„Overlord“100er-Seefahrtkreuzer kam als Windfall nach England

Nic Compton

 · 16.08.2025

Als „Pelikan“ lief der 100-Quadratmeter-Seefahrtkreuzer 1936 bei A&R vom Stapel. Heimatrevier ist dieser Tage der Solent.
Foto: Nic Compton
Die „Overlord“ ist eine der legendären Windfalls, also jener deutschen Yachten, die nach dem Krieg an die Briten fielen. Bis heute wird sie hart und weit gesegelt – unter dem Stander eines besonderen Klubs.

Es sind wohl mehrere Hundert Segelyachten, die sich in Gosport an den Stegen der Haslar Marina aneinanderreihen. Bei den meisten handelt es sich um mehr oder minder gewöhnliche Fahrtenboote. Am Ende von Ponton D aber sticht ein Schiff aus der Masse hervor. Mit über 17 Meter Länge zählt es per se zu den größeren im Hafenbecken. Dazu sind Rumpf, Deck und Aufbauten aus Holz, und an Bug und Heck verrät die Ziergöhl mit Pfeilen und Ähren die prominente Herkunft. Es ist die „Overlord“, die als „Pelikan“ vor nunmehr 89 Jahren bei Abeking & Rasmussen in Bremen-Lemwerder gebaut worden war. Seit acht Jahrzehnten ist sie in britischen Gewässern beheimatet.


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Die Geschichte des Schiffs ist mindestens so bemerkenswert wie die des Segelvereins und dessen Mitglieder, die es seit den Sechzigerjahren in Fahrt halten. Einige von ihnen will ich an diesem Tag kennenlernen. Geplant ist ein Fotoshooting draußen auf dem Solent. Die Bedingungen dafür könnten besser nicht sein. Am Vormittag weht bereits eine moderate Brise aus Ost, später soll der Wind auf wenigstens 15 Knoten, vielleicht sogar auf über 20 Knoten zulegen. Und das unter einem strahlend blauen Himmel!

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„Overlord“ ist geschaffen für etwas rauere Bedingungen

Am Schiff angekommen, begrüßt mich Klubkommodore Paul Lund. Er führt mich nach unten in den Salon, wo die Crew des heutigen Tages bereits auf mich wartet. Bei einer Tasse Tee stellen sich alle vor. Bis auf einen Arzt, der noch praktiziert, sind die anderen bereits Pensionäre. Darunter ein ehemaliger Softwareberater, ein Archäologe, ein Rechtsanwalt, ein Vermessungsingenieur sowie ein Künstler. Kurz, ein wahrlich bunt gemischter Haufen, dessen Durchschnittsalter bei stattlichen 66 Jahren liegt. Gemein ist ihnen, dass sie alle langjährig erfahrene Segler sind.

Das stellen sie wenig später unter Beweis. Mit nur einem Reff im Großsegel geht es hinaus. Die inzwischen steife Brise, die hier in der Engstelle zwischen Gosport und Portsmouth eine unangenehme Welle erzeugt, sodass ein ums andere Mal Gischt übers Deck jagt, steckt die Rentnergang mit einem Lächeln weg. Auch der Slalom zwischen einigen auf Reede liegenden Frachtern hindurch, der manches Segelmanöver erfordert, lässt sie unbeeindruckt. Man merkt, hier sind Routiniers am Werk. Sie kennen ihr Schiff von der Kielsohle bis zu Mastspitze. Darüber hinaus ist die „Overlord“ geradezu wie geschaffen für solch etwas rauere Bedingungen. Mit beeindruckender Leichtigkeit schneidet sie durch die Wellen, hält Kurs und Geschwindigkeit stoisch bei. Entsprechend entspannt ist die Stimmung im Cockpit. Es wird geplaudert und viel gelacht.

Dank der requirierten deutschen Yachten erhielten Englands Streitkräfte nach dem Krieg eine intensive Segelausbildung.

Hier vor der südenglischen Küste ist der Seefahrtkreuzer weniger oft zu sehen, als man annehmen würde. Während der Saison ist er meist auf Langstreckentörns unterwegs, etwa rund um Großbritannien und Irland, in der Ostsee, im Mittelmeer oder auch auf dem Nordatlantik mit Kurs auf die Azoren. Dass dies überhaupt möglich ist, dafür sorgen die 200 Mitglieder des Klubs mit ihren Beiträgen und auch mit viel Eigenleistung.

