“Recluta”Germán Frers baute über 70 Jahre alte Konstruktion als Hommage an seinen Vater

Jochen Rieker

 · 07.07.2024

Germán Frers ließ die von seinem Vater konstruierte Yacht bauen. Auf Regatten nimmt er Kinder und Enkel mit in die Crew
Foto: YCC/Studio Borlenghi
Auf Papier entstand die 67-Fuß-Ketsch „Recluta“ schon 1943. Ihr Debüt gab die Konstruktion von Germán Frers Sr. jedoch erst im Herbst 2021. Die Geschichte einer lange Unvollendeten

Es ist nicht einfach, Ende September im alten Stadthafen von Saint-Tropez mit einer klassischen Yacht aufzufallen. Denn vis-à-vis vom „Café de Paris“ reiht sich abends während der Kultregatta „Les Voiles“, was Rang und Namen hat in der Szene: die „Moonbeam of Fife“ von 1903, „Tuiga“ von 1909, die New York 50 „Spartan“ von 1913. Historische Achter und Zwölfer gehen in diesem Freiluftmuseum des frühen Yachtbaus beinahe unter. Ein Boot aber, das jüngste von allen, sorgt vorigen Herbst immer wieder für kleine Prozessionen am Kai: „Recluta“.

Die Crews der Konkurrenz bleiben ebenso andächtig vor ihr stehen wie Schaulustige und Shiplovers, die teils von weither angereist sind. Und das aus gutem Grund. Die 20-Meter-Ketsch, die in der Wasserlinie nur gut 14 Meter misst, gilt selbst in diesen Kreisen als absolute Rarität. Der ansatzlose Schwung, mit welchem der Zedernholz-beplankte Rumpf in den herzförmigen Spiegel übergeht. Die zum Topp hin verjüngten Masten mit ihren fein geschmiedeten Beschlägen. Die gerade verlegten Teak­leisten, die das Deck des ohnehin impo­santen Bootes noch größer, noch länger wirken lassen. Die flachen Aufbauten. Die ebenmäßige Lackierung. Alles an dieser Yacht atmet den Geist des Besonderen. Selbst die übergroßen Dorade-Lüfter und das allzu profane Edelstahl-Steuerrad im Achtercockpit, selbst Maxi-Displays, Grinder-Säulen und Dyneema-Laschings mindern nicht die Authentizität dieses Gesamtkunstwerks. „Recluta“ ist, egal aus welchem Winkel betrachtet, egal wer in ihrer Nähe liegt, ein Boot zum Niederknien.

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Und doch ist nicht nur die schiere Ästhetik, die sie heraushebt. Nicht der Quasi-Neuzustand dieses Klassikers. Auch nicht allein der Name ihres Eigners oder die Tatsache, dass er am zweiten Regattatag in seiner Klasse gleich mal Platz 1, am Ende der Woche Platz 3 belegt. Das Besondere ist, dass es bis zu diesem Moment bald acht Jahrzehnte gedauert hat.

Die Geschichte der „Recluta“ ist mit derjenigen der Familie Frers verbunden

Die Geschichte der „Recluta“ reicht sogar noch weiter zurück, 120 Jahre insgesamt, und sie steckt voller teils tragischer, teils trauriger Wendungen. Vor allem aber ist sie eine Parabel für die Leidenschaft, die Segler, Yachtbauer und Konstrukteure eint. Eine Begebenheit, die – wüsste man nicht, dass sie sich tatsächlich genau so zugetragen hat – unmöglich wahr sein könnte. Und natürlich, und vor allem, ist es die Geschichte der fabelhaften Familie Frers.

Der Mann, dem die Ketsch gehört, der sie hat bauen lassen, trägt diesen Namen. Es ist kein Geringerer als Germán (gesprochen: xer’man) Frers, der seit Jahrzehnten jede Hallberg-Rassy und fast jede Swan entwirft. Seine Tochter Zelmira, die den Bau mit Kamera und Notizbuch begleitet hat, heißt so, ihr Bruder Mani ebenso, der in Saint-Tropez zur Familiencrew gehört, nebst seinem Sohn.

