PorträtTommy Loewe und sein Boot – zwei echte Typen

Lasse Johannsen

 · 10.09.2023

Die Kreuzeryacht von Abeking & Rasmussen aus dem Jahr 1923
Foto: YACHT/N. Krauss
An Bord seiner „Herta“ fühlt sich Holzbootsbauer Tommy Loewe aus Hamburg am wohlsten. Das Schiff ist im wahrsten Wortsinn ein Original, genau wie der Eigner

„Das Schicksal hat mir das Schiff an die Hand gegeben!“ Tommy Loewe sitzt sichtlich vergnügt in der Plicht seiner „Herta“, die er mit Mitseglerin Dana und einem reich gedeckten Frühstückstisch fast vollständig ausfüllt. Es ist Hochsommer an der Schlei. Am Steg der Werft von Willy Stapelfeldt fällt die kleine Yawl inmitten zahlreicher Klassiker gar nicht auf. Aber ihr Skipper, der gestikulierend die Geschichte erzählt, an deren Ende er hier in Grauhöft an Bord gelandet ist und frühstückt. Wenn er nicht gerade erzählt.

Wer sich vorsichtig über das schmale Achterdeck am filigranen Besan vorbei an die Ducht bugsiert, hinter einer Mug Kaffee an der Back Platz nimmt und Eigner Loewes Geschichten lauscht, dem wird schnell klar, dass er hier auf zwei echte Originale trifft. Einen gelernten Holzbootsbauer Anfang 60 und seinen 1923 bei Abeking & Rasmussen fertiggestellten, zehn Meter langen „Tourenkreuzer Typ Frisia“, mit dem er sich vor Kurzem erst seinen lang gehegten Herzenswunsch erfüllt hat.

„Es sollte ein Holzschiff sein, nicht zu groß, das vor dem Krieg gebaut wurde und etwas Besonderes ist“, sagt Loewe, „aber bewohnbar“. Denn das war die H-Jolle „Herta II“, mit der er vorher 15 Jahre lang auf der Alster gesegelt ist, nicht.

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Gemessen an seiner Wanderjolle, die Loewes neuer Liebe ihren heutigen Namen gab, ist die „Herta“ ein Palast. Gleich neben dem Niedergang befinden sich Lotsenkoje sowie Pantry mit Spüle und kardanisch aufgehängtem Kocher. Der Salon beherbergt Sofakojen, Tisch und Schapps. In der Vorpiek sind WC und Rohrkoje untergebracht, die einst für den bezahlten Jungen vorgesehen war.

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Ein Klassiker mit dem Platz einer Puppenstube

Das Vorhandensein all dessen, was im Baujahr als standesgemäßer Komfort galt, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einrichtung im Bauch der „Herta“ das Format einer Puppenstube hat. Die Abmessungen sprechen für sich. Ein Wohnzimmer auf vier Quadratmetern mit Dach in Schulterhöhe führt zwangsläufig zur sprichwörtlichen Gemütlichkeit.

Die Risszeichnungen Henry Rasmussens zeigen trotz des kleinen Formats eine veritable Hochseeyacht. Genau, was Loewe suchte, als er der „Aeolus“, so hieß seine „Herta“ damals, erstmals ansichtig wurde. Nach einem Atlantiktörn auf „Peter von Seestermühe“ im Frühjahr 2021 sei ihm die Alster schlagartig zu klein vorgekommen. „Ich saß da auf meinem Boot und dachte: ‚Das kann doch nicht alles sein.‘“

Eine kleine Erbschaft hilft bei dem Entschluss, den immer öfter präsenten Tagtraum in die Tat umzusetzen und sich auf die Suche nach einem seegehenden Schiff zu machen. Aus Holz soll es sein, aber kein Restaurierungsfall, und eine echte Type, so wie er. Erzählt der Hamburger seine Lebensgeschichte, dann fängt er mit dem Blankeneser Jungen an, der Ende der 1960er Jahre Eigner zu ihren Jollen im Bojenfeld am Elbufer rudert.

