Nachhaltig wirtschaftenHolzboote im Charterbetrieb

Jochen Rieker

 · 30.12.2023

An dem Seegrundstück, zu dem auch eine Fischerei und eine Pension gehören, blieb fast alles auf wundervolle Weise unverändert
Foto: YACHT/N. Theurer
Am Westufer des Ammersees gibt es einen Bootsverleih, der wie kein zweiter das Prinzip der Nachhaltigkeit lebt. Anton Schwarz pflegt hier Jollenkreuzer, Piraten – und das Gefühl der guten alten Zeit

Die Strahlen der Herbstsonne fallen schon flach über den See, als Anton Schwarz vom Steg aus nach Südwesten schaut. Da drüben, auf halber Strecke zwischen Andechs und Schondorf, steht der einzige Jollenkreuzer, der noch nicht wieder zurück ist. Und „stehen“ trifft es dabei in des Wortes ureigenster Bedeutung. Kaum ein Hauch bewegt das Wasser an diesem malerischen Tag, einem der letzten, bevor der Bootsverleih in die Winterpause geht. Für die Crew, die nachmittags noch mal für ein paar Stunden hinaus auf den Ammersee wollte, wird es eine zähe Rückkehr.

Schwarz, einst hochdekorierter Steuermann und 1982 gar Weltmeister im Flying Dutchman, lächelt leise. Gerade eben hatten die Segler angerufen und gefragt, ob er sie vielleicht einschleppen könne, falls auch noch die letzte Brise einschlafen sollte. „Schon“, sagte er ins Telefon auf seine ruhige, bedachte Art, „aber jetzt segelt’s halt erst mal, soweit ihr kommt.“

Kurz darauf, als hätte er es geahnt, setzt sich tatsächlich ein leiser Strich aus Südwest durch. Der Kahn, mit dem Anton Schwarz, seine Frau Sonja oder die jüngste Tochter Martina sonst zum Fischen rausfahren und der gelegentlich auch für Bergeeinsätze herhalten muss, bleibt im Bootshaus. Kein Grund, Sprit zu verbrennen, wenn es ein wenig Geduld sowie Feingefühl an Schoten und Pinne auch tun.

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Die zwei auf dem Jolli schaffen es noch vor sechs zurück an den Steg, ohne den Feierabend im Bootsverleih zu strapazieren. Ihre Gesichter glühen, nicht nur wegen der Sonne, sondern auch vor Stolz und Begeisterung, weil sie ganz ohne fremde Hilfe zurückgefunden haben, auf einem Jolli, so pur und unverfälscht wie vor mehr als einem halben Jahrhundert, als er in Ostdeutschland getischlert wurde.

Die nachhaltigste nautische Unternehmung ihrer Art

Es ist ein magischer Ort, dieser Familienbetrieb an der Seestraße in Schondorf am Ammersee. Ein Refugium für Ruhesuchende, ein Kleinod für sanften Tourismus, ein in seiner Art beispiellos schlichter, zugleich berückend schöner Anlaufpunkt für Segler und solche, die es werden wollen.

Vor allem aber ist es die wohl nachhaltigste nautische Unternehmung ihrer Art – ein Muster, wie es auch gehen kann, wenn nicht Wachstum, Veränderung, Disruption das Wirtschaften bestimmen, sondern das genaue Gegenteil: Werterhalt, Traditionswahrung und, ja, eine in dieser Form kaum noch irgendwo anzutreffende Genügsamkeit.

Am offensichtlichsten wird es am Steg, der entlang des alten Bootshauses auf zwei Ebenen zum See verläuft. Die Lärchenbohlen sind von der Sonne vieler Sommer ausgegraut, zwischen den Jahresringen schwindet das Holz fühlbar. Zu beiden Seiten haben eiserne Ringe Spuren hinterlassen, die mit Augbeschlägen durch die Tragbalken gebolzt sind. Daran werden während der Saison die Boote festgemacht; oft reicht aber auch der Spalt zwischen zwei Brettern, um Vor- oder Achterleinen zu belegen. An deren Ende ist dazu ein Achtknoten gesteckt, sodass sie nicht bei Zug aus Versehen durchrutschen können.

Abends und in der Früh liegen nur die 15er-P-Jollenkreuzer hier. Es sind, wie der ganze Rest der Schwarz’schen Flottille, sämtlich Holzboote: Rümpfe und Decks aus klar lackiertem Mahagoni, Kielschwein und Bodenwrangen aus Eiche, Spanten aus Esche. Sie stammen aus den sechziger Jahren und wurden in Ostberlin gebaut, auf der Werft Friedrichshagen, einem volkseigenen Betrieb. Anton Schwarz’ Vater, den Freunde Toni nannten, auch er ein begnadeter Segler, hat sie nicht aus der DDR importiert. Er kaufte sie nach und nach aus zweiter oder dritter Hand.