Selbstverständlich hört auch „Reclu­tas“ Konstrukteur auf diesen Namen: Germán Frers, den sie daheim heute noch liebevoll „Papa“ nennen oder, respektvoller, „Don Germán“. Er, der Senior, begann schon 1925 Yachten zu entwickeln, äußerst erfolgreich sogar. Wie so viele Größen der frühen Bootsbau-Ära war er in erster Linie Segler, in zweiter Linie Autodidakt. Er studierte zwar einige Semester Ingenieurwissenschaften, legte aber keinen Wert auf einen Abschluss. „Er sah sich eher als Zeichner, als Künstler denn als Ingenieur“, sagt sein Sohn Germán im Gespräch mit der YACHT.

Der Filius war noch nicht einmal ein Jahr alt, als sich im Februar 1942 bei der South Atlantic Ocean Regatta zwischen Buenos Aires und Mar al Plata eine folgenschwere Havarie ereignet. In der zweiten Nacht nach dem Start setzt der Argentinier Charlie Badaracco eine Wende zu spät und kommt auf dem Flach vor Cabo San Antonio mit seiner 1901 bei Camper & Nicholsons gebauten Ketsch „Re­cluta“ fest. Skipper und Crew gelingt es zwar, sich wieder freizu­segeln, doch in der Hektik des Manövers geht ein Mannschafts­mitglied über Bord.

Mit ihren 67 Fuß wäre die neue „Recluta“ die bis dahin größte je in Argentinien gebaute Privatyacht gewesen

Für den Rettungsversuch müssen die anderen noch einmal umkehren, erneut aufs Flach zuhalten. Sie können ihren Kameraden zwar wieder aufnehmen, doch dabei laufen sie ein zweites Mal auf Grund – und diesmal gab es kein Entrinnen. Während sich die Crew an Land retten kann, wird „Recluta“ von Wind, Flut und Brandung immer höher auf den Strand getrieben. Alle Versuche, sie in den folgenden Tagen zu bergen, schlagen fehl. Was ihr Ende hätte sein können, noch dazu ein unrühmliches, sollte tatsächlich ein Neuanfang werden. Es dauert nämlich nicht lange, bis Charlie Badaracco beschließt, eine neue, an den Linien der alten orientierte Ketsch in Auftrag zu geben. Zwischen 1943 und 1944 zeichnet Germán Frers, der Senior, nicht weniger als 25 Pläne für ihn, darunter mit Wasserfarben kolorierte Risse, die bis in die siebziger Jahre an den Wänden seines Studios hängen und bis heute im Firmenarchiv verwahrt sind.

Mit ihren 67 Fuß würde die neue „Recluta“ die bis dahin größte je in Argentinien gebaute Privatyacht werden – Stolz einer ganzen Nation und Prunkstück ihres im Land hoch respektierten, international aber noch kaum bekannten Konstrukteurs. Das Ma­gazin „Yachting Argentino“ berichtetet auf mehreren Seiten über das Projekt. Dann freilich, in den Wirren des Weltkriegs und der dadurch bedingten Knappheit an Rohstoffen, strandet „Recluta“ erneut, wenn auch diesmal nur im über­tragenen Sinne. Weil Blei, Kupfer und Bronze fehlen, muss der bereits begonnene Bau immer wieder verschoben werden – bis er irgendwann ganz eingestellt wird.

Gut 70 Jahre lang existiert das Boot fortan nur auf Papier, in der Schublade eines hölzernen Archivschranks – und in Frers’ Er­innerung. „So schöne Linien“, hört sein Sohn den Alten sagen, als dieser wieder einmal die Blaupausen in seinem Büro betrachtet. „Was für ein Jammer, dass sie nie gebaut wurde.“

Da ist der Wunsch Germáns nach einer Yacht, auf der er mit Familie und Freunden segeln kann

Es müssen solche Momente gewesen sein, die den inzwischen auch schon 81-jährigen „Junior“ dazu bewogen haben, das Werk seines Vaters schließlich doch noch zu vollenden. Zufall spielte wohl auch eine Rolle, wenn man nicht gar von Fügung sprechen mag. Jeden­­falls kommt einiges zusammen, als das Projekt „Recluta“ 2016 heimlich, still und leise wieder Fahrt aufnimmt. Da ist die Werfthalle, die Germán Frers seinem Verein gestiftet hat, dem Yacht Club Argentino San Fernando, nur 20 Minuten entfernt von seinem Haus. Sie steht gerade leer. Da ist Tito Szyjka, 84, der begnadete Tischler und Freund, der schon seit den sechziger Jahren für die Frers Boote baut. Er und seine beiden Enkel sowie eine Handvoll anderer fähiger Handwerker stehen just ohne Aufträge da.

