Refit-ProjektStapellauf des restaurierten Fastnet-Siegers “Tally Ho”

Morten Strauch

 · 06.05.2024

"Tally Ho" im Kran von Port Townsend, Washington
Foto: Sampson Boat Co
Sieben Jahre hat der Engländer Leo Sampson Goolden an dem 1910 gebauten Kutter “Tally Ho” gewerkt. Auf einer Ranch im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten, gegenüber von Vancouver Island in Kanada. Nun schwimmt der von Albert Strange gezeichnete Kutter wieder, und das vorläufige Ergebnis ist mehr als beeindruckend

Von so einem Mammutprojekt kann man eigentlich nur die Finger lassen. Doch Gooldens Leidensfähigkeit, gepaart mit unerschütterlichem Optimismus und einer Hands-on-Mentalität, haben das Projekt kontinuierlich vorwärtsgetrieben. Für die Finanzierung hat er seinen Youtube-Kanal, den mittlerweile knapp 500.000 Abonnenten verfolgen, alle zwei Wochen mit einem aufwändigen Video gefüttert. Mit seinem Enthusiasmus und seinem britischen Humor begeistert der Bootsbauer dabei auch viele Menschen, die nichts mit Segeln oder Bootsbau zu tun haben.

Einer der unzähligen Kommentare seiner Fans: “Warum habe ich gerade sechs Jahre lang einem Mann beim Bau eines Bootes zugesehen? Ich glaube, jetzt verstehe ich es. Es liegt daran, dass Leo ein so meisterhafter und müheloser Lehrer ist. Er hat mir beigebracht, Boote zu lieben, feine Holzbearbeitung zu lieben und das Segeln zu schätzen.”

Auch der Stapellauf samt der Zusammenfassung der letzten Nacht an Land, in der noch pausenlos gearbeitet wurde, ist in einem sehenswerten Video zu sehen. Mit absoluter Hingabe und Detailversessenheit wird bis zur letzten Minute gemalt und verziert, bis der Kutter endlich im Kran hängt. Da die Arbeiten trotzdem noch lange nicht abgeschlossen sind, wird es noch viele weitere Videos für seine treue Anhängerschaft zu sehen geben.

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Ein Leben voller Abenteuer

Gooldens gesamte Lebensgeschichte gleicht einem Drehbuch für einen packenden Film. Nachdem er zwei Jahre lang als Straßenmusiker durch Südostasien, Australien und Neuseeland getingelt ist, beschließt er, kurzerhand eine Bootsbaulehre in seiner Heimat anzufangen. Die Lehrzeit ist hart und anfangs unbezahlt, bereitet ihn aber mental auf seine späteren Abenteuer vor. Monatelang schlägt er sich mittellos durchs Leben und lebt dabei fast wie ein Clochard. Dank nächtlicher Nebenjobs gelingt es ihm trotzdem, etwas Geld zu sparen, das er in einer Katerlaune für sein erstes Boot, eine Manta 19, gleich wieder ausgibt.

Eigentlich will er mit dem 5,80 Meter langen Schwertboot den Atlantik überqueren, aber auf Zureden tauscht Goolden sein Erstgefährt schließlich gegen ein morsches Folkeboot. Dieses motzt er auf einer Weft in Cornwall wieder auf und segelt 2015 tatsächlich einhand ohne GPS und Motor über den Großen Teich. In der Karibik angekommen, gewinnt er mit seinem Folke auch noch die Antigua Classic Yacht Regatta und wird als bester Jung-Skipper ausgezeichnet. Später arbeitet er als Maat auf dem Luxus-Dreimastschoner “Adix” und skippert gar eine 90-Fuß-Ketsch von Antigua über Grönland nach Europa. Da hatte er schon den RYA Yachtmaster Ocean erworben und ist befugt, Segelyachten bis 200 Tonnen zu führen.

Über sein Restaurationsprojekt mit der “Tally Ho” sagt er: „Das anzugehen war schon beängstigend. Aber ich bin Optimist, sonst hätte ich das nicht gemacht. Dabei hatte ich dasselbe Gefühl wie seinerzeit, als ich das Folke kaufte. Oder als ich den Atlantik überquerte. Oder mit 18 Jahren allein nach Indien aufbrach. Alles furchteinflößende Entscheidungen, die mich aber in meinem Leben am Schluss am meisten befriedigten.”

Die Geschichte der ”Tally Ho”

Entworfen von dem bekannten englischen Konstrukteur und Künstler Albert Strange, lief der Gaffelkutter 1910 bei Stow & Son im südenglischen Shoreham-by-Sea als “Betty” vom Stapel. In Auftrag gegeben wurde er von dem britischen Fahrtensegler Charles Hellyer, der ein Schiff wollte, mit dem er auch fischen konnte. Drei Jahre später ließ sich Hellyer ein größeres Schiff konstruieren und verkaufte “Betty” wieder. Über Umwege gelangte sie 1927 in den Besitz von Lord Stalbridge, der sie in “Tally Ho”, einen Ausruf bei der Fuchsjagd und eine Bezeichnung für schnelle Kutschen, umbenannte. Nach einer Modifizierung nahm sie im selben Jahr an der dritten Auflage des Fastnet Race teil, in deren stürmischem Verlauf alle bis auf zwei Yachten aufgaben. Nur der Alden-Schoner “La Goleta” und die “Tally Ho” beendeten das Rennen und lieferten sich einen packenden Kampf um Platz eins. Auch wenn “Tally Ho” 52 Minuten später im Ziel war, reichte das locker zum Sieg nach berechneter Zeit. Fischen und Fahrtensegeln blieben in den folgenden Jahrzehnten die dominanten Verwendungen der Yacht, bis sie irgendwann im Südpazifik nahe der Cook-Inseln auf ein Riff lief. Schwer beschädigt wurde sie geborgen, repariert und umgebaut, um an der US-Westküste als Fischereifahrzeug zu dienen. Nach der Außerdienststellung verfiel das Schiff zum Wrack. Mit Hilfe der Albert Strange Association und von Leo Goolden, der es 2017 für einen Symbolpreis von einem englischen Pfund erwarb, konnte das endgültige Ende abgewehrt werden. Sieben Jahre später läuft sie nun erneut vom Stapel.

Technische Daten

  • Konstrukteur: Albert Strange
  • Werft: Stow & Son
  • Baujahr: 1910
  • Länge: 14,5 m
  • Breite: 4,0 m
  • Tiefgang: 2,3 m
  • Verdrängung: 28 t
  • Ballast: 12 t
  • Segelfläche: 154 qm

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