“Lively Lady”Britische Seeheldin im Schatten der “Gipsy Moth IV”

Nic Compton

 · 03.03.2024

Der partiell restaurierte hölzerne Langkieler unterwegs auf dem Solent, wo Rose lebte, startete und seine Weltumsegelung beendete
Foto: YACHT/Nic Compton
Mit der „Lively Lady“ propagierte ein Gemüsehändler Hochseesegeln für jedermann. Alec Rose segelte mit kleinem Budget um die Welt und in die Herzen der Engländer. Heute dient das Boot der Nachwuchsförderung

Heldin für alle

Hierzulande haben wir Wilfried Erdmann. In England verehren sie gleich drei Seehelden: Francis Chichester, der 1966 mit nur einem Zwischenhalt auf seiner „Gipsy Moth IV“ die Welt umsegelte. Robin Knox-Johnston, der zwei Jahre später mit „Suhaili“ im Rahmen des legendären Golden Globe Race als erster Mensch den Planeten nonstop umrundete. Und dann gab es noch Alec Rose und seine „Lively Lady“, sozusagen der Popstar unter den angelsächsischen Salzbuckeln.

Steve Mason, Co-Skipper auf der „Lively Lady“ während ihrer Weltumsegelung von 2006 bis 2008: „In der Tat wird Rose manchmal als der ‚Jedermann-Chichester‘ bezeichnet. Chichester hat es zwar zuerst geschafft, die Welt zu umsegeln, aber er hatte Sponsoren und ein Boot, das speziell für diese Reise angefertigt worden war. Aber Alec erreichte dies als kleiner Mann mit dem Geld aus seiner eigenen Tasche, und da liegt der Unterschied.“ Das mache die „Lively Lady“ so populär, damals wie heute.

Gemüsehändler Rose träumt von der See

Alec Rose wuchs in Canterbury auf. In seiner Familie war niemand segelbegeistert. Sein Interesse an dem Sport wuchs, nachdem er Bücher über die Schifffahrt gelesen hatte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, meldete er sich bei der Royal Navy und fuhr als Motorenmechaniker auf einem Versorger. Nach Kriegsende erwarb er einen Früchtehandel in Kent, war aber, wie er in seinem Buch „A Lively Lady“ schreibt, „noch immer leidenschaftlich dem Segeln verfallen und las sämtliche Berichte einsamer Reisender“.

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Er kaufte ein altes Rettungsboot eines deutschen Schiffs, welches er umbaute. Nachdem Rose sich von seiner ersten Frau getrennt hatte, segelte er einhand bis nach Amsterdam und zu den Friesischen Inseln. Seine zweite Frau Dorothy heiratete er 1960. Das Paar verbrachte die Flitterwochen auf See, segelte nach Spanien. Auf halbem Weg über die Biskaya verletzte sich Dorothy jedoch an der Hand bei dem Versuch, den Treibanker während eines Sturms auszubringen; die beiden mussten ihre Reise für die medizinische Versorgung in Brest unterbrechen. Das Paar kehrte nach Großbritannien zurück, und „weil es notwendig war, etwas Geld zu verdienen“, kaufte es sich einen Gemüseladen in Southsea, einem Vorort von Portsmouth, unweit des Solent.

Dort begann Rose, vom Segeln um die Welt zu träumen. Wie gebannt verfolgte er 1960 das erste Observer Singlehanded Trans­atlantic Race (Ostar), welches Chichester gewann. Rose stellte fest, dass er ein passendes Boot bräuchte, um selbst an dem nächsten Rennen teilnehmen zu können. Nach kurzer Suche fand er einen 15 Jahre alten, 36 Fuß langen Holzkutter, der in Yarmouth auf der Isle of Wight am Solent zum Verkauf stand. Er war auf Anhieb hingerissen. „Ich mochte sein Aussehen. Das Schiff war irgendwie anders. Ich ging an Bord und war sofort beeindruckt von seiner Solidität und Stärke.“