Ein kleines Holzboot-Paradies

Im zum See hin offenen Schuppen, dessen Boden sich an alten Kettenzügen aufholen oder bis auf Höhe des Wasserpegels abfieren lässt, liegen noch mehr Preziosen: Holzpiraten von der längst verschiedenen Bootswerft Walser am Starnberger See. Der erste, „Felch“ mit Namen, stammt von 1958. „Er war Vaters Regattaboot“, sagt Schwarz. Alle anderen tragen nur Buchstaben zur Kennzeichnung, kurz und bündig. Und dann sind da noch stäbige Ruderkähne mit geklinkerten Rümpfen, die sich bei flachem Wasser auf achtbare Geschwindigkeiten treiben lassen, wenn man sich mit Kraft und Ausdauer in die Riemen legt.

Die Boote reihen sich eng an eng. Auch an der Decke hängen welche. Kein Platz bleibt ungenutzt. Im schummrigen Licht, das durch den fast fensterlosen Bau fällt, wirkt der Verleih wie eine Art Freiluftmuseum. Obwohl intensiv genutzt, ist hier alles bemerkenswert gut in Schuss. Viele P-Boote und Jollen erreichen selbst in Eignerhand nie den Zustand, in denen Anton Schwarz seine Flotte hält. Und dabei hat er noch keinen einzigen Total-Refit vorgenommen, nicht einen Rumpf ausgeleistet. Das käme ihm ohnehin nicht in den Sinn. Mit überzeugendem Ton in der Stimme sagt er:

Das Holz muss ja arbeiten können“

Die Boote sind weit über die Region hinaus bekannt und an schönen Wochenenden oder in den Ferien extrem begehrt; oft stehen Segler Schlange dafür. Wo sonst kann man heutzutage für ein paar Stunden noch solche Schmuckstücke mieten, zeitlose Klassiker, die jede Mode überdauern, nachhaltig, werthaltig und von derart kundiger Hand gepflegt?

Es ist immer etwas zu tun

Wie viel Liebe und Arbeit Anton Schwarz in seine Schätze steckt, vermag man kaum zu ermessen. Er selbst spielt den Aufwand jedoch herunter. „Die Piraten und die Ruderboote sind im Bootshaus ja vor der Sonne und vor Nässe geschützt. Die kommen nur raus, wenn sie genutzt werden.“ Deshalb, so sagt er, seien sie auch nach 60, 65 Jahren „im Unterwasserbereich noch top“. Während der Saison gehen er oder seine Tochter Martina, die nach ihrem Studium inzwischen voll im Betrieb arbeitet, mit dem Schwamm durch jedes Boot; nie würden sie Wasser in der Bilge stehen lassen oder gar Sandreste von einem Badestopp, welche die Lackversiegelung beschädigen könnten.

Im Winter überhole ich die Boote, immer eins pro Woche. Wenn nötig, flicke ich auch Segel, nähe neue Tücher oder baue Persenninge”

Bei den Jollenkreuzern gibt es freilich mehr zu tun. Nicht nur, weil sie am meisten bewegt werden und als Erste ausgebucht sind, sondern vor allem, weil sie stets im Wasser liegen. Um sie dennoch bestmöglich zu schützen, hat Schwarz auf einer gebraucht gekauften Spezial-Nähmaschine eigens tief über die Deckskanten reichende Persenninge gefertigt. Die Sonne hat sie dennoch gebleicht. Farbwechsel im Rumpf zeigen die Beanspruchung. Wo der Lack Schaden genommen hat, etwa bei missglückten Anlegemanövern oder einfach nur aufgrund von Verschleiß, ist das Holz dunkler. „Da musst du halt auch mal ein bisschen tiefer schleifen“, sagt Schwarz. „Dann kommt der rötliche Mahagoni-Ton wieder durch.“ Ansonsten nimmt er winters nur wenig vom Klarlack weg, gerade so viel wie nötig, um nicht ohne Not die Substanz zu mindern.

Ein Vorbild für Nachhaltigkeit

So hat er die Boote Jahr um Jahrzehnt nahezu im Originalzustand über die Zeit gebracht, und das mit minimalem Materialaufwand. Aufgrund ihres Alters und ihrer Bauweise sind sie, würde man sie einem Life Cycle Assessment unterziehen, längst CO2 -positiv. GFK-Boote werden dabei meist mit 30 Jahren Nutzungsdauer modelliert; die Jollis sind doppelt so alt. Und in ihrem Holz ist CO2 gebunden. Sie so lange zu bereedern ist eine Leistung, die an sich schon einen Umweltpreis wert wäre.

