Wenn der Wind auf der Förde aus Westen weht, bemerkt man ihn im Hafen des Flensburger Segel-Clubs bei Glücksburg kaum. Hohe Bäume schirmen die Stege ab und suggerieren trügerische Ruhe. Doch die Bedingungen, bei denen es an diesem Dienstag Ende September raus auf die Förde geht, sind für die Crew der „Hans Uhl“ ohnehin zweitrangig.
5 Beaufort und Regen? Schon in Ordnung für einen der letzten Segeltage der Saison. Eine Heizung hat die alte Dame nicht – unter anderem auch deshalb wird in wenigen Tagen gekrant. Die Saison ist vorbei.
Nicht nur das Fehlen einer fest installierten Wärmequelle unter Deck unterscheidet das elf Meter lange Fahrtenschiff vom Typ Regent von vielen der Yachten, die hier im Hafen am Steg liegen. Die meisten haben moderne Linien mit hohem Freibord und poliertem weißem Rumpf. „Hans Uhl“ dagegen duckt sich mit flachem Aufbau und schlanken Linien zwischen ihnen.
Aus der Ferne glänzt der eigentlich dunkelgrüne Rumpf fast schwarz, das lange schmale Deck strahlt Funktionalität und Seetüchtigkeit aus. Einige Passanten blieben sogar stehen, wenn die „Hans Uhl“ mal wieder auf Tour durch die Ostseehäfen sei, erzählt Eigner Hans Köster. Was für ein schönes Holzschiff, lobten sie dann.
Doch sie täuschen sich: Unter dem dunkelgrünen Lack verbirgt sich kein beplankter Holzrumpf, sondern GFK. Mit seinen Holzaufbauten und dem Teakdeck geht das Boot bei vielen auf einen ersten schnellen Blick dennoch als waschechter Klassiker durch – nicht zuletzt aufgrund seines Alters und des Aufwandes, mit dem es gepflegt wird. Und das seit über 50 Jahren!
Erstmals wurde die „Hans Uhl“ im Frühjahr 1970 zu Wasser gelassen. Seitdem hat sie zahllose Meilen gemacht und etliche Veränderungen erfahren. Dass das Schiff in dieser Form überhaupt existiert, ist der Umtriebigkeit von Jens Köster geschuldet. Der ist heute 89 Jahre alt und der Vater des aktuellen Eigners Hans Köster.
Köster senior wächst an der Förde auf. Früh zieht es ihn aufs Wasser. Mitte der Sechziger ist die Zeit reif für das erste eigene Boot: eine acht Meter lange Wibo aus Stahl. Schon dieses Schiff ist dunkelgrün und hat seinen Liegeplatz an einer Boje zwischen den Ochseninseln auf der Förde.
Als 1968 Sohn Hans geboren wird, erweist sich die Wibo als zu klein; ein größeres, familientaugliches Schiff muss her. Das Projekt Bootssuche beginnt: Jens Köster schaut sich um, kann sich jedoch für keines der damals aufkommenden GFK-Serienschiffe begeistern. Schließlich stößt er in der YACHT auf eine Anzeige: „Regent, auch als Selbstausbau geeignet.“ Die Yachtwerft Wallhausen am Bodensee bot damals diesen in Kleinserie produzierten Bootstyp als Schale zum Ausbau an.
Die Idee begeistert Jens Köster. Er ordert eine Rumpfschale, die per Bahn quer durch die Republik in den Norden gebracht wird. Mit Ruderanlage und Fracht zahlt Köster rund 5000 D-Mark – ein Bruchteil dessen, was ein fertiges Schiff gekostet hätte. Doch noch ist die Bootshülle nackt. „Für den Ausbau gab es einen groben Plan“, erzählt der 89-Jährige heute an Bord seines alten Schiffes. „Aber den haben wir verändert.“
Einen Bootsbauer für die Arbeiten hatte er schon vor dem Kauf gesucht und gefunden. Hans-Christian Isaack baut das Boot nach Kösters individuellen Vorstellungen aus. Der tauft es „Hans Uhl“, in Anlehnung an seine beiden Kinder Hans und Ulrike. Aus Ulrike, „die an Eulen reiche“, wurde die plattdeutsche Uhl. Damals ahnt niemand, dass Kösters Familie auch in den nächsten 50 Jahren das Schiff noch sehr häufig an der Flensburger Förde slippen wird.