Loewe liebte schon immer Holz

Im Mühlenberger Segel-Club besteigt er besegelbare Dingis und Jugendkutter und landet schließlich im Piraten, mit dem es im Sommer kreuz und quer durch Dänemark geht. Prägende Jugendjahre voll Freiheit. „Die Eltern haben nur gesagt: ‚Lasst die Jungs mal!‘ Das war cool!“

Nach dem Abitur lernt der „Holzfreak“ Bootsbau bei Bieritz, seglerisch geht es auf der „Elan“ von Pantaenius-Chef Harald Baum weiter, der ihn ins Hochseesegeln einführt und als Bootsmann auf Albert Bülls „Saudade“ vermittelt.

„Da habe ich dann den Duft der weiten Welt gerochen, auf Mallorca zwischen all den Bootsleuten aus Frankreich, Amerika, England und so“, sagt Loewe mit breitem Grienen und macht Andeutungen über „dolle Sachen“, die er erlebt habe.

Beruflich verschlägt es ihn später nach Süddeutschland, wo er Libera segelt und seine Leidenschaft für Regatten entdeckt. Zurück in Hamburg, frönt er ihr auf besagter H-Jolle, die ihm 2003 zuläuft und die er seither auf der Alster segelt, wenn er nicht als Regatta-Crew auf Klassikern an den einschlägigen Treffen der norddeutschen Szene teilnimmt.

Loewe findet seine große Liebe

Heute macht Loewe seinen eigenen Klassiker seeklar. Es ist der zweite Sommer an Bord, und die Handgriffe sitzen. Tommy Loewe trägt bretonisches Fischerhemd und weinrote Dockermütze und erzählt ohne Unterbrechung, während er an Deck arbeitet. „Ich war auf den Schlag verliebt“, beschreibt er seine erste Begegnung mit der damaligen „Aeolus“ im Frühsommer 2021 im Kieler Plüschowhafen. „So ein hübsches Boot, liebevoll restauriert, und doch sieht man ihm die fast 100 Jahre an. Eine traumhafte Linie, das Deck gerade mal 30 Zentimeter über Wasser, ein lang auslaufendes Yachtheck und ein kleiner Bugspriet, großer Hauptmast, kleiner Besan. Unter Deck alles neu, aber liebevoll im Stil der 1920er Jahre gehalten.“

Und dann die Bauweise. Der Rumpf aus Lärche auf Eichen- und Stahlspanten, der neue Vorsteven aus 300-jähriger Krummeiche, das Dach aus Carolina Pine, Kajütwände, Deck und Leibhölzer aus Teak, Innenausbau aus Mahagoni, Bodenbretter aus Eiche und Spieren aus Spruce.

Die Kaufentscheidung macht sich Loewe trotzdem nicht leicht. Er möchte seine Frau im wahrsten Wortsinn mit ins Boot holen und rechnet auch sorgfältig durch, ob Liegeplatz, Versicherung und regelmäßige Erhaltungsaufwendungen zu seinem Budget passen. Die Zusagen von Werft und Winterlager und das Zuraten mehrerer Segelfreunde geben schließlich den Ausschlag.

Loewe bereut den Kauf nicht

Heute steht Eigner Loewe glücklich am Ruder und bugsiert sein Schiff unter Maschine aus der Box. Es ist fast wie eine Verwandlung, als die kleine Yawl sich zwischen den größeren Booten hindurch aus dem Hafen bewegt und vor der Kulisse der Uferlandschaft unter Segel geht. Des optischen Maßstabs ihres Hafenumfelds beraubt, wirkt sie, vom Steg aus betrachtet, mit jedem Kabel Abstand größer und wächst wie der Scheinriese Herr Tur Tur aus Michael Endes Kinderbuch „Jim Knopf“, bis ihre Silhouette am Horizont den Eindruck vermittelt, sie sei doppelt so groß.

An Deck stehen die Mitsegler auf dem Boden der Tatsachen und versuchen, sich auf der kleinen Fläche nicht umzurennen, während die große Genua gesetzt und die Schoten dichtgeholt werden. Als das Leuchtfeuer Schleimünde querab peilt, der Wind um die Ecke der Mole in das riesige Segel bläst, schmiegt sich „Herta“ in die See.

Alle Segel stehen, die Sonne bringt den von der überkommenden Gischt nassen Lack zum Glänzen, und in den Ohren klingt es wie ein Lied von Fernweh, als die kleine Yawl geräuschvoll sechs Tonnen Salzwasser vor sich herschiebt.

