IjsschuitenEissegeln wie vor einem Jahrhundert

Christian Irrgang

 · 04.01.2025

Der segelnde Klompen „Ijsklomp“ ist eine der wenigen Eissegelschuten aus GfK in der Flotte
Foto: YACHT/Christian Irrgang
Schon vor Hunderten von Jahren tauchten Ijsschuiten auf den Ölschinken der alten holländischen Meister auf. Bis heute haben die kleinen Frachtsegler auf Kufen beim Eissegeln eine treue Fangemeinde

Neuschnee! Das hat nun gerade noch gefehlt. Trübgrauer Himmel, Totenflaute und eine geschlossene Schneedecke. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, als die Ijsschuiten-Eigner ihre Trailergespanne beluden, rund 900 Straßenkilometer und eine Übernachtfähre hinter sich brachten, um hier in Mittelschweden ihrer Leidenschaft zu frönen. Dem Eissegeln.

Weil das zu Hause in Holland wegen der zunehmend warmen Winter schon lange nicht mehr möglich ist, macht sich jedes Jahr im Februar eine kleine Karawane von Eis-Enthusiasten mit Sack und Pack und etwa 40 Booten im Schlepp auf den langen Weg zum Hjälmaren, dem viertgrößten der großen schwedischen Seen.

Hier sind die Winter noch knackig kalt und die Bedingungen meistens optimal. Rund 60 Kilometer ist der See lang und 18 Kilometer breit, aber nur maximal 20 Meter tief, und deshalb friert er schnell komplett zu. Jetzt ist das Eis fast einen halben Meter dick.

Rasend schnelle Piloten und Segler mit Klompen an den Füßen

Apropos Boote. Wir reden hier tatsächlich von Booten, nicht von Schlitten. Die gibt es hier auch. Meistens gehören sie zur DN-Klasse. Kleine, windschnittige Zigarrenrümpfe auf drei Kufen. Oder, deutlich größer, die Monotypes für einen oder zwei Fahrer, mit einem Lenkrad aus Holz, wie bei einem italienischen Sportwagen. Dazu viele mehr oder weniger abenteuerliche Einzelbauten.

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In all diesen sitzen oder liegen die Piloten, eine treffendere Bezeichnung gibt es nicht, lang ausgestreckt auf dem Rücken und fegen mit unglaublichen Geschwindigkeiten über den See. Mit Helm und Brille sehen sie aus wie die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten in diesem alten englischen Spielfilm mit Gert Fröbe. Selbst das Geräusch, wenn sie vorbeiflitzen und lässig mit einer Hand grüßen, erinnert an ein Kleinflugzeug.


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Von denen soll hier aber nicht die Rede sein. Sondern von richtigen Schiffen. Mit Bugspriet und Pinne, Holzmast und Gaffelsegel, geschnitzten Galionsfiguren am Vorsteven und goldenen Tierfiguren am Heck. Und von ihren Seglern, die Klompen an den Füßen tragen, unter deren Sohlen stählerne Stollen geschraubt sind.

Stollen oder Spikes, das lernt man hier als Erstes, sind nämlich die allerwichtigsten Ausrüstungsdetails. Egal ob Klompen oder Stiefel, ohne Spikes kannst du hier nichts werden. Das Eis ist auch unter dem Schnee glatt wie eine Teflonpfanne. Wenn doch nur ein bisschen Wind käme …

Hjälmaren: Blankes Eis bis zum Horizont

Dabei hat das Abenteuer recht vielversprechend begonnen. Nach Ankunft im fiesen Nieselregen bringt am nächsten Morgen eine strahlende Wintersonne die bunten Rümpfe mit den rot-weiß-blauen Nationalen zum Leuchten.

Jeder hilft jedem beim Zusammenbauen und Aufriggen, alle wollen so schnell wie möglich fertig werden und raus in die glitzernde Weite. Blankes Eis bis zum Horizont. Einer segelt schon da draußen. Steven war schon einen Tag früher eingetroffen und hatte seinen „Ijsklomp“ auf die Kufen gesetzt.