Da ist der Wunsch Germáns nach einer Yacht, auf der er mit Familie und Freunden segeln kann, eine mit weichen, harmonischen Linien und sanften Bewegungen im Seegang. Ein altersgerechtes Boot, wenn man so will. Und dann ist da noch ein Motiv, viel weniger gut zu greifen, und doch nicht weniger bestimmend für den Entschluss, „Recluta“ zu bauen. Etwas, das Ger­mán Frers seine gesamte Karriere über Antrieb gewesen ist: „Begreifbar zu machen, was mein Vater in Argentinien schon früh aufgebaut hat, so weit weg von den traditionellen Zentren des Yachtbaus.“

Von dem Moment an, in dem er die alten Risse digitalisieren und „Re­cluta“ am Rechner in 3D auferstehen lässt, wird ihn der Neubau fünf Jahre lang fordern und fesseln. Bald jeden Tag taucht er in der Halle auf, um mit Tito und den anderen über die Arbeiten zu sprechen, über Details, über den Zeitplan, manchmal auch über dies und das.

Obwohl “Recluta” eine Hommage an den Vater werden soll, wird es kein Original-Nachbau

Da steht er dann, diese Ikone von einem Konstrukteur, groß gewachsen, seinen Vorarbeiter um mehr als Haupteslänge über­ragend, die Hemdärmel meist hochgekrempelt, die Gestik zupackend, der Blick entschlossen, bisweilen aristokratisch-streng. Ein Mann, der am Ruder eines 120-Fuß-Maxis von Nautor auch als Eigner durchgehen würde, nicht nur als „Inge­niero“. Und doch erlebt ihn Zelmira, seine Tochter, „wie einen kleinen Jungen, der an seinem Lieblingsort die Zeit vergisst“.

Obwohl das Boot, das da auf Kiel gelegt wird, eine Hommage an seinen Vater werden soll, wird es kein Original-Nachbau. Schon die alten Pläne waren eine Replika, eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Ketsch von Camper & Nicholsons. Und so erlaubt sich auch der Filius „ein paar Freiheiten“, wie er der YACHT sagt. Die Plicht für den Rudergänger zeichnet er breiter, die Luken größer, Kajütaufbau und Niedergang länger. Auch technisch-strukturell wählt er teils andere Wege.

So lässt er Kielschwein, Spanten und Steven nicht aus dem Vollen tischlern, sondern in 3D-gefrästen Formen aus Leisten ver­leimen. Als Holz setzt er heimisches Viraró ein, hierzulande nahezu unbekannt, wegen seiner hohen Dichte und Ver­rot­tungs­beständigkeit aber eine ausgezeich­nete Wahl. Beplankt wird der Rumpf mit Zeder. Das Deck lässt Frers zweilagig bauen: Über die Decksbalken kommt zunächst eine Sperrholzschicht; sie wird vorgefertigt und per Mobilkran auf den Rumpf gelegt. Darauf folgt ein Teakdeck mit fast handbreiten Stäben, klassisch Leiste für Leiste verlegt.