Tommy Loewe sitzt derweil am Ruder und strahlt tiefste Zufriedenheit aus. „Mir ist eine Preziose vor die Füße gefallen, in die der Voreigner unglaublich viel Liebe und Aufwand gesteckt hat.”

Es ist mir fast peinlich, mich in dieses gemachte Nest zu setzen“

Der Klassiker hat eine bewegte Vorgeschichte

Der Voreigner heißt Thomas Koebke. Er übernahm die damalige „Aeolus“ 2002 als Restaurierungsprojekt und versetzte sie in den Jahren 2006 bis 2008 mit einem Bootsbauer in rund 4.500 Stunden wieder in den Originalzustand von 1923.

Damals lief das Schiff als Baunummer 1791 bei A&R in Lemwerder vom Stapel. Anders als ihre vier in den Jahren 1920 bis 1924 gebauten Schwesterschiffe vom Typ „Frisia“ ohne Motor und mit Hochtakelung. Auftraggeber war ein Herr Dr. Heimann aus Berlin. Er nannte das Schiff „Hai“. Viel mehr ist aus dessen ersten Lebensjahren nicht überliefert. Nach dem Krieg lief es als „Raja IV“ unter NRV-Stander und schließlich als „Aeolus“ unter dem Hamburger Eigner Böning, der Reisen bis nach Oslo und Stockholm segelte, in der Nachkriegszeit geradezu exotische Fernziele.

Nach Bönings Tod – er verstarb 1968 auf einem Törn an Bord – übernahm seine Tochter das Regiment über „Aeolus“ und bereederte die Yawl vom Heimathafen Niendorf aus. Nach fast 30 Jahren Segelei übergab sie das geliebte Schiff einer Freundin, und diese es in die Obhut einer Werft.

Dem Klassiker wird neues Leben eingehaucht

Hier gerät das Projekt ins Stocken und schließlich in Vergessenheit – bis Koebke sich der Sache annimmt. Zunächst mit aufwändigen Recherchen zu Geschichte und Bauweise seiner neuen Passion und Vorbereitung der Arbeiten. Er treibt die Original-Pläne auf, findet einen geeigneten Platz für das Projekt, einen Holzbootsbauer, der helfen kann, und macht ein Schwesterschiff am Bodensee ausfindig, dessen Eignerin ihn willkommen heißt, sich ein Bild vom Originalzustand zu machen.

Im Mai 2006 begannen schließlich unter einem einfachen Planendach die Arbeiten. Die Innenausbauten sind zu diesem Zeitpunkt schon vollständig entfernt und leider teilweise auch verloren gegangen. Nun machen sich Koebke und sein Bootsbauer über den mehr als 80 Jahre alten Rumpf her. Seine Erinnerungen hat er in einer Dokumentation der Arbeiten festgehalten.

Danach waren Anfang der 1990er Jahre bereits der rotte Holz-Kiel und die unteren drei Gänge der Lärchenbeplankung gewechselt worden. „Leider wurden dabei die Füße der Eichenspanten zerbohrt, sodass zunächst eine Anzahl von Spantfüßen neu lamelliert und eingepasst werden mussten, bevor die sandgestrahlten und frisch verzinkten Bodenwrangen ihren Platz wieder einnehmen konnten“, so Koebke, dessen Bemühungen um den Erhalt seiner „Aeolus“ durch zahlreiche solcher unfachmännisch ausgeführten Arbeiten vergangener Zeiten erschwert werden.

Koebke und sein Bootsbauer hingegen geben sich nicht mit Halbheiten zufrieden. Sie tauschen Steven und Kajütdach, überholen den Aufbau aus Teak und stellen neue Schottwände im Schiff auf. Ihr Credo dabei lautet, so viel wie möglich von der Original-Substanz zu erhalten. Das Schiff soll nicht rekonstruiert, sondern behutsam in den Zustand des Baujahres versetzt werden, ohne ihm seine sichtbare Lebensgeschichte zu nehmen. „Stilvoll und fachgerecht“ wird Gutachter Uwe Baykowski ihre Bemühungen später nennen.