“Overlord” geht als Kriegsreparation an die Alliierten

Die A&R-Konstruktion ein Langfahrtschiff – das hätte sich zum Zeitpunkt ihrer Entstehung wohl niemand vorstellen können. Vielmehr wird sie 1936 in Lemwerder für die Luftwaffe gebaut. Das ist seinerzeit nicht ungewöhnlich. Im Gegenteil nutzen vor dem Zweiten Weltkrieg deutsche Streitkräfte gerne Segelyachten zu Ausbildungs- und Regattazwecken, aber auch für die Freizeitgestaltung der Soldaten und Offiziere. Als „Pelikan“ ist der 100-Quadratmeter-Seefahrtkreuzer in Kiel stationiert und segelt selbst während der Kriegsjahre oft und viel an der deutschen Ostseeküste. Im Salon zeugt eine Plakette mit dem Emblem der Luftwaffe – einem Adler im Flug, in seinen Klauen das Hakenkreuz – von einer erfolgreichen Regattateilnahme noch 1943 von Greifswald über den Bodden nach Peenemünde. Dazu passend wird erzählt, dass Hermann Göring die „Pelikan“ gerne segelte. Und dass man – der Statur des damaligen Oberbefehlshabers der Luftwaffe geschuldet – eine breitere Achterkoje eingebaut hatte.

Jede Menge Seemeilen im Kielwasser – das gilt nicht nur für die „Overlord“, sondern auch für viele ihrer regelmäßigen Mitsegler.

Nach dem Krieg dann gehen schätzungsweise 200 Yachten als Kriegsreparation an die Alliierten, vom Sharpie und Starboot bis hin zu einer stattlichen Flotte 30er, 50er, 100er und sogar 300er Seefahrtkreuzer. Im Vereinigten Königreich hat es bis dato kein mit dem deutschen vergleichbares Segelausbildungsprogramm fürs Militär gegeben. Das soll sich von nun an grundlegend ändern. Die erbeuteten Yachten werden 1946 von der britischen Admiralität als Windfalls, Glücksfälle, bezeichnet. Ein Begriff, der auf der Insel bis in die Gegenwart mit den Schiffen verbunden ist.

Die „Pelikan“ wird wie auch die „Storch“ dem Royal Engineer Yacht Club zugeteilt. Der benennt sie um in „Overlord“, zu Ehren der gleichnamigen alliierten Operation von 1944, und in „Avalanche“. Neuer Heimathafen wird Marchwood nahe Southampton. Die Klubmitglieder freunden sich rasch mit ihrem neuen Schiff an. Zweimal nimmt es am Fastnet Race teil und belegt 1949 den dritten Platz in einer Wettfahrtserie, die auf dem Ärmelkanal ausgetragen wird. 1955 wechselt „Overlord“ schließlich zum Royal Army Service Corps und gerät dort in die Obhut von Captain Tony Venables – ein weiterer Glücksfall, diesmal allerdings fürs Schiff.

Mit Krawatten zum Erhalt der “Overlord”

Venables begeistert sich derart für die „Overlord“, dass er und seine frisch angetraute Frau ein Jahr später ihre Flitterwochen an Bord verbringen. Das Corps hingegen ist weniger euphorisch. Als 1960 der Holzmast bricht, wird die Yacht kurzerhand ans Kriegsministerium zurückgegeben, das sie daraufhin zum Verkauf anbietet. Zu diesem Zeitpunkt hat Venables die Streitkräfte zwar bereits verlassen, aber sein Gebot von 700 Pfund für den Rumpf sowie 150 Pfund für die Ausrüstung wird akzeptiert. Sein Plan: „Overlord“ instand setzen, sie ein paar Jahre segeln und dann mit Gewinn verkaufen.

Einige Törns später ändert er seine Meinung. Nicht nur er, auch viele seiner mitsegelnden Freunde geraten ein ums andere Mal ins Schwärmen ob der Seetüchtigkeit des Kreuzers. Schlussendlich lässt sich Venables überreden, einen Klub zu gründen, der das Schiff künftig betreiben soll. Gesagt, getan. Allerdings ist der Zulauf neuer Mitglieder anfangs äußerst spärlich. Dann aber kommt Venables auf die geniale Idee, das Klubwappen, das einen Anker zeigt, auf Krawatten drucken zu lassen. Die nimmt er 1963 mit zur London Boat Show – und kann dort tatsächlich neue Klubmitglieder werben. Am Ende des Jahres stehen bereits 60 Segler parat, die fortan regelmäßig Fallen und Schoten der „Overlord“ bedienen wollen. „Es waren die Krawatten, die den Erfolg brachten“, sagt Tony Venables später. 1969 wird er zum Admiral seines Offshore Cruising Club ernannt – eine Position, die er bis heute innehat.

