Davidson an seinem Wunsch-Lebensort: Alles ist perfekt – und nun verlässt ihn seine „Saga“.

Die Rettung – allerdings ohne Kiel

Glaubt er. Tatsächlich nehmen die deutschen Seenotretter den Havaristen auf den Haken und schleppen ihn ebenfalls nach Kollund, kaum, dass das Kielwasser des Feuerwehr-Rib mit den Geretteten in der Weite der Förde verschwunden ist. Dort nimmt sich ein deutscher Folkebootsegler der „Saga“ an und organisiert einen Schlepp nach Fahrensodde, wo der Hafenmeister schon mit Kran, Gurten und Lagerbock bereitsteht. Regenhardt erfährt davon erst, als ein Freund ihn und die Mitsegler aus dem Krankenhaus abholt. Die verloren Geglaubte ist gerettet, aber nicht mehr ganz. Eine Tonne Eisenballast ist auf dem Grund der Förde geblieben.

„Sie aufzugeben war aber keine Option. ‚Saga‘ ist der Grund, weshalb ich an die Küste kam und hierbleiben wollte. Die Erinnerungen meiner ganzen Kindheit und Jugend stecken in ihr. Ich wollte kein anderes Boot“, schildert Regenhardt seine Emotionen, denn es sind nicht nur rationale Maßstäbe, die er und sein aus Niedersachsen herbeigeeilter Vater Uwe anlegen, als sie vor dem Lagerbock stehen, auf das Boot mit der befremdlichen Kielform blicken und beraten, was zu tun sei. Tief davon überzeugt, die Substanz zum Restaurieren sei sehr gut.

Die Arbeiten sollen nach und nach erfolgen. Auf des Vaters Hof im Niedersächsischen, der für lange Zeit zur Werft werden wird. Für Vincent heißt das: Nach nur wenigen Wochen, die er endlich an einem Ort mit seinem Boot war, fährt er nun wieder in umgekehrter Richtung, wann immer er Zeit hat, um an „Saga“ zu arbeiten. Sommer wie Winter auf seiner alten Harley, die nach der Restaurierung 25.000 Kilometer mehr auf dem Tacho haben wird.

Zweites Folkeboot als Ersatzteilspender

Seine Idee klingt einfach: „Ich suche einen Spenderballast, vielleicht noch das eine oder andere weitere Teil und baue sie wieder auf, indem ich aus zwei Folkebooten eins mache.“ Vater und Sohn kaufen schließlich ein komplettes nicht mehr segelfähiges Folkeboot hinzu und bezeichnen es als „Teileträger“. Eine sachliche Bezeichnung, die vor emotionaler Hemmung beim notwendigen Ausein­andernehmen zwecks Verwertung bewahrt.

Für das, was sie vorhaben, gibt es keine Anleitung. Und als „Saga“ ihres Innenlebens entledigt ist, zeigen sich auch noch reihenweise Schäden. Korrodierter Stahl, bröseliges Holz. Dazu ein breiter Spalt an Backbord, über Jahrzehnte dichtgehalten von einer schwarzen Masse unbekannter Art. Entdeckungen, die den jungen Skipper daran erinnern, dass er das Urvertrauen seiner Kindheit in die „Saga“ erst noch wiedergewinnen muss.

Das geht nur mit einem kompromisslos auf Sicherheit und Stabilität konzentrierten Projekt, das von den Holzarbeiten über die Gasleitungen bis zum Strom nichts auslässt – ohne die Schönheit des kleinen Klassikers zu beeinträchtigen. Kein Stück rostigen Stahls bleibt im Schiff, und jeder Meter Holz wird einer gründlichen Revision unterzogen und wo nötig ausgetauscht. Dabei erweist sich die simple Idee, Teile des einen Folkebootes in das andere einzubauen, als aufwändiges Puzzle, bei dem stets ausgeglichen und angepasst werden muss. Als alle Teile wieder an ihrem Platz sind, bringt Regenhardt außen am geklinkerten Rumpf große Gewebematten mit Epoxid an. „Das ist ein Experiment, aber bisher geht es auf.“ Tatsächlich zeigt das Holz in dem offenen Boot nach drei Jahren keine Verfärbungen, die darauf hindeuten, dass es sich in seiner Hülle zersetzen könnte.

Etwa zwei Jahre lang sammelt er alle Hölzer, die zu einem Folkeboot passen: Okumé und Mahagoni-Sperrholz, Massivmahagoni und Teak. In Youtube-Videos sieht man ihn allein oder mit seinem Vater an der „Saga“ arbeiten. Und der sympathische junge Mann findet viel Unterstützung von der Gemeinde der Folkebootsegler – der Refit wird auch zu einem sozial herzerwärmenden Projekt, manch einer ist froh, seinen Teil beitragen zu können.