Der sieht aus wie ein überdimensionierter holländischer Holzschuh. Der Bootskörper ist zwar aus GFK und auch schon deshalb anders als die anderen. Aber für Steven, der auf seinem Hof in Holland professionell Klompen und Käse herstellt, ist das natürlich auch ein wenig Werbung.

Die anderen sind das, was auf Holländisch Ijsschuit heißt. Übersetzt am besten mit : Eis-Schute oder -Kahn. Die ersten Abbildungen solcher Ijsschuiten hängen im Rijksmuseum in Amsterdam und sind mehr als 400 Jahre alt. Damals, um das Jahr 1600, während der sogenannten Kleinen Eiszeit, tauchten sie erstmals auf den Gemälden der holländischen Maler auf.

Eissegeln hat eine lange Tradition

Das Eissegeln hat also eine lange Tradition. Allerdings diente es damals wohl nicht allein dem Vergnügen, sondern in erster Linie dem notwendigen Transport von Menschen und Waren.Eins der ältesten noch erhaltenen Boote ist die „Emma“. Baujahr um das Jahr 1800 herum in Monnickendam, gehörte sie dem Bäckermeister, der mit ihr im Winter die Versorgung der Bewohner von Marken sicherte.

Das IJsselmeer war damals noch nicht abgedeicht, sondern Teil der Nordsee und Marken nicht mit dem Festland verbunden, sondern eine Insel. Frisches Brot, die Post, wenn nötig ein Arzt, wurden mit Seglern transportiert. Im Sommer auf dem Wasser, im Winter über das Eis.

Es gab damals viele solcher Eissegler, einfach, weil sie gebraucht wurden. Auf alten Fotografien sieht man ganze Flotten. Sogar Königin Wilhelmina ließ sich einmal, allerdings wohl nur zum Spaß, über die zugefrorene Gouwzee zwischen Monnickendam und Marken schippern.

Im Sommer, wenn die Gewässer wieder schiffbar waren, wurden die Ijsschuiten aufs Ufer gezogen. Und als Deiche und Dämme andere Transportwege möglich machten, verrotteten viele von ihnen. Bis vor rund 30 Jahren einigen Leuten auffiel, dass hier eine Tradition zu verschwinden drohte, die gerettet werden musste. So gründeten sie eine Stiftung, die „Stichting IJsschuiten Gouwzee“, und konnten mit gespendetem Geld 16 Boote vor dem Verfall bewahren.

Eissegeln: Renaissance der Ijsschuiten

An den Wochenenden arbeiten die Stifter an den Booten und halten sie fit, und im Winter wird gesegelt. Da, wo es Eis gibt. Zwei von ihnen sind jetzt in Schweden dabei. Peter mit „Prins van Oranje“ und Henk mit der „Emma“. Den anderen Stiftungsmitgliedern war der Weg nach Schweden diesmal zu aufwendig.

Aber es gibt ja noch den Verein „De Robben“, dessen Mitglieder hier in Mannschaftsstärke angereist sind. Auch sie haben einige historische Schätzchen mitgebracht. Etwa die „Amundsen“ der Brüder Guy und Han mit einem gelben Vogelkopf unter dem Bugspriet. Sie stammt aus der Zeit um das Jahr 1899. Damals segelte sie mit Sicherheit noch unter einem anderen Namen, denn der Polarforscher wurde ja erst später richtig berühmt.

Inzwischen erleben Ijsschuiten eine regelrechte Renaissance, was angesichts des Klimawandels und immer seltener zugefrorener Gewässer eigentlich paradox ist. So sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe Neubauten entstanden, die nun hier zu bewundern sind. Sie gleichen den alten Vorbildern bis ins Detail und sind von Weitem kaum von diesen zu unterscheiden.

Holzmasten und Gaffeltakelung, hölzerne Blöcke, alle handgefertigt, ausschließlich geschlagenes Tauwerk. An Nicos „Antarctica“ etwa ist kein einziges Teil aus Kunststoff. Selbst die Segel sind aus Baumwolltuch. Zwei Jahre hat er an seinem Schmuckstück gearbeitet. Die Planken sind aus massiver Douglasfichte, 400 Kilo wiegt das fertige Boot.