Solide Konstruktion der “Lively Lady” kam durch einen Fehler zustande

Fred Shepherd, ein in den dreißiger und vierziger Jahren angesagter Konstrukteur mittelgroßer Fahrtenyachten, entwirft die „Lively Lady“. Obwohl sie bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entworfen worden war, blieb der Entwurf Theo­rie, bis ein Herr Cambridge ihn tatsächlich 1948 in Kalkutta, Indien, bauen ließ. Cambridge nahm einige Änderungen am ursprünglichen Design vor. So wurde der Kiel modifiziert, der Freibord erhöht und das Deck mit einem Skylight anstelle des ursprünglichen Aufbaus ausgestattet. Die so­lide Konstruk­tion, die Rose so beeindruckt hatte, kam tatsächlich durch einen Fehler zustande: Für die Beplankung war 22 Millimeter dickes Burma-Teakholz bestellt worden, stattdessen traf jedoch Holz in einer Dicke von 35 Millimetern ein. Es wurde dennoch verwendet. Ähnlich verhielt es sich mit dem Spantengerüst. Statt mit dem von Shep­herd spezifizierten gedämpften Holz wurde es aus starkem gewachsenem thailändischen Pa­douk in Abständen von lediglich 37 Zentimetern eingepasst.

Weniger beeindruckt war Rose von dem altmodischen Gaffelrigg. Daher beauftragte er Illingworth & Primrose, die auch für die Konstruktion der „Gipsy Moth IV“ verantwortlich zeichneten, ein neues Rigg zu entwerfen. Sie konstruierten eine Kutter-Hochtakelung mit Aluminiummasten und einen deutlich verkürzten Bugspriet.

Als er am 23. Mai 1964 von Plymouth aus zum zweiten Ostar aufbrach, war Roses Einschätzung seines Bootes eher nüchtern. „Sie war sehr schwer, robust gebaut, aber auf keinen Fall ein Windhund. Sie hat einen guten, langen Kiel, ein gutes Achterschiff und Freibord sowie ein schwungvolles Heck. Sie ist vor allem ein sicheres Hochseeschiff.“

”Lively Lady” wird modifiziert

Obwohl er ein bereits veraltetes Boot segelte, war Rose in seinem ersten Hochseerennen erstaunlich erfolgreich. Er beendete es als Vierter, hinter prominenten Namen wie Eric Tabarly, Chichester und Val Howells und zudem einen ganzen Tag eher als Blondie Hasler. Noch wichtiger war seine Erkenntnis, dass er es liebte, lange Distanzen allein zu segeln. „Ich war froh und glücklich“, schrieb er. „Ich hatte ein gutes Schiff, und ich fühlte mich so frei wie die Vögel, die über mir kreisten. Ich war der König meiner kleinen Welt.“

Rose hatte bereits angefangen, über das „größte Abenteuer meines Lebens“ nachzudenken: Er träumte davon, einhand die Welt zu umsegeln. Da verkündete Chichester seine Pläne, entlang der sogenannten Clipper Route nach Australien segeln zu wollen. „Mir kam daraufhin die Idee, ihm zu folgen und daraus eine Art Wettkampf zu machen“, schrieb Rose anfänglich noch, bevor er den Gedanken wieder verwarf. „Wenn man beide Boote betrachtete, war die ‚Lively Lady‘ keine Konkurrenz für ‚Gipsy Moth IV‘, die brandneu und genau für diese Art von Rennen konstruiert und gebaut worden war und darüber hinaus eine längere Wasserlinie hatte“, schrieb er rückblickend.

Dennoch nahm er einige wichtige Änderungen am Rigg seiner „Lively Lady“ vor, die er als untertakelt einstufte. Er verlängerte den Mast um 1,20 Meter, um das Großsegel zu vergrößern, und erweiterte das Boot um einen Besanmast. Dieser sollte kein Besansegel tragen, was mit der Selbststeueranlage ins Gehege gekommen wäre, sondern an ihm sollte man auf raumen Kursen statt des Großsegels ein Stag­segel setzen.

Deutlich zu schwer: 30 Zentimeter mehr Tiefgang als geplant

Das Boot, mit dem Rose weiter ­segelte, nachdem er Portsmouth am 7. August 1966 verließ (übrigens drei Wochen vor Chichester), hatte nur noch wenig mit dem Schiff gemein, das von Shepherd dreißig Jahre zuvor konstruiert worden war. Mit einer Verdrängung von 13,75 Tonnen, im Vergleich zu den ursprünglichen 7,5 Tonnen, war es fast zweimal so schwer. Sein Tiefgang hatte sich entsprechend ebenso vergrößert, von 1,67 auf 1,98 Meter, und die Wasserlinienlänge war von 8,00 Metern auf 9,60 Metern gewachsen.

Das in den Medien stark hochgespielte Rennen um die Welt fand jedoch nicht statt (das kam später). Die „Lively Lady“ kollidierte auf der Überquerung des Englischen Kanals mit einem unbekannten Objekt, und Rose musste nach Plymouth zurückkehren, um Reparaturarbeiten vorzunehmen. Es kam noch schlimmer: Die Yacht stürzte an Land stehend um und brach sich vier Spanten. Rose musste seine Reise um ein weiteres Jahr verschieben.