Manchmal stehen dennoch größere Operationen an. Diesen Sommer etwa ging einer der 15er gar nicht zu Wasser; er blieb in der Werkstatt, die eine überdimensionierte Garage ist, um den Schwertkasten zu erneuern. Der Bootsflüsterer beließ es aber nicht bei einem bloßen Nachbau, sondern verlängerte Kasten und Schwert bei der Gelegenheit gleich nach achtern, was bessere Kreuzeigenschaften und etwas mehr Stabilität verspricht. „Mal sehen, was das bringt“, sagt Anton Schwarz, der voller Ideen für Verbesserungen steckt.

In meinem Hirnkastl rattert’s die ganze Zeit“

Wie er all das, wozu während der Saison ja nie wirklich Zeit bleibt, allein schafft? „Du musst es halt gern machen“, sagt er. „Wenn ich meine Stunden zählen und berechnen würde, könnt ich’s gleich vergessen. Da bliebe am Ende nichts übrig aus dem Bootsverleih.“

Schwarz lebt nicht vom Boot allein

Tatsächlich sind Jollis, Piraten und Ruderkähne nur eine von drei Stützen des kleinen, feinen Familienunternehmens. Daneben betreiben die Schwarzens noch eine Fischerei und eine Frühstückspension. Wenn man so will, eine aquatische Form der Subsistenzwirtschaft.

Der Großvater, früh verstorben, war ursprünglich Landwirt. Auch er lebte gewissermaßen schon das Prinzip der Selbstversorgung. Dann kam die Fischerei hinzu, danach der Verleih und die Pension. Spätestens ab den sechziger Jahren wurde der See zum Dreh- und Angelpunkt allen Schaffens. Er bildet seither die Basis für den Betrieb, der längst auf der Nähe, mehr noch auf der Liebe zum Wasser gründet.

Früher sind wir am Abend, wenn alles getan war, oft noch im Pirat Regatta gesegelt. Dafür fehlt jetzt die Zeit. Und man wird ja auch älter”

Stammgäste älteren Semesters erinnern sich noch an das Haus, das ursprünglich hier stand: im Erdgeschoss eine Küche mit einfachen Tischen und Bänken, die zusammengeschoben eine lange Tafel ergaben, an der mitunter bis tief in die Nach geklönt und gefeiert wurde. Am frühen Abend, wenn die Boote zurück waren, traf man sich oft zu spontanen Regatten ans andere Seeufer und zurück – die natürlich stets Schwarz senior gewann, Bayerischer und Deutscher Meister im Pirat sowie im Flying Dutchman, der damals noch Olympiaklasse war.

Der Neubau der Pension Anfang der achtziger Jahre markierte die einzige nennenswerte Modernisierung an der Seestraße 11. Der Charakter des Betriebs aber, seine Seele, blieb davon so unberührt wie das umwerfende Alpenpanorama, das sich an klaren Tagen im Süden bietet. Überall findet man noch Spuren aus der Vergangenheit. Nicht nur die Boote am Steg und im Bootshaus sind Zeugen einer anderswo längst vergangenen Zeit. Auch die gerahmten Regattabilder an den Wänden der Pension erinnern an früher, die meisten in Schwarz-Weiß, manche in verblasstem Kodachrome.

Viel Vergangenheit wurde bewahrt

Selbst das Auto in der Garage neben der Werkstatt ist Vintage, wie Hipster heute sagen. Ein alter Benz, Typ W123, mit wagenradgroßem Lenker und geriffelten Heckleuchten. Er gehörte dem vor Kurzem verstorbenen Senior und steht, man ahnt es, da wie neu. „Wir brauchen den ja kaum“, sagt der Sohn, inzwischen auch schon 64 Jahre alt, obwohl man ihm das nicht ansieht. „Hier im Dorf kannst fast alles mit dem Rad erledigen.“ Seine Frau Sonja fährt einen Golf III, der ebenfalls als Youngtimer durchginge, jetzt aber wohl nicht mehr durch die Hauptuntersuchung kommt.

Überall Konstanz, Beständigkeit. Die Zimmer der Pension blieben seit 40 Jahren nahezu unverändert: schlicht möbliert, die Möbel solide gebaut. Zur Seeseite hin mit einem Blick, der jeden Wandschmuck, jedes Accessoire überflüssig macht. Es gibt folglich keine Fernseher, nicht einmal W-Lan, stattdessen eine derart himmlische Ruhe, dass man bei offenem Fenster nachts am leisen Wellenschlag die Winddreher erkennen kann.