Eine Regatta als Ansporn

Als der Rumpf im August 2007 durchsaniert ist, reift die Idee, ein Jahr später, zum 85. Geburtstag des Schiffes, an den German Classics teilzunehmen. Ein ehrgeiziges Ziel, das noch mal richtig Schwung in die Sache bringt. Die Einrichtung entsteht nach dem im Original erhaltenen Vorbild des Schwesterschiffes vom Bodensee neu. Unter Deck sind neben den bootsbauerischen Aufgaben aber auch die Rätsel der Technik neu zu lösen, und es kommt ein neuwertiger Yanmar an Bord.

Tatsächlich hängt „Aeolus“ im August 2008 im Kran, aufmerksam beobachtet von mit Sektgläsern bewaffneten Freunden des Eigners, die zum zweiten Stapellauf geladen sind und nun staunend miterleben, wie die herausgeputzte Jubilarin erst einmal auf Tiefe geht. Die erste Nacht an Bord verbringt Koebke, beleuchtet vom strahlenden Vollmond, wildromantisch neben laufenden Pumpen. Doch nach drei Tagen ist die Bilge trocken, und nach einer Woche erfolgt der erste Probeschlag.

Gemeinsam mit seiner Frau verbringt Thomas Koebke in den Folgejahren viele schöne Stunden an Bord. Sie besegeln an den Wochenenden und im Sommerurlaub die westliche Ostsee, doch nach guten zehn Jahren wird der Wunsch nach etwas mehr Wohnkomfort Vater des Gedankens, sich auf die Suche nach einer geeigneten Nachfolgerin für „Aeolus“ zu machen – an deren Ende die Eignerschaft Tommy Loewes beginnt.

Loewe hat große Pläne

Loewe hat ein Leuchten in den Augen, als er jetzt an der Pinne sitzt und von seinen seglerischen Vorhaben erzählt. Mit der Frau die nähere Umgebung des Heimathafens erkunden, mit Freunden an den Start der einschlägigen Klassikerregatten gehen oder auch mal zu einer längeren Reise aufbrechen, wenn sich jemand findet, der gern mitkommen möchte. Denn seine „Herta“ soll ihn nicht zuletzt mit Gleichgesinnten zusammenbringen. „Es geht mir auch darum, mit dem Schiff in einer Gemeinschaft dabei zu sein“, sagt Loewe, der sich auch ehrenamtlich im Freundeskreis Klassische Yachten engagiert.

Die Bilanz der ersten Saison von „Herta“ unter ihrem quirligen Neueigner sieht im Herbst dann auch wirklich bunt aus. Die Abenteuer in ihrem Kielwasser reichen von Wettfahrten bis Einhandtörns. Es gab Motoraussetzer, Kabelbrand, Leinen im Propeller und Grundberührung, Nächte vor Anker und unter Segeln, harte Starkwind-Kreuz und Flauten-Dümpelei.

„Wer Atmosphäre will, muss Einsatz zeigen“

So lautet Loewes ungewohnt knapper Kommentar. Und dass er selbst nicht erwartet hätte, dass es so viel Einsatz werden würde. Womit er auch auf die Winter anspielt, die er schon mit Arbeiten an seiner „Herta“ verbracht hat. Er nennt diese Jahreszeit seine zweite Saison und sagt, dass er gern nach Grödersby fahre, wo das Schiff dann steht – im alten Kohleschuppen von Bootsbaumeister Niels Engel.

Es sei Entspannung pur, sich hier der Pflege seines Klassikers zu widmen, sagt Loewe, der auch genießt, dort unter seinesgleichen zu sein. Ein Abtauchen in eine, in seine Welt, die noch überwiegend analog ist, in der es nach Holz riecht und wo man miteinander vor allem im Gespräch kommuniziert. Wie hier an Bord, auf „Herta“, Ex-„Aeolus“, mit der ihr neuer Eigner schon so verwachsen scheint, als hätte es das Duo immer gegeben.

Technische Daten „Herta“, Ex-„Aeolus“

Klassiker RissFoto: Privat

Kreuzeryacht Typ „Frisia“ – Abeking & Rasmussen 1923

  • Material Lärche/Eiche
  • Gesamtlänge 10,40 m
  • Rumpflänge 9,89 m
  • Wasserlinienlänge 7,00 m
  • Breite 2,34 m
  • Tiefgang 1,40 m
  • Verdrängung 6,3 t
  • Segelfläche 55,5 qm

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