Am 16. Juli 1967 setzte Rose endlich in Portsmouth die Segel, sieben Wochen, nachdem Chichester seine Rekordfahrt beendet hatte. Der Gemüsehändler hatte eine problemlose Tour, legte Zwischenstopps in Melbourne ein, um seinen Sohn zu besuchen, sowie in Bluff, Neuseeland, um einen Beschlag am Masttopp zu reparieren. Die „Lively Lady“ erwies sich wie vorhergesehen als robust, sicher – und langsam: Als Rose am 4. Juli 1968 wieder in seinem Starthafen in Portsmouth ankam, war selbst er von seiner Zeit enttäuscht. Er hatte 354 Tagen gebraucht, satte 128 Tage länger als Chichester.

Ehrung eines Seehelden

Allerdings war der Empfang in Portsmouth gigantisch: Rund 250.000 Menschen kamen, um ihn willkommen zu heißen und damit nahezu dieselbe Anzahl an Menschen, die Chichester im Jahr zuvor begrüßt hatte. 400 Yachten begleiteten ihn über den Solent. Eine riesige Menschenmenge jubelte ihm und Dorothy zu, als sie auf den Balkon ihres bescheidenen Hauses über ihrem Laden in der Osborne Road traten. Und, wie Chichester und später Knox-Johnston, wurde auch er von der Queen zum Ritter geschlagen.

Dabei war das Timing von Roses Reise eigentlich ungeschickt, sie ereignete sich genau zwischen den großen Leistungen von Chichester und Knox-Johnston. Rose war jedoch weder schneller als Chichester, noch konnte er eine echte Erstumsegelung wie Knox-Johnston vorweisen.

Roses Leistung wird dennoch zu Recht gewürdigt: Von den neun Wettbewerbern, die an dem ursprünglichen Golden-Globe-Rennen teilnahmen – und die sowohl vor als auch nach Roses Rückkehr aufgebrochen waren – schafften es nur drei bis hinter Australien (Knox-Johnston, Moitessier und Tetley); einer sank (Tetley), einer starb (Crow­hurst), und nur einer beendete die Reise (Knox-Johnston). Chichester und Rose ließen es leicht aussehen, aber das Schicksal derer, die ein ähnliches Projekt angetreten hatten, spricht eine andere Sprache.

”Lively Lady” scheint wieder einmal ins Abseits gedrängt

Nachdem er mit seiner Reise einen Meilenstein erreicht hatte, betrieb Rose gemeinsam mit Dorothy weiterhin seinen Gemüseladen. Er starb 1991, und die Stadt Portsmouth erwarb die „Lively Lady“ kurze Zeit später für 15.000 Britische Pfund. In den folgenden zehn Jahren vermietete der Gemeinderat das Schiff an den Meridian Trust, welcher das Boot instand hielt und benachteiligten Jugendlichen darauf das Segeln näherbrachte. Obwohl die Yacht kontinuierlich in Betrieb war, wurden keine umfassenderen Renovierungsarbeiten unternommen oder überhaupt als notwendig empfunden.

Dann wurde im Jahr 2003 eine Kampagne ins Leben gerufen, um die „Gipsy Moth IV“ aus ihrem Betongrab im National Maritime Museum in Greenwich zu befreien, in welchem sie die vorangegangenen 35 Jahre gelegen hatte. Zwei Jahre später, zu einem Preis von 300.000 Britischen Pfund, segelte sie wieder und war bereit für ihre zweite Weltumrundung, diesmal mit einer Crew aus „verdienten jungen Leuten“ an Bord. Einmal mehr, so schien es, stand „Lively Ladys“ vermögende Rivalin im Rampenlicht, während Roses einfache Yacht an heimische Gewässer gebunden war.

Rettung der “Lively Lady”

Ein Einwohner Portsmouths war jedoch fest entschlossen, diesem Schicksal entgegenzuwirken. „Es schien mir nicht fair, ‚Gipsy Moth IV‘ den ganzen Ruhm ernten zu lassen“, sagt Alan Priddy. Fast im Alleingang stemmte der Motorbootrennfahrer eine Kampagne, um die „Lively Lady“ wieder hochseetauglich zu machen. Statt für eine Komplettüberholung, entschied sich das Team um Priddy für ein extremes Aufbauprogramm. Dies beinhaltete einen neuen Motor, ein neues Rigg, neue Segel und mehr.