Anders als andere Familien, die es im Tourismus über Generationen zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben, sind sie sich beim Schwarz in Schondorf bemerkenswert treu geblieben. Sie haben nicht, wie in vielen Alpendörfern zu besichtigen, ihr Areal beständig vergrößert, an- und zugebaut, die Zahl der Zimmer vervielfacht, sich von der Pension zum Mehr-Sterne-Haus gesteigert, den Bootsverleih um eine Segelschule ergänzt, haben nicht die Unterkunft um eine Wellness-Landschaft erweitert, die Fischerei um eine gehobene Kulinarik. Was man halt so macht, wenn man kann und will oder meint zu müssen.

Dem Modernismus eine Absage erteilt

Aber genau das ist eben nicht ihr Weg, nicht ihre Sache. Und es wäre vermutlich auch nie aufgegangen. Denn: Wer sollte sich dann um die Boote kümmern? Wer die Netze ausbringen, einholen, flicken? Wer den Räucherofen für die fangfrischen Renken mit Buchenholz vorheizen? Wer das Frühstück zubereiten? Wer sollte dieses Flair bewahren, in dem die Gäste sich alle irgendwie zu Hause fühlen?

Man kann das rückwärtsgewandt finden, womöglich sogar ein bisschen weltfremd. Man kann es aber auch bodenständig und bescheiden nennen. Eine Form des Wirtschaftens, die zwar kein großes Wachstum bringen mag, dafür jedoch Nähe, Vertrautheit gewährleistet – und einen Umgang mit Ressourcen, der angesichts der längst greifbar gewordenen Klimakrise schlicht beispielhaft ist.

Bei Schwarz servieren morgens nicht eilig angelernte Saisonkräfte die backfrischen Semmeln, sondern die Chefin persönlich. Sie war früher Kaderseglerin im 470er und zählte in den Achtzigern zu den besten Steuerfrauen der Republik, damals noch unter ihrem Mädchennamen Sonja Frenzer. Wenn sie aushilfsweise im FD an der Pinne saß, kam es schon mal vor, dass sie ihrem späteren Mann das Heck zeigte oder die Dieschs vom Bodensee, 1976 immerhin Goldmedaillengewinner, erfolgreich an der Startlinie abblockte.

Ihre Beziehung zu ihrem Gatten Anton ist stets eine auf Augenhöhe gewesen. Wie er hat auch sie nebenbei die Ausbildung zur Fischereiwirtin gemacht und darüber hinaus den Meistertitel. Auf diese Weise konnte sie ihre drei Töchter anlernen, die alle ebenfalls eine Lizenz besitzen. Martina, die Jüngste, hat inzwischen jenen Bereich des Betriebs übernommen, der wie eine Art Scharnier zwischen Verleih und Pension fungiert. Vielleicht, wer weiß, schreibt sie die Schwarz-Saga einmal fort, die bisher so ausschließlich von der Familie geprägt ist, dass es ohnehin kaum anders vorstellbar erscheint.

Beim Fischen übrigens lässt sich viel über Nachhaltigkeit und Umweltschutz lernen. Auch, dass es durchaus Fortschritte gibt. Die Bestände sind zwar nicht mehr die gleichen wie vor 20, 30 Jahren. Nur durch Fangquoten und Bestandspflege lassen sie sich auf dem derzeitigen Niveau halten. Aber das sei „eine gute Entwicklung“, sagt Sonja Schwarz. „Dass wir früher deutlich mehr in den Netzen hatten, lag daran, dass die Einträge aus den Feldern um den See höher waren.“ Jetzt filtern Kläranlagen und Ringkanalisationen die Nähr- und Düngestoffe aus dem Wasser. Das ist reiner und klarer geworden. Auch die Verkrautung des Seegrunds ging zurück, was die Badegäste freut. Nur die hohen Temperaturen machen den Fischbeständen zu schaffen. „Fehlt es im Frühjahr und Frühsommer an Regen, gehen sie tiefer“, sagt Sonja Schwarz, dorthin, wohin die Netze nicht reichen. Die Klimaerwärmung, zu der sie selbst kaum beitragen, kommt so auch im Familienbetrieb an der Seestraße an.


Oberbayerisches Urlaubs-Idyll

Der Ammersee hat sich trotz seiner Nähe zu München und der hohen Attraktivität für den Tourismus eine entspannte Ursprünglichkeit bewahrt. An seinen Südufern ist er noch nahezu unbebautFoto: YACHTDer Ammersee hat sich trotz seiner Nähe zu München und der hohen Attraktivität für den Tourismus eine entspannte Ursprünglichkeit bewahrt. An seinen Südufern ist er noch nahezu unbebaut

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