Hohe Geschwindigkeiten, enge Windwinkel

Schon sein Großvater hatte einen Eissegler. Der wurde aber leider von geschichtsvergessenen Nacheignern irgendwann einfach zu Brennholz verarbeitet. Nur den Bugspriet, den konnte Nico retten, um ihn für seinen Neubau zu verwenden. Auf den Ruderkopf hat er einen goldlackierten Löwen gesetzt.

Inzwischen sind fast alle Boote aufgeriggt. Die Segel killen in der leichten Brise, und immer noch scheint die Sonne. Jetzt aber los. Um Fahrt aufzunehmen, muss das Boot kräftig angeschoben werden. Dann schnell reinspringen, genauso wie beim Bobfahren. Dann die Schoten dicht und hoffen, dass die Bö durchhält.

Wie bei einem Katamaran segeln die Eissegler aufgrund ihrer Geschwindigkeit auf allen Kursen mehr oder weniger hoch am Wind. Und genau wie auf einem schnellen Mehrrümpfer erzeugt eine zu schnelle Ruderbewegung Zentrifugalkräfte, die fast ein Schleudertrauma auslösen können. Oder eine Kenterung.

So wie es Henk, der vor uns fährt, passiert. Eine Halse, mutig und beherzt, aber eben ein klein bisschen zu abrupt gefahren, da dreht die „Emma“ eine Pirouette und legt sich platt aufs Eis. Zum Glück haben sich weder Henk noch „Emma“ etwas gebrochen. Wir können sie schnell wieder aufrichten und weiter geht’s.

Unangenehm für Eissegler: Doppeleis

So ganz ideal ist es heute aber leider doch nicht. Der gestrige Regen ist zwar überfroren, aber zwischen dieser relativ dünnen Eisschicht und dem massiven Eis darunter steht oft das Wasser. Doppeleis wird das genannt. Wir fahren mit Karacho über so eine Stelle. Eis und Wasser spritzen hoch auf und durchnässen uns und meine Kameras. Sehr unangenehm.

Aber noch unangenehmer ist es, dass das Boot streckenweise nicht mehr zu lenken ist : Der Rumpf steht vorne auf der Läuferplanke, an deren Außenseiten Stahlkufen montiert sind. Die dritte Kufe ist das Ruder, auf dem das Gewicht von Rumpf und Mannschaft lastet, sodass das Ruder maximalen Kontakt zum Eis hat.

Wenn nun bei Doppeleis das Ruder in die obere Eisschicht einbricht, dann lässt es sich nicht mehr frei bewegen, und das kann gefährlich werden. Deshalb fahren die meisten Skipper heute etwas frustriert schon nach kurzer Zeit wieder zum Ufer zurück. Drehen den Bug in den Wind und hoffen, dass der Frost über Nacht kräftig anzieht und das Regenwasser seinen Aggregatzustand ändert.

Und sie trösten sich mit etwas, das sie hier Eisprozedur nennen. Fester Programmpunkt eines jeden Segeltages. Benötigt werden dazu: Monnickendamer Bitter, ein Kräuterschnaps; ein paar Biere, und uralter Gouda.

Wer seine Schuite liebt, der schiebt

Früh am nächsten Morgen vibriert die kalte Luft förmlich vor Segellust. Auf minus sieben Grad war das Thermometer in der Nacht gefallen, das sollte reichen, um auch die Pfützen hart zu frieren. Alle Segel stehen, obwohl noch nicht mal der kleinste Windhauch zu spüren ist. Doch die Vorhersage hat die nötige Brise für 10 Uhr versprochen.

Dann wird es 10 Uhr, es wird 11 Uhr, und es wird 12 Uhr, und immer noch hängen die Wimpel schlapp in den Toppen. Doch so leicht lassen sich Eissegler nicht entmutigen. Vielleicht ist ja weiter draußen mehr Wind. Einer nach dem anderen schiebt los.