Stapellauf 2.0

Doch so leidensfähig Regenhardt bei der Restaurierung auch war, heute stehen an Bord Genuss und Ästhetik im Vordergrund. Zwischen Teak und Vollholzmahagoni zapft er am kleinen Spülbecken Trinkwasser aus einem passgenau für die Bilge aus Polyethylen selbst geschweißten Tank und brüht frisch gemahlenen Kaffee auf.

Daneben liegt ein des Morgens im Campingofen gebackener Kuchen auf seidenmatt glänzendem Holz: Die „Aus zwei mach eins“-Methode ließ Edelholz im Überfluss übrig für einen üppigen Innenausbau. Im Schrank unter dem zweiflammigen Herd haben gleich mehrere Pfannen Platz, darüber eine kleine Sammlung von Gewürzen. Zwischen den Salonbänken machen ein Rollrost und zusätzliche Polster die schmalen Schlafgelegenheiten zu einer bequemen Liegewiese.

Alles amtlich, nichts mehr marode. Dennoch: Als „Saga“ nach unserem fröhlichen Schlag über die Förde sanft in ihrer Box schwingt, erinnert sich ihr Eigner: „Ich war nie nervöser als an dem Tag im August 2020, als ‚Saga‘ wieder ins Wasser kam zu ihrem Stapellauf 2.0. Ich bin im Kranbecken die Leiter runtergeklettert und habe gezögert, ehe ich den ersten Schritt auf das Boot tun konnte. Dabei wusste ich, dass sie nicht umkippen kann und wird – aber das unsichere Gefühl, es war noch da.“

Aus diesem Schatten kann Regenhardt erst endgültig springen, als er 2021 einhand rausfährt an einem Tag mit ähnlichen Bedingungen wie an dem der Kenterung. Die Angst weicht der Freude und dem Stolz auf das Geschaffte, freie Bahn für schöne Segelstunden und vielleicht ganz neue Törnpläne. Groß müssen die für Vincent nicht sein, er liebt mehr die Abwechslung aus Segeln, Ankern und Baden. Entdeckt gern kleine Häfen und hinter ihnen die Inseln, gerade in Dänemark.

Das schildert er nur kurz, um rasch wieder zu dem zu kommen, was ihm während des Segelns auf seiner „Saga“ so durch den Kopf geht: Die Bilgen könnten etwas praktischer ausgelegt sein, der – nebenbei bemerkt – tadellos glänzende Fußboden in der Kajüte ist mehr als 70 Jahre alt und könnte ersetzt werden, eine neue Kühlbox will untergebracht werden und die Koje modifiziert.

Kleine Details, „die letzten fünf Prozent“ nennt er sie – fünf Prozent, die auf einem denkbar hohen Grundwert basieren und die das Schiff noch ein Stück vollkommener machen sollen.

Keine halben Sachen

Der anfangs überschaubar wirkende Schaden erweist sich als klaffende Lücke ...
Foto: Vincent Regenhardt

Nach dem Verlust des Ballastkiels wird „Saga“ komplett entkernt. Es zeigt sich: Nicht nur die Kielbolzen sind verrostet. Allenthalben hat Gerbsäure insbesondere aus dem Eichenholz den Stahl angegriffen und dessen Korrosion wiederum das Holz zersetzt. Rostspuren weisen den Weg zu den Schäden. Teils verrottet sind Kielbalken, Vorsteven, Spanten und auch die Bodenwrangen. Am Rumpf klafft zwischen den Lärchenplanken ein Riss. Das Ersatzteil-Folkeboot hat eine minimal andere Form – mit großen Auswirkungen: Im Unterwasserbereich passen Sponung und Landung an fast keiner Stelle, alle Planken müssen untereinander verleimt werden. Der Vorsteven des Spenderboots muss angeschäftet, der Achtersteven gleich ganz neu gebaut werden. Mehr als die Hälfte der Gesamtlänge der Spanten muss ebenfalls ausgetauscht werden.

Technische Daten des Folkeboot “Saga”

  • Bauwerft: Børresen
  • Baujahr: 1951
  • Kauf/Refit: 1992
  • Havarie: 2017
  • Restaurierung: 3 Jahre
  • Arbeitszeit: 5.000 Stunden
  • Kosten: 12.500 Euro
  • Heimathafen: Wackerballig

Der Artikel erschien erstmals in YACHT Classic 2/2024 und wurde für die Online-Version aktualisiert.

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