ReportageHolz und Hippies beim Port Townsend Wooden Boat Festival

Dieter Loibner

 · 31.08.2024

Bunte Flotte. Rund 300 Boote aus Holz ziehen in jedem Jahr Zehntausende Besucher an
Foto: YACHT/Dieter Loibner
Das Klassikertreffen Port Townsend Wooden Boat Festival an der Nordwestküste der Vereinigten Staaten ist relaxt, egalitär und etwas abgefahren

In Amerika sind 50 Meilen gefühlt ein Katzensprung, doch 50 Jahre gelten in diesem schnelllebigen Land als „anderthalb Ewigkeiten“. Entsprechend stolz sind die Organisatoren des Holzbootfestivals von Port Townsend – es liegt nur besagten Katzensprung nordwestlich von Seattle – mit ihrem Event bald auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken zu können und dass sie es trotz politischer und wirtschaftlicher Verwerfungen und einer Pandemie am Leben halten konnten, ohne dabei ihre Grundsätze über Bord zu werfen: Alle sind hier willkommen. Fast jedes Vehikel wird zugelassen, Hauptsache Holz. Klarlack und poliertes Messing sind nicht verpflichtend, gebügelte Uniformen bleiben im Kleiderschrank, und niemand nimmt sich allzu ernst. Wenn die Blasmusik in der Marina zum Tanz bittet, ist einfach Pause.

„Wir feiern nicht, wer wir waren, sondern wer wir immer noch sind“, sagt Jake Beattie, der dem ausrichtenden Northwest Maritime Center (NWMC) vorsteht. „Das Festival fühlt sich authentisch an, weil es dem Ort und seinen Menschen verbunden bleibt, dabei gleichzeitig intellektuell und volksnah ist.“ Seine Lieblingsanekdote liegt gut 20 Jahre zurück und handelt von einem, der mit einem Floß aus zusammengezurrten Treibholzstämmen anrückte, aufgehübscht mit einer Palette und angetrieben von einem Außenborder. „Saukomisch, aber rein technisch ein Holzboot, also okay.“

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Das NWMC, ein modernes Wassersport- und Ausbildungszentrum mit angeschlossener Holzbootwerft, wurde 2009 eröffnet. Aus Spendengeldern finanziert, wurde es an prominenter Stelle am Wasser gebaut, erstens, um Immobilienhaien zuvorzukommen, die dort Apartments hinpflastern wollten, und zweitens, um den historischen Hafen von Point Hudson für die Holzbootkultur zu bewahren. Mehr als zehn Millionen Dollar wurden aufgebracht, von Normalbürgern und Gewerbetreibenden, aber auch von Gönnern wie der Bill & Melinda Gates Foundation oder der Chandler-Familie. Letztere sind die ehemaligen Besitzer der „Los Angeles Times“ und die Verwandten von Alex Spear, dem „Vito Dumas“ gehört, ein Kutter aus der Feder des argentinischen Konstrukteurs Jorge Campos (YC 21/02). Heute beschäftigt das NWMC bis zu 120 Mitarbeiter und verwaltet eine Flotte von etwa 45 Booten. Weithin bekannt ist das vom NWMC ausgerichtete Race to Alaska, eine 750-Meilen-Tortur für Boote, die ausschließlich mit Muskel- oder Segelkraft bewegt werden.

Wooden Boat Festival ist größte Veranstaltung für Port Townsend

Ein Jahr zuvor waren beim Wooden Boat Festival rund 300 Boote zu sehen, darunter der Spitzgatter „Cito“, ein Hansen-Entwurf von 1936 (YC 18/01), die norwegische Sjekte „Havhesten“ (YC 22/02) oder das Lind-Folkeboot „Lorraine“, das hier jeder kennt. Einen Kontrast bilden außergewöhnliche moderne Fahrzeuge, etwa „Whisper“, eine LA 28, gebaut in Waren an der Müritz, oder „Electric Philosophy“, ein solarelektrisch betriebener Cruising-Kat aus Sperrholz.

Mit von der Partie ist auch „Ziska“, ein antiker Kutter mit Yachtheck, der 1903 als Krabbenfischer im Nordwesten Englands entstand und über viele Umwege nach Port Townsend gelangte (YC 20/01). Ein jüngerer Artgenosse, „Vixen“, ein 10,6 Meter langer Atkins-Entwurf aus den 1950ern, ist ebenfalls ein gern gesehener Gast. Eine vierköpfige Familie segelte damit elf Jahre lang um die Welt und wurde dafür mit der Bluewater Medal ausgezeichnet (YC 20/02).

Schonerfreunde treffen „Pacific Grace“ (43 m, Bj. 1991), die Replik eines traditionellen Grand-Banks-Schoners, die in Kanada als Schulschiff dient, oder „Fame“, einen zierlichen, nur 12,3 Meter langen Rennschoner, der bis vor wenigen Jahren im Besitz von America’s-Cup-Legende Dennis Conner war, der das Boot zum 100. Jubiläum aufwändig restaurieren ließ.