Anschieben, reinspringen, 50 Meter rutschen, dann steht der Kahn wieder. Gleich noch mal. Bald ist die Bucht voller Segel, aber alle stehen. Bewegen sich mal kurz, dann wieder Stillstand. Die Segel spiegeln sich im perfekten, glatten Eis, genau wie die verhangene, bleiche Sonne. Aber was nützt das perfekteste Eis, was nützt der Sonnenschein, wenn der Wind fehlt?

In kleinen Grüppchen stehen die Skipper zusammen und palavern, bis sich die ersten auf den Rückweg machen. Wer seine Schuite liebt, der schiebt. Aber es kommt noch schlimmer. Denn der Neuschnee, der in dicken Flocken leise fällt, beginnt, alles zuzudecken. Doch kein Lüftchen regt sich. Wie hingewürfelt stehen die Boote in ihre Persenninge gehüllt kreuz und quer auf dem zugeschneiten Eis.

Unfälle beim Eissegeln gehen meist glimpflich aus

Und die Segler? Stehen in ihren Hütten hinter den Fenstern und starren genervt ins trübe Grau. Erst gegen Nachmittag tut sich was. Denn die Eisprozedur muss sein, auch wenn den ganzen Tag über sonst nichts los war. Sogar ein Partyzelt ist mitgereist und als Steven seine Segel hisst, stimmt wenigstens die Optik.

Am nächsten Morgen weht es. Endlich. Mit Sonne wär’s natürlich noch schöner, aber man wird ja genügsam. Der Wind weht mäßig, aber gleichmäßig. Das Eis ist immer noch schön glatt und hart, und so gibt es kein Halten mehr. Handschuhe an, Helm auf, dann flitzen sie los. Auch in den Ijschuiten tragen die meisten Skipper ihren Helm. Wegen der Verletzungsgefahr, falls das Boot einbricht.

Denn das passiert, wenn man eine Stelle übersieht, an der das Eis dünner und nicht tragfähig genug ist. Dann bleibt man plötzlich in einem Loch stecken, und eine solch abrupte Bremsung kann bei einer Geschwindigkeit von 40 oder 50 Stundenkilometern schmerzhafte Folgen haben.

Und das Wasser ist kalt. Deshalb tragen alle hier ein Paar Eispickel an einer Schnur um den Hals, mit denen sie sich im Notfall wieder raushangeln können. Zum Glück passieren solche Unfälle recht selten, und wenn, dann gehen sie meistens glimpflich aus.

Auf dem Eis nicht sichtbar: Böen und die Winddreher müssen erahnt werden

Die kaum mehr als zwei Windstärken reichen, um auch die schweren Boote in Fahrt zu bringen. Frieren müssen wir nicht, denn das immer wieder nötige Anschieben hält warm. Dann aber greift der Wind ins Segel! Anders als auf dem Wasser sieht man hier die Böen und die Winddreher nicht kommen. Man muss sie erahnen.

Das macht das Segeln auf dem Eis noch spannender. Die Fahrt beginnt, wir werden schneller. Es wird laut, die Geräusche sind gänzlich ungewohnt. Es ruckelt und rumpelt, die scharfen Stahlkufen schneiden tiefe Furchen in die glasharte Oberfläche.

Kreuz und quer segeln die Schuiten, hin und her dazwischen die höllisch schnellen DN-Schlitten. Bald ist das Eis von einem wirren Linienmuster überzogen. Geradeaus bis in die Seemitte, dann mit der Nase in den Wind und durch die Wende. Nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam, sonst bleibt die Kiste stehen und muss wieder angeschoben werden.

Halsen geht natürlich auch, die kleinen DN-Schlitten machen es vor. Ohne die Schot zu fieren, fallen sie ab, werden dabei sogar noch schneller, und schon sind sie auf Gegenkurs. So einfach geht das mit unseren großen Tüchern unter der Gaffel nicht. Außerdem würden wir jedes Mal viele Meter kostbare Höhe einbüßen. Also lieber mit dem Bug durch den Wind, auch wenn wir dabei ab und zu mal stehenbleiben.

Doch das geht allen so und gehört dazu. Immer wieder bilden sich Grüppchen von geparkten Booten. Die Skipper stehen zusammen und lachen. So muss das sein. Schließlich sind wir ja zum Spaß hier.

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