Schon immer schwebte Jens Köster ein besonderes Boot vor. Sein Credo lautet damals wie heute: „Segeln findet draußen statt!“ Will heißen: Skipper und Crew trennt auf der „Hans Uhl“ keine hohe Bordwand vom Wasser, sie sitzen dicht dran. Kein hoher Aufbau, noch nicht einmal eine Sprayhood versperrt die Sicht nach vorn.
Auch unter Deck geht es nach heutigen Maßstäben eher spartanisch zu. Jens Köster ging es um aktives Segeln, um das Spüren der Freiheit in der Natur. Das lebt er auch heute noch. Als das Schiff an diesem Septembertag bei 18 Knoten Wind über die Förde rauscht, bezieht er seinen Lieblingsplatz: ganz am Heck, am Ende des freien Achterdecks, an den Heckkorb gelehnt. Von dort genießt er die Sicht nach vorn, auf das Wasser, die Crew und sein altes Schiff.
Damals, bevor die Ostsee nach der Fertigstellung des Bootes zum Stammrevier der Familie wird, will Köster zunächst ein wenig Freiheit schnuppern und blaues Wasser sehen. 1972 verlegt er die Regent für zwei Jahre ans Mittelmeer und segelt sie mit Freunden in Etappen von Marseille nach Lissabon. In den Ferien kreuzt die Familie gemeinsam vor Spanien.
Nicht zuletzt solche Abenteuer wecken die Begeisterung für das Schiff bei Sohn Hans früh. Als vor gut 20 Jahren die Frage aufkommt, ob er und seine Frau ein eigenes Boot anschaffen wollen oder die „Hans Uhl“ übernehmen, fällt die Entscheidung leicht: Das Charakterschiff soll fortgeführt werden. Allerdings würde das einige Modifikationen erfordern.
Es sind nicht die ersten. Man könnte sagen, dass die Regent seit dem Bau einer fast schon rekordverdächtigen Anzahl an Refits unterzogen wurde. Das beginnt früh: Nach der Rückkehr aus dem Mittelmeer Mitte der siebziger Jahre wird der Kiel für eine bessere Segelleistung verlängert; der Tiefgang beträgt jetzt gut zwei statt 1,65 Meter. Außerdem erhält das Schiff ein höheres Rigg und einen neuen Segelplan. Jens Köster will nun auch Regatten segeln – und zwar nicht nur hinterher.
Bis in die neunziger Jahre findet sich die „Hans Uhl“ auf den Teilnehmerlisten der regionalen Veranstaltungen wie Speck-Regatta, Kalkgrund-Regatta oder Alsen Rund. Gesegelt wird mit einer Stammcrew und interessierten Freunden. Hans Köster kommt an Bord, als er zehn Jahre alt ist.
Bis zur nächsten großen Schönheitskur vergehen dann aber Jahrzehnte: Als Hans Köster und seine Frau das Schiff übernehmen, ist einiges daran zu tun. Im Winter 2003 bringen sie das Schiff daher erstmals in die Yachtwerft Glückstadt. „Mein Vater sagt, dort wurde das Schiff noch einmal gebaut“, erzählt Hans Köster.
In dem Betrieb an der Elbe werden das Hauptschott und das Ruder erneuert, das Unterwasserschiff abgezogen und wieder aufgebaut und neues Teakholz auf dem Aufbau verlegt. Die Vorschiffs-Wegerungen werden ersetzt und die alten Püttinge frisch eingeklebt.
Als all diese und viele weitere kleine Arbeiten erledigt sind, kommt im Herbst 2006 Tochter Mine Köster zur Welt. Die Enkelin des Erbauers ist von Anfang an festes Crewmitglied. Heute, über 15 Jahre später, manövriert die Schülerin das Sechs-Tonnen-Schiff so lässig aus dem Hafen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Was – zumindest aufs Segeln bezogen – auch durchaus stimmt.
Für den Nachwuchs erhält das Schiff weitere Anpassungen: 2011 wird die tiefe Backskiste an Steuerbord verkleinert, um darunter eine vollwertige Hundekoje zu schaffen. Sie wird Mines neues Reich. Zuvor waren weitere Kojen im Salon untergebracht. Dort allerdings wird nun eine Pantryzeile eingebaut. Erstmals kommt ein Kühlschrank an Bord. Zuvor verschwand alles, was gekühlt werden sollte, einfach in der tiefen Bilge.