Für Port Townsend und seine etwa 10.000 Einwohner ist das Festival mit Abstand die größte Veranstaltung. Zwischen 20.000 und 30.000 Touristen und Holzbootfreunde drängen sich an drei Tagen Anfang September im winzigen Hafen von Point Hudson, um die blumengeschmückten Exponate zu besichtigen, mit Eignern Klönschnack zu halten und an Bord eingeladen zu werden. Dazu kommen Messestände, die Bausätze, Zubehör und Ausrüstung vertreiben, ein Bootsbauzelt für Kinder, eine Ruderregatta, das Schoner-Rennen und eine Wettfahrt für klassische Kleinfahrzeuge. Informationshungrige wählen aus Seminaren zu den Themen Fahrtensegeln, Bootsbau und Holzbearbeitung – inklusive Live-Demonstration für das richtige Biegen von dampfbehandelten Spanten.

Stadt hat nautische Geschichte

Besucher wundern sich manchmal über waschechte Hippies, die auch zum Inventar zählen und wie vor 50 Jahren auf abenteuerlichen Gefährten zu Land und zu Wasser anreisen. Ihre Präsenz erinnert an die Anfänge des Festivals im Jahr 1977, zwei Jahre nach dem traumatischen Ende des Vietnamkriegs, zu einer Zeit, als es für junge Amerikaner um Freiheit, Frauenrechte und gelebte Individualität ging. Wer wegwollte und Abenteuer suchte, konnte dies am Wasser tun, nur musste man sich dafür ein Boot bauen, allein oder mit Gleichgesinnten. „Wir halfen Freunden draußen an der Küste, einen Betonrumpf fertigzubekommen, und sie halfen uns beim Baumfällen für das Holzschiff, das wir in Bellingham bauten“, erinnert sich Carol Hasse, pensionierte Segelmacherin, heute Hafenkommissarin in Port Townsend. „Wir waren Hippies und träumten davon, ein Boot zu bauen und loszusegeln.“

Dass einige von ihnen in Port Townsend festmachten, war kein Zufall. Die Stadt hatte nautische Geschichte, verfiel aber in einen langen Dornröschenschlaf, weil sie nie ans Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. „Wer mit Holzwerkzeug umgehen kann, fand und findet hier Arbeit“, sagt der 80-jährige Bootsbaumeister Ray Speck, der in den 1970ern auf einem Hausboot in Sausalito lebte, direkt am Golden Gate von San Francisco. Heute ein Vorort für Topverdiener, war es damals eine Enklave für Menschen mit alternativen Lebensentwürfen und einer Vorliebe für Holzboote. Als er zum ersten Port Townsend Festival anreiste, fühlte er sich gleich zu Hause.

Die Story vom Festival wäre nicht auserzählt, ohne Tim Snyder zu Wort kommen zu lassen. Der war seinerzeit Vertriebschef beim „Wooden Boat Magazin“, das 1974 an der Ostküste startete. „Ein Haus zu bauen lernt man in einem Jahr, doch für ein Boot dauert’s mindestens zehn Jahre, daher waren Leute auf der Suche nach Informationen“, lacht der greise Snyder, der schon als Junge half, einen Blue Jay aus Sperrholz zu bauen. Später lernte er bei „Reader‘s Digest“, wie Magazinvertrieb geht, und half seinem Jugendfreund Jon Wilson, der mit einem Karton voll getippter Manuskripte ein Fachmagazin für Holzboote gründen wollte. Hefte und Abos verkauften sich blendend auf Bootsmessen, denn „die Leute hatten Geld in der Tasche, aber keine Ahnung“, erinnert sich Snyder. „Nur jeder Zehnte begann ein Bauprojekt, die anderen 90 Prozent saßen im Lehnstuhl und träumten.“

Sie waren sich einig, dass auch ein Festival hermusste, auf dem Hobbybootsbauer ihre Produkte zur Schau stellen und sich mit Gleichgesinnten austauschen konnten. Beim Small Boat Shop des berühmten, aber etwas schwerfälligen Mystic Seaport Museums in Connecticut klopften sie zuerst an, und Snyder scoutete an der West Coast. Eigentlich hatte er sich bereits für das auf dem Festland gelegene Anacortes entschieden, doch Sam Connor, ein Bootsbauer, der in Point Hudson eine Werkstatt betrieb, überredete ihn, Port Townsend einen Besuch abzustatten, was dieser auch tat.

„Ich kam von der Fähre, ging die Quincy Street hoch und fiel in die Town Tavern, eine Kneipe, die damals quasi als Wohnzimmer der Alternativkultur diente“, erinnert sich Snyder. „Dann zeigten sie mir die Stadt mit den viktorianischen Häusern und den Hafen von Point Hudson, und ich wusste, das ist der rechte Ort.“ Schließt man aus dem bisherigen Erfolg des Port Townsend Wooden Boat Festivals und hört die optimistischen Stimmen der Besucher und Organisatoren, besteht der Verdacht, dass es mindestens noch weitere „anderthalb Ewigkeiten“ überdauern wird.

Fest für Holzboot-Lover

Das Port Townsend Wooden Boat Festival ist die größte Klassikerveranstaltung in Nordamerika. Den Organisatoren geht es dabei nicht um ein elitäres Treffen Gleichgesinnter, sondern darum, die maritime Kultur rund um den Holzbootsbau jedermann, insbesondere auch Kindern, näherzubringen und erlebbar zu machen. Das geschieht durch zahlreiche Aktionen, an denen die Besucher teilnehmen können.


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