Im selben Jahr organisiert man eine erste Segelreise in die Ostsee, gefolgt von Fahrten nach Spanien. 1982 nimmt die „Overlord“ am Tall Ships Race von Falmouth nach Portugal teil, danach führt ihr Kurs mal in die Ägäis, mal zu den Azoren, nach Schottland oder Estland. Manche Reisen erstrecken sich über zwei Jahre, sodass das Schiff die dazwischenliegenden Winter an fremden Gestaden verbringt.

Nie übermäßig komfortabel oder gar luxuriös

Dieses ehrgeizige Segelprogramm wird bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Das vergangene Jahr etwa verbrachte die „Overlord“ in dänischen Gewässern. 2025 ist ein Etappentörn entlang der Westküste Frankreichs geplant. Für die Klubmitglieder gibt es mithin immer neue spannende Ziele, und das zu einem äußerst günstigen Tarif. Der Klubbeitrag beläuft sich auf nur 125 Pfund pro Jahr, die Törngebühr auf 68 Pfund pro Tag. Zudem kann man sich mittels Arbeit am Boot ein Guthaben aufbauen. Der ein oder andere sei bekannt dafür, dass er auf diese Weise seit Jahren kostenlos in entfernte Reviere mitsegele.

Dass angesichts dieses preisgünstigen Mitsegel-Modells nicht alles an Bord glänzt, versteht sich von selbst. Die Vereinsfinanzen lassen zwar Spielraum für notwendige Überholungsarbeiten. Zuletzt sind in der Elephant Boatyard am Hamble verrottete Spanten und ganze Plankengänge getauscht worden. Insbesondere größere Anschaffungen, wie im letzten Jahr ein neuer Motor, lassen sich aber nur über zusätzliche Spenden finanzieren. Dass es daher an und mehr noch unter Deck nie übermäßig komfortabel oder gar luxuriös zuging – das Interieur ist eher funktionaler Art –, hat Vorteile. Salon und Kajüten sind zwar nicht mehr im Originalzustand von 1936. Sie haben sich aber zumindest kaum mehr verändert, seit das Boot in den Sechzigerjahren für den Klubbetrieb umgebaut wurde.

Die Segler haben sich damit arrangiert. Sie eint die Aussicht auf weite Reisen, die sie unternehmen können. „Wir sind eine starke Gemeinschaft“, sagt Laura Salmon, das jüngste Mitglied der Crew an diesem Tag auf dem Solent. „Die Leute kommen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufen. Das macht es enorm vielfältig.“ Die Kameradschaft sei in der Tat großartig, bestätigt auch Miggie Bruce, mit 79 Jahren das älteste Mitglied der Crew.

John Kapp, ein ehemaliger „Overlord“-Skipper, äußerte einmal, die Windfall-Yachten seien „wie Manna vom Himmel gefallen“. Sie seien eines der wenigen guten Dinge gewesen, die aus dem Krieg hervorgegangen seien, und hätten vielen Menschen das Hochseesegeln erst ermöglicht. Die „Overlord“ ist heute noch ein überzeugendes Beispiel dafür.

Technische Daten „Overlord“ (ex-„Pelikan“)

 | Zeichnung: Abeking & Rasmussen/Repro YACHT | Zeichnung: Abeking & Rasmussen/Repro YACHT
  • Werft: Abeking & Rasmussen
  • Baujahr/-nummer: 1936/3016
  • Länge: 17,37 m
  • Breite: 3,40 m
  • Tiefgang: 2,29 m
  • Verdrängung: ca. 20 t
  • Segelfläche: 100 m²
  • mehr Informationen: sailoverlord.org

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Diese Reportage ist in der aktuellen Ausgabe der YACHT classic erschienen, die seit dem 21. Mai im Handel ist (außerdem hier erhältlich). Abonnenten der YACHT bekommen das Heft gratis nach Hause geliefert. Lesen Sie außerdem darin das Porträt des Werftgründers Henry Rasmussen, die Geschichte der „Nordwest“ und lassen Sie in Fotos von Nico Krauss die Classic Week 2024 Revue passieren.

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