Obwohl sich das Schiff immer weiter verwandelt, bleibt seine eigentliche Bestimmung erhalten: sportliches Segeln mit der ganzen Familie – auch auf Regatten. Für diesen Zweck wird 2013 noch einmal ein neues Rigg an Deck gestellt: Es hat nun eine 9/10- statt Topptakelung und zwei Salingspaare statt einem. Der neue Mast ist mit 14,50 Metern noch einmal einen guten Meter höher als der vorherige.
Das spürt man beim Segeln: Bei 5 Beaufort und ungerefftem Groß legt sich „Hans Uhl“ ordentlich auf die Backe. Wasser rauscht in Lee vorbei. Oben auf der Kante wehen Wind und Regen ins Gesicht. „Eine Sprayhood braucht kein Mensch“, sagt Hans Köster mit der Pinne in der Hand und lacht. Mit acht Knoten zieht das Schiff an den Ochseninseln vorbei. „Seglerisch verpasst ihr was!“, ruft Köster von der Kante in Richtung Kajüte, wo sich ein Teil der Crew vor dem Regen verschanzt hat.
Bevor er selbst eine Familie gründete, war der Rechtsanwalt ein gefragter Steuermann auf Regatten, war viel auf Booten im Ausland unterwegs. Kein Wunder also, dass auf „Hans Uhl“ trotz aller Tradition immer auch Wert auf Performance gelegt wurde.
So ist beispielsweise ein Anker am Bug gar nicht erst angeschlagen. „Wenn geankert wird, holt ihn jemand aus der Achterpiek“, erzählt Hans Köster und fügt lachend hinzu: „Oder wir gehen bei Freunden längsseits, die mit ihren modernen Schiffen ankern.“ Dort gebe es dann auch mal eine Dusche am Heck; auf der „Hans Uhl“ sucht man derartigen Komfort vergebens. Raffinierte Lösungen gibt es dennoch: So weisen dezente LED-Leuchten unter den Salingen Gästen bei Dunkelheit den Weg übers Deck.
Unter Deck begibt man sich auf Zeitreise. Auch wenn sich einiges verändert hat seit 1970, ist der Charakter der Regent noch derselbe: Dunkles, gemütliches Holz überall, eine kleine Nasszelle, ein Navitisch mit großen Schubladen und der Geruch eines Schiffes, das Geschichten kennt. „Der Bootsbauer hat es ausgebaut, als wäre es eine echte Holzyacht“, erzählt Hans Köster. Nur wer gezielt durch die Wegerungen an der Bordwand schaut, kann dahinter die GFK-Hülle des Bootes erkennen.
Wichtig war damals, dass Schlafplätze für vier Personen vorhanden sind, eine Toilette und eine Kochgelegenheit. Doch selbst als später im Rahmen des zweiten großen Refits erstmals eine richtige Pantryzeile an Bord kommt, wird die kaum genutzt: Kösters grillen am liebsten draußen. Das Achterdeck erweist sich dafür als perfekter Platz.
Segeln auf „Hans Uhl“ bedeutet auch Leben aus dem Seesack: Drei Meter Schiffsbreite begrenzen den Platz. Doch für alles Wichtige ist Raum vorhanden: Flaggen, Bücher und Proviant ruhen in Schapps, der Wein in der Bilge und ein wenig Kleidung im Schrank im Durchgang zum Vorschiff. Auch der Kopfraum ist begrenzt. Jens Köster schwebte ein möglichst flacher Aufbau vor.
Heute segelt der Senior gelegentlich noch mit: auf Überführungen oder der letzten Regatta des Jahres. Die Handgriffe sitzen alle noch. Kaum zurück im Hafen, lehnt er auch wieder an seinem Platz am Heckkorb. Er sieht glücklich aus. Sicher sei er stolz, dass das Boot noch so geliebt und gesegelt werde.
Und irgendwie sei so ein Schiff, das von Generation zu Generation weitergegeben werde, ja auch ein sehr nachhaltiges Unterfangen, meint der Ersteigner – und ist damit wieder absolut modern.
Auf der Suche nach einem Profi für den Ausbau trat Jens Köster an den Junior der auf den Ochseninseln beheimateten Bootsbauer-Familie Isaack heran. „Die wussten, wie ein Schiff auszusehen hat“, so Köster. Hans-Christian Isaack übernimmt den Ausbau der Schale zum familientauglichen Seekreuzer. Auf die ursprünglich vorgesehene Achterkajüte wird dabei zugunsten eines freien Achterdecks verzichtet.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 23/2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.