Ihrer einstigen Reise nachempfunden, setzte die „Lively Lady“ am 28. Juli 2006 in Portsmouth ihre Segel, zehn Monate nach der „Gipsy Moth“. An Bord befanden sich Priddy, ein Co-Skipper und zwei junge Crewmitglieder. Ihr Vorhaben wurde zu einer zweijährigen, aus mehreren Etappen bestehenden Welt­umsegelung – aus Versicherungsgründen durch den Suez- und Panamakanal anstelle der drei Kaps. Letztendlich wirkten neun Co-Skipper und 39 Crewmitglieder an der Jubiläumsreise mit.

Selbst Roses Enkel, Nigel Rose, segelte ein Teilstück der Reise mit. Wie schon damals, erwies sich die „Lively Lady“ als ein vertrauenswürdiges Hochseeboot. „Hinter Kanada wurden wir von 50 Knoten Wind durchgeschüttelt, aber sie hat das gut verkraftet“, sagt Steve. „Wir saßen eingezwängt im Cockpit. Das Boot lag quasi flach vor Topp und Takel, aber es bewegte sich in einer Geschwindigkeit von einem Knoten in die richtige Richtung.“ Von seiner Reise trug das Boot allerdings einige Blessuren davon.

Großrahmige Restauration durch Freiwillige

Die „Lively Lady“ kehrte am 5. Juli 2008 nach Portsmouth zurück, 40 Jahre und einen Tag, nachdem sie ihre erste Weltumsegelung beendet hatte. Ein juristisches Gerangel folgte, bei dem es hauptsächlich um den rechtlichen Status der Yacht ging, die zu dieser Zeit als ein Museumsstück der Sammlung des Gemeindemuseums klassifiziert war. Im Jahr 2010 gründete Priddy einen neuen Trust namens Around and Around, um das Boot von der Gemeinde mieten und es unterhalten zu können. Und er ließ es wieder als ein historisches Schiff registrieren.

Ein großrahmiges Restaurationsprojekt wurde ins Leben gerufen. Im Gegensatz zu dem ausgefallenen und teuren Refit der „Gipsy Moth IV“ bei Camper & Nicholsons wurden die Arbeiten an der „Lively Lady“ von einem kleinen Team Freiwilliger unter Beaufsichtigung von Steve Mason durch­geführt. Die Hauptarbeit bestand darin, das Deck zu erneuern und verfaulte, schlecht erreichbare Spanten zu tauschen. Der Rumpf ist dagegen beinahe vollständig erhalten geblieben. Das Teakholz aus Burma hat 50 Jahren auf See und zwei Weltumsegelungen getrotzt, ohne auch nur zu knarren.

Roses Vision: Jeder sollte das Hochseesegeln lernen können

Die Restauration der „Lively Lady“ kostete 15.000 Britische Pfund, die von Mäzenen, der Stadt Portsmouth und durch Spenden aufgebracht wurden. Ein verglichen mit den Kosten für die „Gipsy Moth“ geringer finanzieller Aufwand – die „Lively Lady“ ist aber auch entsprechend zusammengeschustert. Eine weitere Weltumsegelung war 2020 geplant. An Bord sollten einige der Crewmitglieder sein, die bereits 2006 bis 2008 um die Welt gesegelt sind. Heute sind sie selbst erwachsen und wollten ihrerseits als qualifizierte Skipper eine Gruppe Jugendlicher auf die Reise ihres Lebens mitnehmen. Die Corona-Pandemie durchkreuzte dieses Vorhaben. Stattdessen wurde die Zeit genutzt, die “Lively Lady” weiterhin zu restaurieren. Neue Projekte mit jungen Menschen befinden sich in der Planung.

Roses Vision bleibt damit bestehen: Normale Menschen ohne großen finanziellen Hintergrund sollen das Hochseesegeln ausüben können. Dank der Ausdauer einiger Einzelner wird eine neue Generation von Seglern heute in seinem Sinne ausgebildet, um ihm in seinem Windschatten zu folgen. Das ist mehr, als sich der bescheidene Krämer aus Southsea hätte wünschen können.

Technische Daten der “Lively Lady”

Riss der "Lively Lady" | Abbildung: Nautical Publishing Company/K. Adlard Coles
  • Gesamtlänge: 10,98 m
  • Wasserlinienlänge: 9,45 m
  • Breite: 2,81 m
  • Tiefgang: 2,01 m
  • Gewicht: 13,7 t
  • Segelfläche am Wind: 54,7 m²
  • Segeltragezahl: 3,09

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