Auch beim Mastbau geht der Konstrukteur eigene Wege. Er beauftragt eine deutsche Kollegin, Juliane Hempel, mit dem Rigg-Design. Die von ihr gezeichneten Holzmasten aus feinster Sitka-Spruce gelten in der Szene als unübertroffen. Den Zuschlag erhält sie 2018 in Saint-Tropez, als sie abends mit Germán Frers im Café die Details bespricht. Für Hempel ist es „ein Ritterschlag“, wie sie sagt; es habe sie „sehr berührt“, für so einen großen Yachtdesigner zu arbeiten. „Und dann ist das auch noch so ein toller Mensch!“

Germán Frers’ Vater, der Architekt der “Recluta”, wäre stolz gewesen

Wo „Recluta“ am stärksten vom Ori­ginal abweicht, das wird für die meisten Bewunderer unsicht­bar bleiben. Es ist der Ausbau, ohnehin der Bereich mit dem größten Interpretationsspielraum in der Klassikerszene. Um das Boot auch für längere Urlaubstörns einsetzen zu können, sieht Frers mehr Stehhöhe und ein besser nutzbares Kajütlayout vor. Zwar kann er die im Vergleich zu modernen Yachten typische Enge nicht wegkonstruieren. Für vier bis sechs Gäste aber schafft er eine behagliche, stilvolle Umgebung. Sogar eine Doppelkoje im Achterschiff bringt er unter, wie sie heute auf Fahrtenbooten Standard ist.

Um nicht zu schwer zu werden, bestehen Schotten und Türen aus formverleimtem Kiri, einem besonders leichten, ebenmäßigen und kostspieligen Holz. Furniert ist es mit heller Kastanie, eine seltene und aparte Wahl. Mit den weiß abgesetzten Decks­balken, den weißen Polstern und dem natürlichen Licht, das durch die Skylights fällt, wirkt das Boot freundlich, bar jeder Düsternis. Charlie Badaracco, der es einst beauftragt hatte, wäre bei dem Anblick wohl sehr stolz gewesen. Germán Frers’ Vater, der Architekt, zweifellos auch.

Und der Junior, der das alles am Ende ins Werk gesetzt hat? Der sich keine Hallberg- Rassy 57 und keine Swan 65 bestellt, sondern „Recluta“ verwirklicht hat – wie denkt er über die Ketsch, über dieses generationsübergreifende Projekt? Wie war es für ihn, die Spuren des Vaters wiederzuentdecken? „Es war aufregend, seine Handschrift und seine Berechnungen auf den Plänen zu sehen. Noch einmal zu konstruieren, was er gezeichnet hatte. Es ist eine Quelle großer Zufriedenheit. Eine Art, ihm nahe zu sein. “Am Ruder in Saint-Tropez, umgeben von Freunden und Familie, konnte man hinter seiner Konzentration mitunter einen Ausdruck tiefer Erfüllung erkennen.

Schon auf der Überführung von Menorca nach Antibes habe er „Recluta“ lieben gelernt, sagt Frers, der Hunderte Yachten gezeichnet hat. „Wer weiß, vielleicht werde ich sie für immer behalten.“

Technische Daten der “Recluta”

 | Zeichnung: Frers | Zeichnung: Frers
  • Konstrukteur: Germán Frers Sr.
  • Rumpflänge: 20,34 m
  • Wasserlinienlänge: 14,61 m
  • Breite: 4,56 m
  • Tiefgang (Kielschwert o./u.): 2,36/4,80 m
  • Theor. Rumpfgeschwindigkeit: 9,3 kn
  • Gewicht (leer/segelklar): 33,0/36,4 t
  • Masthöhe über WL: 25,30/16,70 m
  • Großsegel/Besan: 73,5/30,4 m2
  • Genua 3 (97 %): 71,2 m2
  • Segeltragezahl (STZ): 4,1

Das Buch zum Boot

yacht/buch-the-story-behind-recluta-jriimg-0810-1_1ad8bb9be0e7d3607db77254a135f99eFoto: YACHT/J. Rieker

Die Entstehung „Reclutas“ vom Plan zur segelfertigen Yacht dauerte eine kleine Ewigkeit. Zelmira Frers hat den Bau vier Jahre lang begleitet und ein wundervolles Buch darüber veröffentlicht. Es ist handwerklich wie inhaltlich selbst ein kleines Kunstwerk, weil es auf mehreren Ebenen die Faszination vermittelt, die ihren Großvater und Vater zu Yachtkonstrukteuren machte. Absolut sehens- und lesenswert!

258 Seiten, Leineneinband, 75 Euro, Direktbezug: thestorybehindrecluta.com

Der Artikel erschien erstmals in YACHT 05/2022 und wurde für die Online-Version aktualisiert.

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